Droht Europa ein neuer Problemstaat?

Der Wahlkampf in Polen geht an diesem Sonntag in die heisse Phase, kräftig befeuert von Jaroslaw Kaczynski. Einst vom Regierungshof gejagt, erfreuen sich der Rechtspopulist und seine Partei erneut grossen Zuspruchs. Ihr Ziel: «Warschau wird ein zweites Budapest werden!»

A supporter of Jaroslaw Kaczynski, presidential candidate of Poland's Law and Justice Party, during his last political rally of this campaign in Warsaw, Poland, Friday, July 2, 2010. On Sunday July 4, a presidential runoff election will take place in Poland between Jaroslaw Kaczynski and his opponent Bronislaw Komorowski, speaker of the parliament and acting president. (AP Photo/Czarek Sokolowski)

(Bild: Czarek Sokolowski)

Der Wahlkampf in Polen geht an diesem Sonntag in die heisse Phase, kräftig befeuert von Jaroslaw Kaczynski. Einst vom Regierungshof gejagt, erfreuen sich der Rechtspopulist und seine Partei erneut grossen Zuspruchs. Ihr Ziel: «Warschau wird ein zweites Budapest werden!»

Bekommt Europa einen neuen Problemstaat? Wird das ökonomisch so erfolgreiche Polen bald vom EU-Wunderland zu einem zweiten, grösseren Ungarn, regiert von einem nationalistischen, autoritären «Brüssel- und Berlin-Hasser»? Die Gefahr zumindest besteht, denn wenn die Polen im Oktober ein neues Parlament wählen, dürfte die PIS-Partei des Rechtspopulisten Jaroslaw Kaczynski als deutlich stärkste Kraft in den Sejm einziehen. Umfragen sehen die PIS seit Monaten um rund zehn Prozentpunkte vor der grössten Regierungspartei, der liberalkonservativen Bürgerplattform PO von Ministerpräsidentin Ewa Kopacz.

Viele Beobachter reiben sich verwundert die Augen. Haben die Polen vergessen, dass sie Kaczynski einst nach nur gut einem Jahr im Amt des Premierministers per Wahlentscheid vom Regierungshof in Warschau gejagt haben, weil er es sich innerhalb kürzester Zeit mit den Nachbarn Deutschland und Russland, mit der EU und vor allem den eigenen Bürgern verdorben hatte? Das war 2007. Kaczynski wollte den jungen EU-Staat Polen damals in eine autoritär regierte Vierte Republik umbauen.

Und er will es noch immer. Daran können kaum Zweifel bestehen, seit er nach seiner Wahlniederlage 2011 trotzig angekündigt hat: «Warschau wird ein zweites Budapest werden!» Immer wieder hat Kaczynski seither auf die «Leistungen» des ungarischen Premierministers Viktor Orban verwiesen, der sich mit einer Zweidrittelmehrheit eine demokratisch fragwürdige Verfassung auf den Leib schrieben liess und in der EU als ewiger Provokateur gilt, aber im eigenen Land unangefochten regiert.

epa02213191 Polish chief opposition party Law and Justice (PiS) head and presidential candidate Jaroslaw Kaczynski seen during the party's presidential elections night in Warsaw, Poland, 20 June 2010. Poles were choosing among 10 candidates, casting their votes till 8 p.m. local time. If none of the candidates obtains more than 50 percent of votes, an election round-up will be held on 04 July 2010. EPA/RADEK PIETRUSZKA POLAND OUT

Das sind die Vorzeichen, unter denen der Wahlkampf in Polen an diesem Sonntag in die heisse Phase eintritt. In einem Referendum stimmen die Bürger über die Einführung des Mehrheitswahlrechts nach britischem Vorbild ab. Die PO hatte die Abstimmung lanciert, die vermutlich an der Mindestbeteiligung von 50 Prozent scheitern wird. Kopacz zöge in diesem Fall mit der Last zweier Niederlagen in die Schlacht. Im Mai hatte der damals nahezu unbekannte PIS-Politiker Andrzej Duda bei der Präsidentenwahl völlig überraschend den beliebten PO-Amtsinhaber Bronislaw Komorowski besiegt.

