Beim Oekumenischen Seelsorgedienst für Asylsuchende (OeSA) finden Flüchtlinge ein offenes Ohr oder einfach eine Tasse heissen Kaffee. Ein Interview mit zwei Helferinnen von der Front des Schweizer Asylwesens.
Der Weihnachtsschmuck hat etwas Frost angesetzt. Menschen trinken Kaffee aus dampfenden Tassen und ziehen mit klammen Fingern an ihren Zigaretten. Es ist ein kalter Wintermorgen und das Café des Oekumenischen Seelsorgedienstes für Asylsuchende (OeSA) hat soeben geöffnet. Auch wenn die drei Container nicht gerade Häuslichkeit versprühen, die Stimmung ist gesellig. Es ist ein warmer Ort.
Im OeSA finden Flüchtlinge, die im Basler EVZ (Empfangs- und Verfahrenszentrum) einen Asylantrag gestellt haben, etwas Abwechslung. Das Café befindet sich nur wenige Meter vom EVZ auf einer Wiese kurz vor dem Zollübergang Otterbach. Hier bekommen die Asylsuchenden eine Tasse heissen Kaffee, eine Kleinigkeit zu essen, Kleider oder andere praktische Dinge für den täglichen Bedarf.
Wir treffen an diesem Morgen zwei Frauen zum Interview: Astrid Geistert, Leiterin des OeSA, und Susy Mugnes, katholische Seelsorgerin. Geistert empfängt uns in ihrem Büro, wo es gerade etwas eng ist, weil überall Tragtaschen voller bunter Geschenke und Stofftiere herumstehen. Es sind nur noch wenige Tage bis zum grossen Weihnachtsfest.
Frau Geistert und Frau Mugnes, Sie sehen tagtäglich wie hier Flüchtlinge ankommen. Wie werden diese empfangen?
Susy Mugnes: Gleich beim Eingang ist die Wartezone. Wenn ich also ins EVZ reingehe für ein Seelsorgegespräch, sitzen dort immer viele Menschen, die gerade erst angekommen sind. Der erste Kontakt, den diese Flüchtlinge haben, ist immer mit der Security. Ein kalter Empfang. Ich versuche, mit einem Lächeln etwas Wärme hineinzubringen. In dieser Situation kann das bereits einen grossen Unterschied machen. Ich verstehe, dass im EVZ eine gewisse Ordnung herrschen muss. Doch wirkt eine solche Struktur auch sehr einengend. Man würde denken, diese Menschen gelangen in die Schweiz, wenn sie hier ankommen. Doch eigentlich ist das nicht die Schweiz, es ist ein Niemandsland.
Astrid Geistert: Was ich aber immer wieder erlebe, ist eine grosse Erleichterung. Die Menschen kommen an und fühlen sich zum ersten Mal seit Langem wieder in Sicherheit. Sie können sich entspannen.
Das Café des Oesa kurz bevor die Türen öffnen. Nur wenig später wird es hier von kaffeetrinkenden, rauchenden und plaudernden Menschen wimmeln. (Bild: Eleni Kougionis)
Wie geht es diesen Menschen, wenn sie hierher kommen?
G: Wo sie auch herkommen, sie bringen alle grosse Hoffnung mit. Sie wollen ihr eigenes Leben retten und träumen von einer besseren Zukunft.
M: Ich sehe aber auch immer wieder enttäuschte Menschen. Menschen, die ihre Asylgründe nicht geltend machen konnten. Menschen, die sich nicht wahrgenommen fühlen. Die hofften, in ein Paradies zu kommen, wo die Menschenrechte etwas gelten und wo auch die ganzen internationalen Institutionen wie die UNO und das Rote Kreuz ihren Sitz haben. Und dann geraten sie als Erstes an einen Ort, wo sie mehr oder weniger eingesperrt leben müssen.
