Eigentlich gehört Theresa May zum Pro-EU-Lager, aber als frischgebackene Premierministerin muss sie Grossbritannien aus der Union führen. Denn «Brexit bedeutet Brexit», sagt die Hardlinerin.
Als Theresa May am Dienstagmorgen aus dem Regierungssitz 10 Downing Street trat, ging sie zunächst in die falsche Richtung. Etwas verlegen kehrte sie um, posierte auf Wunsch der versammelten Presse kurz vor der Türe und stieg dann ins wartende Auto. Es war das letzte Mal, dass sie das Gebäude als Innenministerin verliess: Am Mittwoch zieht sie als neue Premierministerin hier ein, nachdem alle anderen Bewerberinnen und Bewerber für den Vorsitz der Tory-Partei das Handtuch geworfen haben.
Die 59-jährige Politikerin wird als erste Frau seit Margaret Thatcher die Zügel der britischen Politik in die Hand nehmen. Entsprechend wird sie in der Presse zuweilen etwas einfallslos als «neue eiserne Lady» bezeichnet. Auf den ersten Blick scheint diese Charakterisierung unpassend, zumal sich May selbst als «one-nation Tory» stilisiert – also eine Anhängerin des gemässigteren, liberalen Flügels der Konservativen Partei, zu dessen Selbstverständnis der Einsatz für den sozialen Ausgleich gehört.
Die Oxford-Absolventin war 1997 ins Unterhaus gewählt worden, also zu Beginn der langen Regierungszeit Labours unter Tony Blair und Gordon Brown. Sie erkannte, dass sich ihre Partei modernisieren musste, wenn sie jemals wieder an die Macht kommen wollte. 2002, nachdem sie zum «chairman» der Konservativen ernannt worden war – dass der Name nicht geschlechtsneutral angepasst wurde, ist vielleicht ein Hinweis auf die Antiquiertheit der Tories –, hielt sie ihre Kollegen an, das Image als «nasty party» (fiese Partei) loszuwerden – nur so könnten sie die Wähler auf ihre Seite ziehen.
Knallhart bei Terrorabwehr, Menschenrechten und Immigration
Nach dem Wahlsieg der Tories 2010 übernahm May den prestigeträchtigen Posten als Innenministerin. Sie zeichnete sich durch Eigenwilligkeit und ein ausgeprägtes Durchsetzungsvermögen aus, und zuweilen zeigte sie durchaus liberale Seiten, wie man sie von konservativen Politikern nicht gewohnt war: So setzte sie sich für eine vollständige Aufklärung des Hillsborough-Desasters von 1989 ein – und sie schreckte nicht davor zurück, die Polizei für ihre damaligen Vergehen scharf zu verurteilen. Auch stimmte sie für die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe und verhinderte die Auslieferung des Hackers Gary McKinnon an die USA, weil er am Asperger-Syndrom leidet.
Weniger bekannt ist die Tatsache, dass sie am gleichen Tag die Auslieferung des Terrorverdächtigen Talha Ahsan guthiess – obwohl auch er am Asperger-Syndrom leidet und seine Verhaftung laut einem US-Gericht jeder Grundlage entbehrte. Diese Episode verweist auf ein Faktum, über das ihre liberalen Gesten nicht hinwegtäuschen können: In Bezug auf Terrorabwehr, Überwachung, Menschenrechte und Immigration verfolgte May als Innenministerin eine knallharte Politik. Sie stiess nicht nur die ethnischen Minderheiten in Grossbritannien vor den Kopf, sondern zuweilen auch ihre europäischen Partner.
Ihre Anti-Terror-Strategie wurde bereits 2014 vom Muslim Council of Britain kritisiert, weil sie Muslime unter Generalverdacht stelle und der Radikalisierung den Weg bereite. May setzte sich über die Kritik hinweg – und baute die Strategie aus.
Berüchtigte Kampagne
Die Erweiterung der staatlichen Überwachung wird ebenfalls mit dem Verweis auf Terrorismus gerechtfertigt: Um Übeltätern das Handwerk zu legen, wollte May den Sicherheitsbehörden Befugnisse geben, die weiter gehen als in den meisten westlichen Staaten. Sie plante etwa die monatelange Speicherung der besuchten Websites aller Benutzer, was von den Geheimdiensten ohne gerichtlichen Beschluss hätte eingesehen werden können. Nach heftigem Protest von Bürgerrechtsorganisationen und Parlamentariern musste sie zurückkrebsen und die Vorlage abschwächen.
Auch in punkto Einwanderung war vom angeblichen Liberalismus der Innenministerin nichts zu sehen. 2013 lancierte May beispielsweise die berüchtigten Go-Home-Vans: Auf grossen Plakaten, angebracht an den Seitenwänden von Lastwagen, wurden illegale Migranten aufgefordert, das Land zu verlassen.
«Illegal in Grossbritannien? Geht nach Hause oder rechnet damit, verhaftet zu werden.» Eine Initiative von Theresa May.
Zwei Jahre später, als die Europäische Union nach Möglichkeiten suchte, Hunderttausende Flüchtlinge auf die einzelnen Mitgliedstaaten zu verteilen, sorgte May jenseits des Ärmelkanals für Kopfschütteln, als sie meinte, ein Quotensystem würde die Flüchtlingskrise verschlimmern. Dass sich Grossbritannien nicht an diesem Plan beteiligen wollte, überraschte niemanden. Als die Regierung auch noch ankündigte, innerhalb von fünf Jahren gerade mal 20’000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen, fragte man sich, ob diese Knauserei tatsächlich der Gipfel der britischen Grosszügigkeit sein könne.
Die EU-Befürworterin muss den Austrittsantrag stellen
Trotz ihrer restriktiven Einwanderungspolitik schlug sich May in der Referendumsdebatte auf die Seite der EU-Befürworter. Weil sie sich jedoch nicht mit Inbrunst in den Abstimmungskampf warf, könnte ihr jetzt die Aufgabe leichter fallen, die tiefen Risse in der Konservativen Partei zu kitten. Die Mehrheit der Tories im Parlament ist dünn, und May wird die Unterstützung beider Flügel ihrer Partei brauchen, um sich durchzusetzen.
Die ersten Monate ihrer Amtszeit werden ganz im Zeichen der Brexit-Verhandlungen stehen. Trotz ihrer dezent pro-europäischen Haltung hat sie bereits bekräftigt, dass das Ausscheiden Grossbritanniens aus der EU feststeht: «Brexit bedeutet Brexit», meinte sie am Montag.
Jetzt geht es um die Frage, wann der Austritt kommen und wie er aussehen wird. Durch die vorgezogene «Krönung» der Premierministerin ist der gesamte Prozess beschleunigt worden: May wird die EU bald darüber unterrichten müssen, wann sie gedenkt, den Austrittsantrag gemäss Artikel 50 zu stellen.