Trotz Wirtschaftskrise hat die Regierungspartei Einiges Russland bei den Parlamentswahlen ihre Machtposition ausgebaut und sich eine Zweidrittelmehrheit gesichert. Die Kreml-kritischen Parteien haben den Einzug in die Duma klar verpasst. Doch die wirtschaftlichen Boomjahre sind vorbei, und auf die Duma kommen schwierige Zeiten zu.
Wladimir Putin gab sich an diesem Wahlabend gönnerhaft. Die Wähler hätten verstanden, dass die Abgeordneten «wirklich hart arbeiten, obwohl nicht immer alles klappt», versicherte er vor den andachtsvoll lauschenden Parteifunktionären von Einiges Russland. «Wir wissen, dass die Menschen harte Zeiten durchleben und es gibt viele ungelöste Probleme», dozierte Putin weiter. «Trotzdem hat die Partei gewonnen, und dazu gratuliere ich euch!»
Laut Stand von Montag Mittag kommt «Einiges Russland» mit 54 Prozent auf mehr als die Hälfte der Stimmen.
Der Präsident, der über den innenpolitischen und wirtschaftlichen Problemen zu schweben scheint – es ist nicht zuletzt dieses Image Putins, das Einiges Russland zum Wahlsieg bei den Parlamentswahlen am Sonntag verholfen hat. Zuletzt hat die Kreml-Partei massiv mit Putin geworben, der offiziell gar kein Parteimitglied ist. Im Gegensatz zur Duma, dem Parlament, das in der Bevölkerung wenig angesehen ist, liegen Putins Popularitätswerte noch bei über 80 Prozent.
Es war eine eigentümliche Trägheit, die diesen Wahlkampf begleitet hat. Vor allem in den Metropolen St. Petersburg und Moskau, traditionell stärker dem Kreml-kritischen Lager zugewandt, blieben zwei von drei Wahlberechtigten der Urne fern.
Kleine Parteien als Opfer der Liberalisierung
Die beiden demokratischen Oppositionsparteien Jabloko und Parnas sind mit 1,85 respektive 0,7 Prozent klar an der Fünfprozenthürde gescheitert. Dass diesmal mehr Parteien antreten durften, als noch bei den Parlamentswahlen 2011, ist für die Kleinparteien vom Segen zum Fluch geworden: 13 Prozent der abgegebenen Stimmen entfallen auf Parteien, die den Sprung in die Duma nicht schaffen.
So gering war das Interesse noch nie: Nur 45 Prozent der Wahlberechtigten gaben wie hier in Stavropol ihre Stimme ab. (Bild: Reuters/EDUARD KORNIYENKO)
Dementsprechend erhöht sich der Mandatsanteil der vier Parteien, die es ins Parlament schaffen: Einiges Russland erreicht nach derzeitigem Stand mit 343 Mandataren eine überwältigende Zweidrittelmehrheit. Die Partei hat bei den Direktmandaten, die erstmals seit 2003 wieder für die Hälfte der 450 Duma-Sitze eingeführt wurden, erst so richtig abgeräumt: 203 der 225 Direktmandate fallen nach aktuellem Stand der Kreml-Partei zu. Neben Einiges Russland ziehen mit den Liberaldemokraten des Rechtspopulisten Wladimir Schirinowski, den Kommunisten und der Partei Gerechtes Russland drei systemkonforme Parteien ins Parlament ein.
Kreml-treuer als je zuvor
Somit ist die Duma konservativer und Kreml-treuer als je zuvor. Von einem «Ein-Parteien-Parlament unter formeller Einhaltung der Demokratie» schreibt der Kolumnist Kirill Martynow in der Oppositionszeitung «Nowaja Gaseta». Auf die Duma kommen jedoch schwierige Zeiten zu: Mit dem niedrigen Ölpreis sind die wirtschaftlichen Boomjahre vorbei.
Diese Duma wird die erste seit Langem sein, die während einer Wirtschaftskrise antritt und den Staatshaushalt bei schrumpfenden Ressourcen bewältigen muss. Um die weitere Kürzung von Sozialausgaben – bei zugleich teuren internationalen Einsätzen wie in Syrien – werde sie nicht herumkommen, prophezeien Beobachter. Für 2016 rechnet die russische Zentralbank wieder mit einem Minus von 0,3 bis 0,7 Prozent des BIP.
Schiriniowskis Wahlerfolg sei «ein Aufruf zur Fortsetzung der Militarisierung».
Wenig dürfte sich indes an der Außenpolitik ändern. Sie gilt als das Steckenpferd von Präsident Putin, der vor allem mit seinen internationalen Muskelspielen bei den russischen Wählern gepunktet hat. Dass der Rechtspopulist Schirinowski, der für seine aggressive anti-westliche Rhetorik bekannt ist, mit knapp 14 Prozent als heimlicher zweiter Wahlsieger gilt, wird als Signal gesehen, den Kurs zu halten. «Ein Aufruf zur Fortsetzung der Militarisierung», formuliert es Martynow.
Keine ehrliche Wahl, aber auch nicht so gefälscht wie früher
Eine Art Erneuerung soll es immerhin in der Regierungspartei selbst geben: Rund 60 Prozent der Sitze, die auf Einiges Russland entfallen, gehen an unverbrauchte Gesichter aus Medizin, Medien und Wirtschaft. Frischer Wind oder nur Kosmetik?
«Die Leute, die über Direktmandat in die Duma gekommen sind, werden weniger mit der Parteiführung verbunden sein als vielmehr mit regionalen Interessengruppen», sagt die Politologin Jekaterina Schulmann zur TagesWoche. «Es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Leute in der Duma mehr Rechte für sich einfordern werden, unabhängig von ihrer parteilichen Zugehörigkeit.»
Der Kreml feiert das Ergebnis als einen erfolgreichen Stimmungstest für die Präsidentschaftswahlen 2018.
Der Kreml feiert das Ergebnis als einen erfolgreichen Stimmungstest für die Präsidentschaftswahlen 2018. «Wieder hat der Präsident ein imposantes Vertrauensvotum vom Volk erhalten», so Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Wichtiger als das Ergebnis seien aber «die Schlüsse, die der Kreml daraus zieht», schreibt Tatjana Stanowaja vom Zentrum für politische Technologien in Moskau: «Die Wahlen haben eine wichtige Funktion für die Elite: Sie sind ein Versuchsfeld für die künftigen Anwärter für Top-Positionen in der Machtpyramide, die sich nach den Präsidentschaftswahlen 2018 formieren wird.»
Im Vergleich mit 2011 vielleicht sogar erfüllt: Ella Pamfilova, die Leiterin der Wahlkommission, hatte die «ehrlichsten Wahlen» versprochen. (Bild: Reuters/SERGEI KARPUKHIN)
Die «ehrlichsten Wahlen» hatte die neu ernannte Leiterin der Wahlkommission, Ella Pamfilowa, den Russen versprochen. Doch von einem fairen Wettbewerb aller Parteien konnte auch diesmal keine Rede sein, am Wahltag wurden zahlreiche Wahlfälschungen dokumentiert. Immerhin: Im Gegensatz zu den Wahlen 2011, als sich Massenproteste entzündeten, hätten sich die Fälschungen diesmal zumindest in Grenzen gehalten, räumen Wahlbeobachter ein.
Doch es scheint, als hätten auch die Russen selbst an diesen vordergründig «ehrlichen Wahlen» inzwischen das Interesse verloren: Mit 48 Prozent ist es die niedrigste Wahlbeteiligung in der Geschichte Russlands.