G: Diese Menschen so wahrzunehmen, ist auch nicht die Aufgabe der Securitas und der Betreuer im EVZ. Dafür sind wir da. Wir können ihnen Aufmerksamkeit, ein offenes Ohr und eine Tasse Kaffee an einem entspannten Ort bieten.
Als Seelsorgerinnen werden Ihnen viele Geschichten, Sorgen und Ängste anvertraut. Wie bauen Sie dieses Vertrauen auf?
M: Am Anfang grüsst man sich einfach, sieht sich im Café und wechselt ein paar Worte. Nur ganz selten will ein Asylsuchender uns sofort seine Geschichte erzählen. Oft helfen sich die Flüchtlinge auch untereinander und stellen mich beispielsweise den Neuankömmlingen vor. Das hilft. Mir ist wichtig, dass die Flüchtlinge verstehen, dass ich nicht zum EVZ gehöre, also nicht Teil des «Asylsystems» bin.
Die meisten Flüchtlinge verbringen mehrere Wochen oder Monate hier. Wie sieht dieses Leben aus?
M: Sehr strukturiert. Der Tagesablauf im EVZ ist streng geregelt. Es gibt Schliessungszeiten und nur wenig Freiheiten. Nach den Formalitäten in den ersten Tagen können die Flüchtlinge hier nichts tun ausser warten. Vielleicht mal ein Spaziergang durch die Langen Erlen oder in die Stadt – drei Franken Taschengeld am Tag lassen nicht viel Spielraum.
Viele der freiwilligen Helferinnen und Helfer im Café sind einst selbst als Flüchtlinge in die Schweiz gekommen. Sie schenken hier Kaffee aus, bereiten Essen vor und helfen ihren Landsleuten dabei, sich in der Schweiz zurecht zu finden. (Bild: Eleni Kougionis)
Ihr Café ist eines der wenigen Angebote, das Ablenkung und Zerstreuung bietet. Was suchen die Menschen, wenn Sie zu Ihnen kommen?
M: Wir sind einfach für die Flüchtlinge da und freuen uns, wenn sie vorbeikommen. Wir nehmen uns etwas Zeit zum Plaudern oder vereinbaren ein längeres Seelsorge-Gespräch. Schon allein das wird enorm geschätzt. Vor ein, zwei Jahren kam eine junge Frau aus dem EVZ regelmässig zu uns ins Café. Dann wurde sie nach Zürich transferiert. Irgendwann stand sie plötzlich wieder vor der Türe und brachte uns eine grosse Tasche voller Kaffee. Während ihrer Wartezeit hat ihr der Kaffee hier viel bedeutet. So wollte sie sich dafür bedanken.
Neben dem Kaffee suchen bei Ihnen viele auch Rat und Hilfe. Wo müssen Sie da Grenzen ziehen?
G: Bei rechtlichen Fragen zum Asylverfahren zum Beispiel. Da müssen wir die Flüchtlinge an die Rechtshilfe der HEKS verweisen. Grundsätzlich widmen wir uns den Sorgen und Nöten und versuchen nebenbei, den Menschen hier eine möglichst gute Zeit zu bereiten. Es gibt viele lustige, fröhliche Momente im Café. Aber klar: Es gibt Menschen, die wollen zu viel, oder verlangen etwas, das wir nicht leisten können. Dann müssen wir zum Teil auch hart sein.
Es ist bei aller Fröhlichkeit auch eine schwierige Situation für diese Menschen. Das Warten, die Ungewissheit…
G: Angst ist permanenter Begleiter der Flüchtlinge. Das kann natürlich zu angespannten Situationen führen, ab und zu auch zu einer Schlägerei. Da müssen wir durchgreifen und klarmachen, dass wir das nicht wollen. Wir können nicht den ganzen Tag nur nett sein und Kaffee ausschenken.
