Ein Wichtigtuer in Paris und NZZ-Chef Eric Gujer als kultivierte Version von BaZ-Mann Michael Bahnerth – drei Abgründe der Berichterstattung über die Terroranschläge in Paris.
Die Attentate von Paris versetzten nicht nur eine Nation in den Ausnahmezustand, sie hoben zeitgleich die ganze Medienbranche auf ein Level der gesteigerten Erregung, vom lokalen Fernsehsender bis zur BBC. Die Intensität der Berichterstattung ist überwältigend, alleine das deutsche Leitmedium «Spiegel» veröffentlichte bis dato 93 Artikel (Stand Montagmittag) zu den Terroranschlägen und allerlei möglichen Implikationen.
Ein verantwortungsvoller Umgang mit der Aufmerksamkeit, die man als Journalist derzeit erhält, ist nicht bei allen Beiträgen erkennbar. Drei Beispiele für publizistische Irrfahrten, ausgesprochen peinliche und brandgefährliche.
Telebasel begibt sich an die Front
Für ein Medium, das sich im Wesentlichen mit einer Stadt oder einer Region auseinandersetzt, ist ein Ereignis von der Tragweite der Pariser Terrornacht nicht leicht zu handhaben. Das journalistische Feuer, das einen erfasst, ist nicht leicht unter Kontrolle zu bringen, während der Krimi läuft. Auch für die TagesWoche ist das eine Herausforderung: Wo soll ich mich einklinken? Wo bietet die eigene Perspektive oder Recherche einen Mehrwert? Wo sind andere kompetenter, schneller und glaubwürdiger? Was für Erwartungen hat überhaupt der Leser an uns?
Adrian Plachesi, Redaktionsleiter der Nachrichtensendung «7vor7» von Telebasel, entschied, dass sein Sender ganz nah dabei sein soll. Nicht nur an der französischen Grenze, am Flughafen, mitten in der hiesigen Betroffenheit also, sondern vor Ort, wo sich «Blut, Einschusslöcher, Blumen» filmen lassen, wie Telebasel den Blitzbesuch Plachesis am Ort der Katastrophe anpreist.
Blut, Einschusslöcher, Blumen: was @plachesi nach den #ParisAttacks am Tatort sah, war verstörend. Mehr im 7vor7. https://t.co/dTYpV1tSwT
— Telebasel (@Telebasel) 16. November 2015
Am Sonntag, anderthalb Tage nach den Attentaten, steigt Plachesi in den Frühzug nach Paris. Begleitet wird er von Jean-Christophe Nigon, einem Redaktionskollegen und laut eigenen Angaben Paris-Kenner. Der Beitrag von der Front erscheint nicht. «Jetzt höre ich gerade, dass es Probleme mit dem Beitrag gibt», meldet «7vor7»-Moderator Adrian Gaugler, dann wird ein Bild von Plachesi eingeblendet, der Mann ist am Telefon zugeschaltet.
Hysterie nach Fehlalarm
Plachesi erzählt von Arbeiten am Filmbeitrag in einem Café, wie die Polizei vorfuhr und rief, man solle sich ins Innere begeben. Wie er in den zweiten Stock stürmte, eine abgeschlossene Wohnungstür auftrat, dabei eine Frau an der Stirn verletzte, wie er sich dann dort einschloss, wie er zwar keine Schüsse und Explosionen hören konnte, aber nicht genau wusste, was los war. «Wie ist die Stimmung sonst so in Paris?», fragt der Moderator schliesslich.
Offensichtlich hysterisch. Bald kommt Entwarnung: Fehlalarm. Und nochmals Entwarnung: Adrian Plachesi ist wohlauf.
