Egli, gopferdelli, hau den Sack weg

Andy Egli, Abräumer und Romantiker mit wippendem Gang, erklärt uns den modernen Fussball und entschuldigt sich endlich für Cagliari 1992.

Die ganze Schweiz kennt seinen wippenden Gang. Der ganzen Schweiz erklärt er Fussball. (Bild: Michael Würtenberg)

Andy Egli, Abräumer und Romantiker mit wippendem Gang, erklärt uns den modernen Fussball, entschuldigt sich endlich für Cagliari 1992 und erklärt, was ihn zum Linken machte.

Wir wissen auch nach zwei Stunden Andy Egli nicht, was wir von Andy Egli halten sollen. Mögen wir ihn? Ist er uns sympathisch? Der ehemalige Fussballer ist eine seltsame Mischung. Wir denken an die Böcke seiner Aktivzeit, den viel zu kurzen Abwehrschlag gegen Italien, das dumme Eigentor gegen die USA. Wir denken an seine MBT-Schuhe, auf denen er vor nicht allzu langer im Fernsehstudio herumwippte und die Sportteile der Schweizer Zeitungen rezitierte. Gleichzeitig ist er ein unbestrittener Fussballkenner, ein engagierter Bürger, politischer als viele seiner Fussballkollegen. Er mag nicht der grösste Sympathieträger sein. Aber spannend, das ist Andy Egli allemal. 

Herr Egli, vor Kurzem haben Sie einen YB-Spieler nach einem verunglückten Abwehrversuch im Europa-League-Spiel gegen Liverpool scharf kritisiert: Dusan Veskovac hätte es nach seinem Hackentrick im eigenen Strafraum verdient, von den Mitspielern vermöbelt zu werden. Eine brutale Aussage, wenn man bedenkt, dass sich Veskovac bei der Aktion verletzt hat.

Ich wollte es eigentlich noch krasser ausdrücken, ich habe mich fast nicht mehr erholt! In meiner Zeit hätte Veskovac nach dieser Aktion auch noch das andere Bein kaputt gehabt, wir hätten ihn windelweich geschlagen!

Tatsächlich?

Ich übertreibe natürlich. Aber sein Verhalten war unentschuldbar. Unentschuldbar! Er wollte sich persönlich profilieren, wollte eine coole Geste machen. Dabei ist er doch ein Innenverteidiger! Der Inbegriff eines soliden, technisch nicht überdurchschnittlich begabten Fussballers. Er müsste sich auf das Wesentliche konzentrieren, er ist für die Stabilität der Abwehrachse, des gesamten Teams mitverantwortlich. Und dann macht der einen solchen Mist. Bei einem solchen Match!

Sie sind ziemlich gnadenlos.

Schauen Sie: Fehler machen geht in Ordnung. Wenn man es respektvoll macht. Wenn man das Beste für sein Team will, dann sieht dir jeder jeden Fehler nach.

War Ihr Fehler damals in Cagliari denn ein «ein guter Fehler»? Vor 20 Jahren, als sie nach der 2:0-Führung der Schweizer Nationalmannschaft den Ball nicht aus dem Sechzehner brachten und damit die Aufholjagd der Italiener lancierten? Wir wollen Ihnen ja keine Vorwürfe machen, Herr Egli, aber dieses 2:2 war ein grosses Kindheitstrauma von uns.

Gut fragen Sie mich das! Denn ich kann es beurteilen, ich war ja da. Ich sah Georges Bregy, aussen am Sechzehner. Und gleichzeitig dachte ich: nur weg! Mit einem Kick, weit raus.

Eben: weit raus!

Tja, ich sah halt auch das konstruktive Element. Obwohl ich das technische Vermögen nicht unbedingt hatte, dachte ich, ich könne Bregy aussen am Strafraum anspielen. Es war eine Fehleinschätzung. Kam dazu, dass auch Bregy schlecht reagierte, er hat nicht mit meinem Pass gerechnet.

Er war schuld?

Ich delegiere die Verantwortung nicht. Und ich könnte nun auch noch hinein interpretieren, dass ich den Roberto Baggio nicht gesehen habe. Ich war überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben! Der Ball war ein Halbvolley, tickt leicht auf und ich dachte, ich könne Bregy anspielen. Italien hat in der zweiten Halbzeit nur noch angegriffen, angegriffen, angegriffen, und ich wollte versuchen, den Ball in den eigenen Reihen zu halten. Es war ein schlechter Entscheid. Da gibt es nichts zu diskutieren. 

 

Das Italien-Spiel war der Beginn einer Kampagne, während der Sie der «Blick» aus der Nationalmannschaft schreiben wollte.

Was heisst wegschreiben? Wegpfeifen!

Sie sprechen das Tschechien-Spiel vor der WM an. Wie geht man mit den Pfiffen um?

Wenn ich mich daran erinnere, muss ich sagen: Was Alex Frei im eigenen Stadion erleben musste, war schon ganz bitter. Beim Spiel gegen Wales haben von den 26’000 Zuschauern im St.-Jakob-Park einige Tausend wegen ihm gepfiffen.

Ich habe mehr Stunden auf dem Schulhausplatz geschuttet als in Schweizer Stadien.

Und bei Ihnen und dem Tschechen-Spiel?

Da war es das ganze Stadion. Ich wurde zehn Minuten vor Schluss für Dominique Herr eingewechselt und in Hardturm, meinem Stadion!, haben aus meiner Wahrnehmung alle 16’000 Zuschauer gepfiffen.

Will man in einem solchen Moment nicht lieber wieder gehen?