Die Betreiberinnen des Oesa-Cafés haben Geschenke gesammelt für die Kinder. Am 23.12. findet das grosse Weihnachtsfest statt. (Bild: Eleni Kougionis)
Ihre Kernaufgabe ist die Seelsorge. Wie gestalten sich solche Gespräche?
M: Die Vertrauensbeziehung baut sich über mehrere Begegnungen auf. Sucht jemand das Gespräch mit mir, ist es wichtig, dass wir in Ruhe vertraulich reden können. Viele erzählen mir dann von ihren Sorgen, fragen, warum sie so lange auf den Asylentscheid warten müssen. Oder sie haben auf der Flucht ihre Familie verloren und fürchten um ihre Verwandten. Im Asylverfahren zählen ja bloss Personalien und Daten – mir dagegen geht es bei der Seelsorge vor allem darum, die Person als Ganzes wahrzunehmen. Dabei fühle ich mich oft ohnmächtig, denn ich kann ihre Probleme nicht lösen. Trotzdem bedanken sich die meisten für das Gespräch. Einfach, weil ich ihnen aufmerksam zugehört, sie wahrgenommen habe.
Welche Rolle spielt der Glaube?
M: Der Glaube gibt vielen Flüchtlingen Halt. Die Menschen erzählen mir, wie sie auf dem Boot unter einer Plane gemeinsam gebetet haben. Sie sagen «Gott ist mit mir» und zeigen mir ihre Bibel, praktisch ihr einziger Besitz.
Beten Sie während der Seelsorge?
M: Wenn das jemand will. Mein Kollege von der reformierten Kirche veranstaltet zudem wöchentlich eine offene Andacht im EVZ. Dort ist jeder willkommen. Die Menschen sehnen sich danach, über kleine Rituale mit ihrem Gott zusammenzukommen.
G: Interessant ist, dass wir hier nie Probleme haben mit den verschiedenen Glaubensrichtungen, obwohl Christen und Muslime auf engstem Raum miteinander auskommen müssen.
Gibt es Menschen, die Sie aufgrund ihres kirchlichen Hintergrundes nicht erreichen?
M: Nein. Ich führe meine Seelsorge zum Beispiel auch mit Muslimen durch, obwohl ich Christin bin.
G: Die meisten sehen uns auch nicht als Kirche. Sie wissen, dass wir nicht missionieren wollen.
Der Oesa ist auf Nahrungsmittel- und Sachspenden angewiesen. (Bild: Eleni Kougionis)
Den OeSA gibt es seit 21 Jahren, Sie beide arbeiten auch schon länger hier. Was hat sich verändert, hier beim EVZ und in der Situation der Flüchtlinge?
M: Nicht genug. Zwar wurden die Gesetze angepasst. Doch die Struktur und der Umgang mit den Menschen sind leider immer noch ziemlich ähnlich wie vor 14 Jahren, als ich hier angefangen habe. Das EVZ wurde vor 30 Jahren gebaut. Damals hielten sich die Flüchtlinge aber nur wenige Tage hier auf, nicht wochenlang wie heute.
G: Aber wir haben ein gutes Verhältnis mit dem EVZ. Der Chef ist unserer Arbeit gegenüber sehr offen. Unsere Dienste sind gern gesehen, wir bekommen auch ein eigenes Seelsorge-Zimmer zur Verfügung gestellt. Zudem hat der Bund darauf reagiert, dass die Menschen heute länger im EVZ sind. Die Betreuung wurde etwa deutlich ausgebaut und es gibt jetzt ein grösseres Freizeitangebot.
Die Flüchtlinge verbringen heute mehr Zeit mit Warten als früher?
G: Definitiv. Die eigentliche Warterei beginnt jedoch erst, wenn die Menschen auf die Kantone verteilt werden. Hier im EVZ warten die Menschen im Schnitt etwa drei Wochen. Nach dem Transfer kann es aber noch Jahre dauern, bis ein Entscheid kommt, bis diese Menschen arbeiten dürfen. Das ist verlorene Zeit! Die drei Wochen im EVZ sind vertretbar. Aber die Entscheide müssten endlich beschleunigt werden.