Entwarnung: @plachesi & Jean-Christophe Nigon sind wohlauf. #ParisAttacks https://t.co/3FIoKgIMgA https://t.co/XjXC11EHNN
— Telebasel (@Telebasel) 15. November 2015
Später zeigt Plachesi ein Bild auf Facebook, das drei Polizisten in der Wohnung zeigt. Die Bilanz seines Ausseneinsatzes: eine zerschlagene Tür, eine verängstigte und verletzte Frau, drei von der Arbeit abgehaltene Einsatzkräfte. Dafür Blut, Einschusslöcher, Blumen und die Inszenierung der eigenen emotionalen Überforderung. Dass Plachesi von der Panik erfasst wurde, ist verständlich – dass in der Zentrale keiner auf den roten Knopf drückte und die wichtigtuerische Selbstbespiegelung stoppte, ist es nicht.
Die «Basler Zeitung» bedient sich der Demagogie
Demagogie, die Kunst der Volksverführung, des gezielten Einsatzes von Vorurteilen und Lügen zum Erreichen eines politischen Ziels, der Instrumentalisierung von Ängsten – das Blocherblatt «Basler Zeitung» operiert nicht erst seit gestern mit diesem Mittel. Doch wer wie BaZ-Autor Michael Bahnerth im Moment der Eskalation, wenn mächtige Emotionen das Urteilsvermögen gefährlich trüben, die weitere Eskalation herbeischreibt, der sollte den Stift besser für eine Weile niederlegen.
Bahnerth schreibt:
«Der schmutzige Krieg, der jetzt in Paris begonnen hat, wird uns verändern. Er wird das Ende von gut sein, das Ende der Illusion der Gutmenschen, das Ende dieser naiven Willkommenskultur, die zwar den wahrhaft Notleidenden eine rettende Tür öffnet. Eine Tür, durch die aber auch diese Blutskrieger gehen. Das ist die bittere Tatsache. Einer vielleicht auf 1000 kommt mit Sprengstoff, und wir denken, wir können sie alle mit Integrationsprogrammen entwaffnen.»
Entweder brutal naiv oder raffiniert bösartig.
Tatsache ist, dass zwei Attentäter aus einem Pariser Vorort stammten und drei weitere aus Molenbeek bei Brüssel. Bahnerth weiss das, trotzdem stellt er die Aufnahme von Flüchtlingen in eine direkte Kausalität mit dem Terror. Er tut das für eine Leserschaft, die bereits durch die Flüchtlingskrise verunsichert ist. Er zündelt, wo bereits Pulver liegt. Das ist entweder brutal naiv oder raffiniert bösartig.
Bahnerth fordert die Schliessung der Grenzen zur Fernhaltung des Bösen. Damit unterläuft er die eher banale physikalische Einsicht, dass sich eine Idee nicht von Zäunen aufhalten lässt. Bei den Anschlägen auf das Satiremagazin «Charlie Hebdo» und einen jüdischen Supermarkt Anfang Jahr waren übrigens alle Täter französische Staatsbürger.
Er begeht auch einen philosophischen Irrtum, indem er glaubt, die Grundfeste unserer Gesellschaft würden sich mit Blut und Bomben verteidigen lassen:
«Es ist ein Krieg, den Europa und die USA annehmen müssen, wenn wir und unsere Werte überleben wollen.»
Unsere Werte sind im Liberalismus verortet, in der christlich geprägten Idee von Nächstenliebe, der aufklärerischen Vorstellung von Gleichheit und Gerechtigkeit. Werte, die dann aufhören zu existieren, wenn sie nicht mehr angewendet werden. Kriegslüsternheit und die blinde Sucht nach Vergeltung sind der innere Feind unserer Gesellschaft und Verbündete der Jihadisten.
Auch der NZZ-Chef zündelt
Beim neuen NZZ-Chefredaktor Eric Gujer fällt spätestens mit seinem Kommentar zu den Pariser Anschlägen die liberale Maske. Gujer scheint sich bemüssigt zu fühlen, seinen Vorgesetzten klarzumachen, dass der erzwungene Verzicht auf Markus Somm als Chefredaktor kein Verzicht auf dessen rechtskonservative Weltsicht ist.
