Nach dem Flugzeugabsturz in der Ukraine machten Bilder von entstellten Leichen die Runde – und lösten eine Debatte darüber aus, wie weit Medien gehen dürfen, wenn sie über ein Unglück berichten. Die Journalistin Corine Turrini Flury vertritt die Meinung, durch solche Bilder werde die Würde der Opfer verletzt. Diskutieren Sie mit!
Es ist keine neue Debatte, die im Medienclub auf SRF Thema war: Katastrophen und Kriege – was dürfen Bilder zeigen?
Und doch ist das Thema wichtig, weil sich durch soziale Medien die Verbreitung von grauenhaften Bildern in rasantem Tempo und in unkontrollierter Reichweite verändert hat.
Auf Twitter hat der Journalist Christof Moser eine emotionale Debatte entfacht mit einem Foto der Absturzstelle, kurz nach den Breaking News zum Absturz der Malaysia Airlines. Im Fokus: Ein Trümmerfeld und zwei Leichen. Text im Tweet: Dramatische Bilder vom Absturzort der Malaysia Airlines MH17.
Schockierende Fotografien: Aufrüttelnd oder eine Zumutung?
Ob dieses Bild eine Zumutung ist oder nicht, darüber scheiden sich die Geister. Jeder hat sein Mass, was er an Katastrophenbildern konsumieren kann und will.
Ich unterscheide bei der Verbreitung solcher Bilder durch Privatpersonen oder Journalisten. Es ist aber in beiden Fällen eine Haltungsfrage die jeder für sich beantworten und entsprechend handeln sollte. Meine Haltung ist klar: Ich will weder meine Liebsten je auf einem solchen Bild im Netz sehen – noch will ich, dass sie mich jemals so sehen müssen.
Ich will auch nicht, dass mir jemand ungewarnt Bilder von verstümmelten Menschen und Toten in die Timeline spült. Es geht nicht darum, dass ich mich in meiner Komfortzone gestört fühle. Es geht mir vor allem um die Würde von Opfern und es geht um Respekt den Angehörigen gegenüber. Es geht um Mitgefühl und Menschlichkeit.
Nicht totschweigen, aber auch kein Sensations-Journalismus
Weder Kriege, Massaker noch Katastrophen sollen totgeschwiegen werden. Zwischen totschweigen und Tote zeigen ist ein breites Spektrum an ethisch vertretbarer Verbreitung von relevanten Informationen möglich. Diesen Anspruch habe ich an Medienvertreter.
Der Schweizer Presserat beschreibt unter Punkt 48 «Wie berichte ich respektvoll über Unfälle, Kriege, Katastrophen?» einige Ansätze einer Berichterstattung.
Damit lässt sich keine schlüssige Antwort finden. Es muss immer neu abgewogen werden. Keine leichte Aufgabe. Wie, was, wo, wann, wer und warum ein Bild veröffentlicht und verbreitet wird, sollten Entscheidungsfaktoren sein.
Der Kontext ist wichtig: Twitter oder Reportage
Wer Printmedien am Kiosk kauft sieht auf der Front, was ihn erwartet und entscheidet sich. In welchem Kontext ein Bild gezeigt wird, ist ein weiterer Faktor. In der Schweizer Illustrierten wäre genug Platz für erklärenden Text.
Auf Twitter sind es 140 Zeichen. Wer Bilder in Zeitungen oder Illustrierten nicht sehen mag, kann weiterblättern – oder tut was einige Leser aufgrund der Schockbilder des Absturzes getan haben: Sie kündigen ihr Abo für die Schweizer Illustrierte.
Auf Facebook und Twitter poppen Leichenbilder oft ohne Warnhinweis auf. Massakrierte Menschen, zerfetzte Kinder.
Diese Bilder werden manchmal ohne die genaue Herkunft sorgfältig zu überprüfen weiterverbreitet. Möglichst schnell. Es ist unhaltbar, wenn damit argumentiert wird, dass die Realität so aussieht und man darum anderen ungefragt Leichenbildern vorsetzt und sie zum Hinsehen zwingt.
Oft ist nicht klar: Wurde das Bild verändert?
Wer ausser dem Kriegsfotograf vor Ort weiss, ob das Bild nicht manipuliert wurde? Propaganda lauert überall. Welche Quellen sind vertrauenswürdig? Mit der grausamen Realität kann man sich ohne Leichenschau auseinandersetzen. Der Mehrwert an Information ist fraglich.
Medien sollen informieren. Sie sollen nicht erziehen und ihre Sicht, bildlich gesprochen, aufdrängen. Sie haben Verantwortung. Weiss ein Journalist, wer das Leichenbild sieht und was es auslösen kann?
Natürlich braucht es auch Eigenverantwortung. Das ist online aber schwierig, wenn Bilder ohne Warnung sichtbar sind. Medienkonsumenten sollen die Möglichkeit haben zu entscheiden, was sie betrachten. Wer Leichenbilder sucht, wird sie im Netz finden. Es ist unnötig, sie zu servieren.
Journalisten sollten immer wieder ihre Haltung hinterfragen
Diese Debatte soll nicht die Medien anprangern. Es ist aber wichtig, dass Journalisten sich immer wieder fragen, welche Bilder, wem, auf welchem Kanal gezeigt werden.
Unbestritten: Solche Fotos sind nur möglich weil Krieg und Terror existieren. Auch dafür sind nicht Journalisten und Fotografen verantwortlich, sondern Menschen die morden, weil ihnen Werte wie Menschenwürde und Respekt vor dem Leben fehlen.
Darum ist es nötig, dass jeder die eigene Wertehaltung immer wieder überdenkt und verantwortungsbewusst handelt. Dazu zählt auch der Umgang mit Bildern von Opfern und deren Verbreitung – durch Journalisten und Medienkonsumenten.