Welches ist der richtige Moment, um mit der Integration anzufangen?
G: Sobald der Entscheid da ist. Nach spätestens sechs Monaten sollten die Flüchtlinge wissen, ob sie bleiben dürfen. Dann können wir vorwärts machen mit der Integration. Später wird es immer schwieriger, diese Menschen sinnvoll und schnell zu integrieren. In Basel-Stadt bekommen sie immerhin einen Deutschkurs und dürfen arbeiten, in Baselland bekommen sie gar nichts.
Nach sechs Monaten sollte die Integration beginnen?
G: Schon vorher. Man weiss ja in groben Zügen, wer bleiben darf: Syrier, Eritreer und Afghani. Weshalb sollte man also zuwarten? Und falls dann einer halt doch zurück muss, hat er eben einen Deutschkurs absolviert. Das wäre ja auch nicht tragisch. In Basel wird es genau so gemacht. Ab Transfer bekommen alle einen Deutschkurs.
Im Oesa-Café können sich die Flüchtlinge ihre, teilweise mehrmonatige, Wartezeit verkürzen. (Bild: Eleni Kougionis)
«Integration» ist seit Jahren ein heiss diskutiertes Reizwort. Was halten Sie an der Front von der aktuellen asylpolitischen Debatte?
G: Ich arbeite seit 25 Jahren mit Flüchtlingen und wundere mich schon genau so lange, wie dieses Thema hochgekocht wird. Rund ein Prozent der Bevölkerung hat einen F- oder B-Ausweis, und mit dieser Minderheit wird seit Jahr und Tag Politik gemacht. Das ist doch völlig unverhältnismässig.
M: Ich habe einen Wunsch, der etwas naiv sein mag: Diese sogenannten Asylpolitiker sollen mal zumindest für einige Stunden bei uns vorbeikommen, um sich die Realität vor Ort anzusehen. Vielleicht würde das etwas ändern.
G: Wir versuchen mit unserer Öffentlichkeitsarbeit – etwa bei Vereinen, in Kirchgemeinden oder an Schulen – ein Verständnis für die Situation der Flüchtlinge zu generieren. Die Erfahrung zeigt: Wenn jemand seine Fluchtgeschichte erzählt, dann berührt das die Menschen. Kennenlernen baut Vorurteile ab. Abstrakte Flüchtlingszahlen bekommen plötzlich ein Gesicht. Das ist nicht ein Flüchtling, das ist Josef aus Eritrea.
Eine Zeit lang war die Solidarität recht gross. Auf Facebook wimmelte es an Aufrufen zum Kleidersammeln oder anderen Hilfsprojekten. Das hat nachgelassen.
G: Das stimmt. Es kommen ja auch weniger Flüchtlinge an, und das Thema ist weniger präsent. Ich finde das aber nicht schlimm. Denn wenn wir beispielsweise Weihnachtsgeschenke sammeln, kommt trotzdem meist etwas zusammen. Viel mehr Sorgen bereitet mir die Stimmungsmache gegen Asylsuchende. Die ist gefährlich.
Wenn man helfen will, was kann man dann tun?
G: Es gibt die KoF, eine Koordinationsstelle für Flüchtlinge. Dort kann man sich anmelden und in einer Datenbank eingeben, was man anbieten will. Wer also einem zum Beispiel Deutschnachhilfe geben oder bei der Wohnungssuche helfen will, ist dort sicher an der richtigen Stelle.
«Die sogenannten Asylpolitiker kochen seit Jahr und Tag ein Thema hoch, das ungefähr ein Prozent der Bevölkerung betrifft. Das ist völlig unverhältnismässig», sagt Astrid Geistert, Leiterin des Oesa (rechts). (Bild: Eleni Kougionis)