Die Probleme mit Gujers Kommentar beginnen schon mit dem Titel: «Neue Dimension des Terrors». Was das Neue an den Anschlägen ist, erzählt Gujer nicht. Dass Unschuldige umgebracht werden, um einen Staat zu destabilisieren? Hat schon die IRA gemacht, war bei den Angriffen auf die Twin Towers nicht anders und ebenso wenig bei den Terrorattacken in Bombai 2008. Das Neue ist allenfalls für uns die gefühlte Nähe zum Tatort und damit die persönliche Verunsicherung.
Aber neu muss die Dimension des Terrors sein, um die nun geforderte möglichst extreme Reaktion darauf zu rechtfertigen. Gujer fordert: mehr Krieg.
«Europa sollte den Kampf gegen die Urheber des Terrors in deren Länder tragen und sich mit aller Entschlossenheit im Nahen Osten militärisch engagieren, um den IS zu vernichten.»
Auch Gujer beantwortet die Frage nicht, wie einer globalen Ideologie mit Bomben beizukommen ist.
Abstrakte Belege
Gujer fordert zweitens: Stoppt die Migration!
«Die Politik wird sich zudem der unbequemen Frage stellen müssen, welche Auswirkungen die Migrationswelle auf die Sicherheit in Europa hat. Einfach zu beschwichtigen, wie dies Mitglieder der Regierung in Berlin tun, wird kaum ausreichen. Wer wie Deutschland die Kontrolle über seine Aussengrenzen preisgibt, schafft unvermeidlich neue Risiken. Auch die langfristigen Folgen der Massenwanderung sind zu bedenken. Die europäischen Gesellschaften werden heterogener, und damit steigt die Gefahr gesellschaftlicher Spannungen. Bereits erklingen in Osteuropa Stimmen, die nach den Bluttaten von Paris fordern, die Verteilung von muslimischen Flüchtlingen in der EU einzustellen. Wer sich dieser Diskussion verweigert und die Ängste nicht ernst nimmt, leistet Demagogen wie Marine Le Pen Vorschub. Europas Bürger erwarten jetzt Antworten und keine Ausflüchte.»
Der Absatz hat es in sich, er stellt die Schlussfolgerung von Gujers Kommentar dar. Auch Gujer macht – weniger grobschlächtig als Kollege Bahnerth – den Konnex zwischen der Flüchtlingskrise und den Attentaten. Er insinuiert, durch die Aufnahme der Flüchtlinge sei die Sicherheit Europas in Gefahr. Die Belege sind abstrakter Natur, Gujer sieht sie in der Möglichkeit von Terroristen, sich unter Flüchtlingen zu mischen – als hätte es vor der Flüchtlingskrise keine Anschläge gegeben.
Gujer nutzt die Attentate, um seine revisionistische Weltsicht zu legitimieren.
Gujer spricht vage von steigenden Gefahren gesellschaftlicher Spannungen in heterogenen Gesellschaften und vergisst dabei grosszügig, dass die Vielfältigkeit unserer Gesellschaft, allen voran der Schweiz, längst Tatsache ist. Ein Beleg dafür: Jeder dritte Einwohner hat mittlerweile ausländische Wurzeln. Gujer nutzt die Attentate, um seine revisionistische Weltsicht zu legitimieren. Kein besonders redlicher Zug.
Schliesslich appelliert er an die Politik, «die Ängste der Bürger ernstzunehmen». Das ist eine oft gehörte Politikerfloskel, um sinnfreien Aktionismus zu legitimieren. Im Vokabular eines Journalisten sollte sie nicht auftauchen. Ein Freund von mir hat Angst vor gefährlichen Bazillen in Restaurants, er geht deshalb nie auswärts essen. Nehmen wir seine Ängste ernst: Razzien in allen Küchen! Eben.
Und was die NZZ-Leser jetzt erwarten? Jedenfalls keine plumpen Antworten.