Donezk im Schwebezustand zwischen Krieg und Frieden

In der Ostukraine hält der Schwebezustand an: Beide Seiten schiessen noch immer, haben aber die gross angelegten Angriffe eingestellt. Kiew sendet trotz der brüchigen Waffenruhe versöhnliche Signale. Und die Zivilbevölkerung kann für einige Tage aufatmen. Unser Korrespondent war vor Ort.

epa04396227 A Ukrainian serviceman smokes as he stands guard near Volnovaha town, Donetsk region, Ukraine, 11 September 2014. New EU sanctions against Russia are to come into effect on 12 September, but will be reviewed in light of progress following a ce (Bild: ROMAN PILIPEY)

In der Ostukraine hält der Schwebezustand an: Beide Seiten schiessen noch immer, haben aber die gross angelegten Angriffe eingestellt. Kiew sendet trotz der brüchigen Waffenruhe versöhnliche Signale. Und die Zivilbevölkerung kann für einige Tage aufatmen. Unser Korrespondent war vor Ort.

In einer Sauna im edelsten Fitnessclub von Donezk schwitzt an diesem Nachmittag im September der Geschäftsmann Oleg. Seinen Nachnamen lässt er lieber weg in diesen unsicheren Zeiten, denn wer weiss schon, wer hier morgen die Macht hat. Über einen Monat hat er mit seiner Familie in Kiew ausgeharrt, während in der Millionenstadt Donezk die Granaten bis ins Zentrum flogen. Laut dem Bürgermeister Alexander Lukjantschenko hat der Krieg allein in Donezk 200 Zivilisten das Leben gekostet.

Seit einigen Tagen nun ist Oleg, dem im Osten der Ukraine mehrere Einkaufszentren gehören, zurück. «Unsere Einnahmen sind um das 15-Fache gefallen, unsere Aktiva sind jetzt noch so viel wert.…» Er formt mit Daumen und Zeigefinger eine Null. Aber immerhin, so sagt er, werde nicht mehr geschossen. Dass der 51-Jährige nun wieder hier in der Sauna sitzen kann, dass er danach mit dem Auto in Ruhe nach Hause fahren und auf dem Weg in einem Supermarkt einkaufen kann, das hat er dem Waffenstillstand zu verdanken, der seit einer Woche gilt. So wie Oleg sind in der letzten Woche zehntausende Menschen nach Donezk zurückgekehrt, vor allem aus der Küstenstadt Mariupol, der die Einnahme durch die Separatisten droht.

Versöhnliche Signale aus Kiew

Von Frieden und Normalität ist die Ostukraine dennoch weit entfernt. Nachts hört man in Donezk das Donnern der Granatwerfer aus der Gegend um den Flughafen, der immer noch von Einheiten der ukrainischen Armee gehalten wird. Auch aus anderen Gegenden des Donbass und aus dem Süden in Richtung Mariupol werden immer wieder Schiessereien gemeldet. Aber der Vormarsch der prorussischen Separatisten ist seit Unterzeichnung der Waffenruhe in Minsk gestoppt. Vorerst.

Kiew sendet derweil versöhnliche Signale an den Osten: Präsident Poroschenko will in der nächsten Woche ein Gesetz ins Parlament einbringen, das einen «Sonderstatus» für einzelne Gebiete des Donbass festlegen soll. Dies war einer der Punkte, auf den sich die Konfliktparteien in Minsk geeinigt hatten. Poroschenko sagte in seiner Ankündigung jedoch deutlich, dass das Gesetz gleichzeitig die Zugehörigkeit der Regionen zur Ukraine festschreibt.

«Lieber ein schlechter Friede als ein guter Krieg», sagen die meisten Ukrainer.

Der Präsident braucht die Unterstützung der Abgeordneten. «Ich bitte darum, den Friedensprozess keinesfalls scheitern zu lassen», sagte er. Poroschenko steht unter Druck von Seiten der Radikalen. Oleh Ljaschko, Führer der Radikalen Partei, ätzte vor einigen Tagen, das Abkommen von Minsk sei «eine verschleierte Form einer Kapitulation Poroschenkos vor Putin».

Der Populist versucht sich mehr als alle anderen als wahrer Verteidiger der Ukraine zu präsentieren. Ljaschko, vor Beginn des Maidans ein marginaler Krawallmacher, kam bei den Präsidentschaftswahlen immerhin auf den dritten Platz, bei den für Ende Oktober angesetzten Parlamentswahlen hat seine Partei nach den jüngsten Umfragen beste Chancen, zweitstärkste Kraft hinter dem Block von Präsident Poroschenko zu werden. Die politische Zukunft Poroschenkos hängt davon ab, ob er mit seinem Friedenskurs, auf den er nach den schweren Niederlagen der ukrainischen Armee im August eingeschwenkt ist, Erfolg haben wird.

Denn die Bevölkerung hat den Kriegszustand satt. «Lieber ein schlechter Friede als ein guter Krieg», das sagen heute nicht nur die meisten Ukrainer in Donezk. Laut einer Umfrage des renommierten Ukrainischen Instituts für soziale Untersuchungen, die Ende August veröffentlicht wurde, treten 57 Prozent der Ukrainer für ein sofortiges Ende der «Antiterroroperation» und eine Kompromisslösung ein. Nur 34 Prozent fordern eine Fortführung der Operation. Nach den schweren Niederlagen der ukrainischen Einheiten bis zur Erklärung des Waffenstillstands dürfte die Zahl derer, die eine Kompromisslösung und ein Ende des Krieges fordern, noch gewachsen sein.

Über Krieg und Frieden entscheidet womöglich eine Frage

Die politische Führung der separatistischen Volksrepubliken versucht zumindest nicht offen, den Friedenskurs zu torpedieren. In der Nacht zu Freitag tauschten sie, wie in Minsk vereinbart, erneut 70 Kriegsgefangene mit der ukrainischen Führung aus. Allerdings erklärte Alexander Sachartschenko, selbsternannter Premierminister der Donezker Volksrepublik, der von Poroschenko angebotene «besondere Status» müsse für die gesamten Regionen Donezk und Luhansk gelten, nicht nur für jene Gebiete, die von den Separatisten kontrolliert werden. Auf welche Gebiete sich der von Kiew gewährte «Sonderstatus» erstrecken wird, das könnte zur Schlüsselfrage werden, die über Krieg und Frieden entscheidet.

Wer verstehen will, wie schnell in der Ostukraine wieder die Granatwerfer und Kalaschnikows sprechen könnten, der muss nur mit jenen verwegenen Gestalten sprechen, die mit der Kalaschnikow um den Hals rund um Donezk Patrouille fahren. Einer von ihnen stellt sich mit seinem Kampfnamen «Hassan» aus dem russischen Belgorod vor, Mitglied der «Slawjansker Garnison». Er ist seit Mai im Kriegsmodus, hat über mehrere Monate in der Stadt Slawjansk Kampferfahrung gesammelt. Jetzt ist er siegessicher. In einem Ort unweit von Donezk inspiziert er einen zerstörten Panzer der ukrainischen Armee. Dann sagt er verächtlich: «Einen Scheiss kriegen die, und keine Waffenruhe».

Nächster Artikel