Dudas Sieg war ein Fingerzeig: Nein, die meisten Polen haben vermutlich nicht vergessen, was Kaczynski ihnen einst zugemutet hat. Aber ja, sie sind unzufrieden! Unzufrieden mit der PO, die seit acht Jahren regiert, lange unter Führung des heutigen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk, inzwischen mit Kopacz an der Spitze. Beiden ist es nicht gelungen, die Menschen für sich zu gewinnen. Polen ist und bleibt zwar ein enorm erfolgreiches Wirtschaftswunderland. Aber viele Bürger glauben, für den Erfolg mit sozialen Härten zu viel bezahlt zu haben. Also lieber die PIS wählen, die eine Rücknahme der Rente mit 67 verspricht?

Ja, wäre da nicht Kaczynski.

Der umstrittene Rechtspopulist greift im Wahlkampf 2015 zu einem Trick, der in Polen bestens bekannt ist – und doch ein zweites Mal verfangen könnte. Genau zehn Jahre ist es her, dass sich Kaczynski den Weg an die Macht in Warschau bahnte, indem er sich selbst aus dem Rennen nahm, vorrübergehend, um die Politbühne wenig später umso kraftvoller durch die Hintertür wieder zu betreten. 2005 schickte die PIS den weithin unbekannten Kazimierz Marcinkiewicz ins Rennen und gewann. Marcinkiewicz wurde Premier, bis ihm Kaczynski 2006 das Vertrauen entzog und selbst das Ruder übernahm.

Der Marcinkiewicz des Jahres 2015 ist eine Frau: Beata Szydlo, 52 Jahre jung, gelernte Kulturmanagerin und Sejm-Abgeordnete, verheiratet, Mutter von zwei Söhnen, kurz: eine von Skandalen «unbefleckte» Spitzenkandidatin, vor der niemand in Polen Angst haben müsste. Wäre da nicht Kaczynski, der im Hintergrund die Fäden zieht, wie Szydlos Kontrahentin Kopacz behauptet: «Kaczynski ist machtgierig. Er ist ein Puppenspieler, der seine Marionetten auf der Bühne tanzen lässt.»



Ist sie eine Wahl-Marionette, wie behauptet? Sicher ist  Jaroslaw Kaczynski und Beata Sydlo kennen sich schon länger.

Ist sie eine Wahl-Marionette, wie behauptet? Sicher ist  Jaroslaw Kaczynski und Beata Sydlo kennen sich schon länger. (Bild: Wikipedia/Piotr Drabik – CC)

Ob diese naheliegende Einschätzung die ganze Wahrheit ist, halten manche Beobachter allerdings für fraglich. Der liberale Soziologe Aleksander Smolar gibt Kopacz zwar vordergründig recht. «Szydlo ist ein Signal an die Wähler: Fürchtet euch nicht, Kaczynski wird nicht selbst regieren!» Aber er ist zugleich davon überzeugt, dass die grosse Mehrheit der PIS-Politiker inzwischen glaubt, mit dem 66-jährigen Kaczynski an der Spitze keine Wahl mehr gewinnen und vor allem nicht dauerhaft regieren zu können. Das aber wollen die jungen, aufstrebenden Rechtskonservativen. Sie treten an, um Ämter und Macht zu erringen.

Vor diesem Hintergrund prophezeit Smolar: «Wenn die PIS in die Regierung käme, würde sie kein radikales Programm umsetzen. Sie vertritt keine revolutionären Losungen mehr wie vor zehn Jahren.» Kaczynski müsste draussen bleiben. Vorexerziert hat diese Übung bereits Andrzej Duda. Der neue Präsident präsentierte sich bei seinem Antrittsbesuch in Berlin als kosmopolitischer Staatsmann, der schnell vergessen gemacht hat, dass er ein Kaczynski-Mann ist.

Nächster Artikel