Dieser Kotz-Brotz-Motz-Plot hängt mir zum Hals raus

Die Tirade des Armeechefs erinnert unseren Kolumnisten an seinen eigenen Militärdienst. Er denkt nicht ungern zurück, blöd und unnötig findet er die Schweizer Kriegsspiele aber immer noch.

Als soziale Studie war Knackeboul der Militärdienst ein Fest, die Armee findet er trotzdem per se untauglich.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Die Tirade des Armeechefs erinnert unseren Kolumnisten an seinen eigenen Militärdienst. Er denkt nicht ungern zurück, blöd und unnötig findet er die Schweizer Kriegsspiele aber immer noch.

Dieser ganze Kotz-Brotz-Motz-Plot hängt mir zum Hals raus. Wer darüber empört ist, wie in Militärkreisen geredet und oft auch gedacht wird, war nicht im Militär. Würde man öfters hören, welches Gedankengut dort verbreitet wird, müssten im Minutentakt offene Briefe geschrieben werden.

Blattmann hat seine Worte unvorsichtig gewählt hat, ihm ist sozusagen ein Schuss abgegangen. Das ist damals in der RS auch Soldat Hofer passiert. Zum Glück ging die Kugel ins Leere.

Alte Männer lässt man für unnötige und untaugliche Kriegsspielzeuge Milliarden ausgeben. Jungen Männern gibt man eine Knarre in die Hand. So wie meinem Armeekameraden, dem Soldaten Meier, der trotz Verhaltensauffälligkeiten aggressiver Art Waffe und Munition mit nach Hause nehmen konnte. Okay, das war 2002 – inzwischen bleibt immerhin die Munition in der Kaserne.

Im Militär wird gesunder Menschenverstand gern links vermutet.

Wenn ich in der RS militärische Absurditäten jeweils lauthals mit logischem Denken zu ergründen versuchte, musste ich entweder «30 Liegen» machen oder mir von Korporal Koch anhören: «Choler, wenns hert uf hert chunnt, luege die Lingge ii.» Ich musste lernen, dass gesunder Menschenverstand gern links verortet wird. Als «linker Chaot», wie mich einige Kameraden zu nennen pflegten, möchte ich die Blattmann-Polemik natürlich nützen, um meine generellen Zweifel am Sinn unseres Militärs zu formulieren.

Ich bereue nicht, Militärdienst geleistet zu haben. Sonst könnte ich diese und Hunderte andere Anekdoten ja nicht erzählen. Ich habe auch liebe Menschen kennengelernt und war eine Zeit lang erstaunlich organisiert und durchtrainiert (man rechne: 30 Liegestütze pro knackiger Spruch mal 10 knackige Sprüche täglich mal 105 Diensttage).

Als soziale Studie war mir der Militärdienst ein Fest: Immer wieder war ich fasziniert, wie so viele junge Männer auf engstem Raum zusammenlebten, ohne sich ernsthaft an die Gurgel zu gehen. Trotzdem: Gäbe es die GSoA nicht – ich würde sie erfinden. Aus ideologischen, logischen und logistischen Gründen.

Die grössten Dumpfbacken haben es am meisten darauf abgesehen, dein Vorgesetzter zu werden.

Wirklich Neues gelernt haben wir in der RS etwa zwei Wochen lang. Häuserkampf, Gewehr-Manipulationen, solche Sachen. Der Rest war unnötige, zur Schikane tendierende Repetition, Pathos und lächerliches Machogehabe. Wie oft hab ich mir gewünscht, wie Soldat Moser in der ersten Woche Ohnmacht während einer Übung vorgetäuscht zu haben. Moser wurde für untauglich erklärt und heimgeschickt. Mir gelang das erst im dritten WK in Davos. Nach farbig überzeichneten Schilderungen krassen Drogenmissbrauchs rettete mich schliesslich mein tatsächlich vorhandener Tinnitus vor dem Einrücken ans WEF.

Also: Fürs Leben lernt man im Militär verschwindend wenig, ausser vielleicht, dass die grössten Dumpfbacken es am meisten darauf abgesehen haben, dein Vorgesetzter zu werden. Ich gebe zu, aus mir spricht hier meine subjektive Abneigung gegen militärische Vorgesetzte, die den Frust über ihr persönliches Leben an Soldaten im Armee-Alltag auslassen.

