Interpharma-Chef Thomas Cueni kämpft mit klaren Worten gegen die SVP-Durchsetzungsinitiative. Er ist eine Ausnahmeerscheinung: Die Wirtschaftsverbände üben sich in Zurückhaltung, wichtige Konzerne wie Roche und Novartis bleiben stumm.
Thomas Cueni wirkt gut gelaunt am Telefon. Der Geschäftsführer des Branchenverbands Interpharma ist nach seiner Kritik an der Durchsetzungsinitiative ein gefragter Mann. Während die Wirtschaft weitgehend schweigt, hat sich Cueni aus der Deckung gewagt: Er attackiert offen die SVP-Initiative, die einen Rechtsautomatismus in die Verfassung schreiben lassen will, wonach Menschen ohne Schweizer Pass schon bei kleinsten Vergehen aus dem Land geworfen werden.
«Die Initiative ist aus staats- und wirtschaftspolitischen Gründen hochproblematisch», begründet Cueni sein Engagement. «Wir schiessen uns damit in den eigenen Fuss, denn die geforderte strenge Auslegung würde zu einem Bruch mit europäischen Verträgen führen», sagt er. Ausschaffungen für kleinste Vergehen wie Falschangaben beim Kindergeld oder auch hohe Geschwindigkeitsüberschreitungen würden das Abkommen zur Personenfreizügigkeit und die europäische Menschenrechtskonvention verletzen.
«Wenn man Verträge nach Lust und Laune bricht, schafft dies einen gefährlichen Präzedenzfall.»
«Als Exportindustrie, die fast 99 Prozent unserer Produktion exportiert, sind wir darauf angewiesen, dass Vertragspartner sich an einmal abgeschlossene Verträge – Freihandels- oder Investitionsschutz-Abkommen – halten. Wenn man Verträge nach Lust und Laune bricht, schafft dies einen gefährlichen Präzedenzfall», so Cueni.
Gewaltenteilung wäre nicht mehr gewährleistet
Aus staatspolitischer Sicht lehnt er die Durchsetzungsinitiative ab, «weil sie Rechtsgrundsätze wie die Verhältnismässigkeit und Einzelfallabklärung ausser Kraft setzt und weil sie die seit über hundert Jahren etablierte Gewaltenteilung in der Schweiz beschädigt». Die Initiative hebelt das Parlament in der Gesetzgebung aus, da sie keinen Spielraum bei der Umsetzung zulässt – und die Gerichte, weil diese ohne Ausnahme ausländische Straftäter des Landes verweisen müssen – ungeachtet der Schwere des Vergehens und der Verwurzelung in der Schweiz.
Cueni spricht Klartext: Er attestiert der Initiative einen «ausländerfeindlichen Charakter», der das Image der Schweiz nachhaltig beschädigen könnte.
«Wir möchten zu dieser Initiative nicht Stellung nehmen.»
Stellungnahme Roche
Aber der Pharmavertreter ist weitgehend einsamer Mahner, zumindest unter Vertretern der Wirtschaft. Economiesuisse als oberster Wirtschaftsverband lehnt die Initiative zwar ab, tut das aber recht lustlos: Für eine Beteiligung an der Kampagne fehle das Geld. Der Gewerbeverband unter dem rechtslastigen Direktor Hans-Ulrich Bigler hat Stimmfreigabe beschlossen, FDP-Mann Bigler selber hat sich für die Initiative ausgesprochen. Allein der Industrieverband Swissmem beteiligt sich neben Interpharma an der Nein-Kampagne.
Selbst jene Unternehmen, die Cueni vertritt, halten sich vornehm zurück. Novartis verweist auf Economiesuisse und teilt vage mit, Firmenvertreter hätten bei verschiedenen Gelegenheiten darauf hingewiesen, «dass die Kompatibilität von Initiativen mit internationalem Recht und geregelte Verhältnisse mit dem Ausland für den Wirtschaftsstandort Schweiz wichtig sind». Gänzlich abgemeldet aus der Debatte hat sich Roche: «Wir möchten von unserer Seite zu dieser Initiative nicht Stellung nehmen.»
Interpharma-Mann Cueni hat Verständnis für die Zurückhaltung: «Es ist durchaus normal, dass Verbandsvertreter sich stellvertretend für die Firmen engagieren.»
Aufgeschreckt durch Umfrage
Cueni versichert, er spüre einen grossen Rückhalt in der Wirtschaft für seine Äusserungen. Dass sein Verband Mitte November letzten Jahres eine Umfrage veröffentlicht habe, die der Initiative eine Zweidrittelmehrheit bescheinigte, sei ein Weckruf für viele gewesen. Die erste Ernüchterung angesichts der deutlichen Zustimmung sei dem Glauben gewichen, die Geschicke noch ändern zu können.
Cueni glaubt, dass es möglich ist, die Verhältnisse noch zu drehen: «Seit ein paar Wochen diskutiert man über die Schwächen der Initiative. Die Leute beginnen zu verstehen, was es bedeutet, wenn das Kind italienischer oder portugiesischer Einwanderer, die seit 40 Jahren in der Schweiz sind, wegen einer Bagatelle das Land verlassen muss.»