Objektiv betrachtet ist allerdings unsere Armee an sich untauglich. Unsere teuren Kampfjets haben die Schweizer Grenzen überflogen, bevor sie überhaupt richtig gestartet sind. Die Verteilung der Schutzausrüstung gegen Chemie-Waffen-Angriffe hat nicht einmal bei der Übung auch nur ansatzweise funktioniert. Ein Drittel der Dienstpflichtigen würde bei einem Krieg, auf den unsere Armee ausgelegt ist, den es so nie geben wird, nicht einrücken. Und eben: Eine Armee mit Bodentruppen, Panzern und Kampfjets hat nichts mit einer möglichen gegenwärtigen Bedrohungslage zu tun.

Die von mir abgefeuerten Schüsse und geworfenen Handgranaten hätten einer alleinerziehenden Mutter wohl ein Jahr lang den Lebensunterhalt finanziert.

Jährlich werden für diese Kriegsspielereien Milliarden verballert. Durch unnötigen Munitionsverbrauch – alleine die von mir abgefeuerten Schüsse und geworfenen Handgranaten hätten einer alleinerziehenden Mutter wohl ein Jahr lang den Lebensunterhalt finanziert –, aber auch durch Tausende Männer, die jährlich drei Wochen ihre Zeit mit WK verschwenden. Wir beschweren uns über die hohen Kosten des Bildungs-, Sozial- und Asylwesens, bezahlen aber brav Steuermilliarden für den unnötigen Militärapparat.

Natürlich werden Armee-Befürworter und Kriegs-Nostalgiker schon nach dem ersten Abschnitt dieser Kolumne ihre argumentativen Salven auf mich abgefeuert haben. Terroristen, Putin oder die grössenwahnsinnigen Amis! Dem kann ich entgegnen, dass genau diese Akteure die grössten Waffen- und Armeefans sind.

Wer den Sinn unserer Armee in der Moderne kritisch hinterfragt, muss sich permanent Naivität vorwerfen lassen. Von Menschen, die glauben, die Schweiz könne sich im Kriegsfall mit Bodentruppen und Sturmgewehren wehren. Aber ich halte es mit den Worten des Berner Rap-Urgesteins Krust und sage: «Chrieg gits wäg de Waffe.»

Ohne Armee könnte der Korpskommandant seine plumpen Sprüche bei einem Bier am Stammtisch klopfen.

Als modernes, reiches und fortschrittliches Land sollten wir in den Bereichen Bevölkerungsschutz, Justiz, Migration, Wirtschaft und Bildung neue, zeitgemässe Konzepte entwickeln. Der Welt ein Vorbild sein in humanistischer und lösungsorientierter Politik. Der Blattmann-Aussetzer ist für mich ein armseliges Zeugnis einer Zeit, die wir hinter uns wähnten.

Die Schweiz braucht keine neuen Panzer und Flugzeuge und keine alten Herren, die Krieg spielen. Die Schweiz braucht Geld für die Bildung, für gerechte Löhne. Sie braucht die Gleichberechtigung von Mann und Frau und eine Wissenschaft, die der gesamten modernen Gesellschaft zu einer friedlichen und freien Zukunft verhilft.

Die Soldaten könnten Zeit mit ihrer Familie verbringen, statt unnötig in der Kaserne zu hängen. Die Kader könnten sich in ihren Jobs weiterbilden, statt sich eine Überlegenheit gegenüber den Soldaten einzubilden, und der Korpskommandant könnte seine plumpen Sprüche bei einem Bier am Stammtisch klopfen.

Ich weiss, dass wir in turbulenten Zeiten leben, und ich bilde mir nicht ein, dass alle Menschen gut sind. Aber die Geschichte lehrt uns, dass das Anhäufen von Waffen, das Investieren von Billionen in Militär und Krieg und das Festhalten an einem Feindbild nie zu etwas Gutem geführt hat, sondern immer zu Millionen von Toten und grossem Elend. Ich bin ein Träumer. Aber ich glaube, dass selbst kindliche Fantasie und Neugier unserer Gesellschaft mehr bringen als die Kriegsspiele alter Männer.



PS: Knackeboul heisst bürgerlich David Kohler, die Namen seiner Militärkameraden sind frei erfunden.

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