Nein. Es war mir in diesem Moment egal. Ich brauche keine Zuschauer, um meine bestmögliche Leistung abzurufen. Ich schutte einfach gerne. Ich habe mehr Stunden auf dem Schulhausplatz geschuttet als in Schweizer Stadien. Ich bin Bähnler-Sohn und wir hatten damals einen riesigen Platz, 200 Meter lang, 30 Meter breit. Stunden habe ich auf diesem Platz verbracht. Zwei gegen zwei, drei gegen drei, vier gegen vier. Zwei Steine, ein Tor. Dagegen sind die 500 Spiele, die ich als professioneller Spieler absolviert habe, gar nichts.

Wird man nicht auch Fussballer, um geliebt zu werden?

Ich nicht. Mein Anspruch war immer, guten und erfolgreichen Fussball zu spielen, nicht geliebt zu werden.

Wie erklären Sie sich die Pfiffe?

Ich war länger verletzt, war schon 15 Jahre in der Nationalmannschaft. Oft bin ich aufgefallen durch meine grosse Klappe, das polarisiert halt. Ihr arbeitet doch für ein Medium und wisst wie das funktioniert: Was langweilt, wird nicht gelesen. Das interessiert niemanden.

Was wir nicht mehr wissen: Haben Sie danach an der WM in den USA gespielt?

Keine Minute.

Warum?

Weil Dominique Herr besser war. Ich kam nur zurück von meinen zwei Kreuzbänder-Verletzungen, weil ich meine Karriere mit einem grossen Turnier abschliessen wollte. Damals wurden wir Meister mit Servette und ich spielte von den 14 Spielen in der Finalrunde nur vier. Die ersten zwei und die letzten zwei. Und obwohl ich meistens Ersatz war, hat mich Roy Hodgson ins Kader genommen. Ich kannte ihn am besten von allen. Und er wusste: Ich würde ihn hundertprozentig unterstützen, so wie ich es auch schon bei Xamax unter seiner Verantwortung gemacht hatte.

Hodgson liess damals die gesamte Stammelf die Vorrunde durchspielen. Gegen Spanien im Achtelfinal fehlte danach die Luft. Ein Riesenfehler!

Und nicht der einzige. Es war halt totales Neuland für ihn wie fürs Team. Trotzdem war die WM ein Erfolg, wir überstanden die Vorrunde.

Vor einer Woche waren Sie bei der Präsentation der Biographie von Alex Frei. Sie mögen ihn sehr. Weil es so viele Parallelen zwischen ihnen gibt?

Die gibt es tatsächlich massenhaft. Auch ich habe das Maximum aus meinen Möglichkeiten herausgeholt. Vom Status her ist er höher einzustufen, weil er in der Offensive spielt und bei ein paar Turnieren mehr mitgemacht hat. Aber er hat, wie ich, eigentlich nicht alle Voraussetzungen mitbekommen für den Fussball. Die technischen Fähigkeiten, die Schnelligkeit oder auch die Robustheit.

Unterschiede gibt es bei der politischen Haltung. Alex Frei gilt eher als bürgerlich, Sie als Linker. Sie unterstützen auch offensiv politische Kampagnen wie etwa jene zum Asylreferendum. Das ist die grosse Ausnahme bei Fussballern.

Sollte es aber nicht sein. Ich will doch wissen, worüber ich abstimme! Vor drei Wochen war Abstimmungswochenende. Was hattet Ihr in Basel?

Wir wählten ein Mitglied des Regierungsrats.

In Bern haben wir das ganze Parlament und die Exekutive gewählt. Und wisst ihr, wieviel an die Urne gingen? Nur ein gutes Drittel. Das ist doch ein Skandal! Und gleichzeitig hat es Politiker im nationalen Parlament, die eine Volkswahl des Bundesrats propagieren. Die haben doch einen Sprung in der Schüssel! Es gibt viele solche Dinge, die im politischen Alltag passieren, bei denen ich nur den Kopf schütteln kann. Das Asylgesetz geht auch in die Richtung. Wenn man sieht, was in Sachen Globalisierung in den letzten 20 Jahren abgegangen ist auf der Welt, dann ist es nicht zu akzeptieren, wenn ein Staat mit einer so grossen humanitären Tradition wie unser Land eine Palisade um sich herum aufstellen will. Dieses demonstrative Haltung «Lasst uns in Frieden!» finde ich unglaublich.

«Lasst uns ins Frieden» sagt sich auch das Volk. Sie haben die tiefe Stimmbeteiligung ja schon angesprochen.

Ja, und das enttäuscht mich massiv. Ich habe mehr Erwartungen an den volljährigen und handlungsfähigen Bürger. Ich erwarte, dass er die Auseinandersetzung mit politischen Themen akzeptiert. Ignoranz ist die schlimmste Krankheit.

Das Scheitern der Gewerkschaft hatte aber weniger mit meiner linken Haltung und mehr mit der Ignoranz der Kollegen zu tun.

Ist man im Fussball als Linker nicht fehl am Platz?

Darüber mache ich mir keine Gedanken. Mein Vater war SP-Aktuar, das hat mich geprägt. Darum habe ich wohl auch die Fussballer-Gewerkschaft gegründet. Deren Scheitern hatte aber weniger mit meiner linken Haltung und mehr mit der Ignoranz der Kollegen zu tun. Unsere Mitglieder haben in den der 90er-Jahren nicht gecheckt, dass sich der Profifussball zu einer riesigen Sache entwickeln wird.

Aber grundsätzlich waren doch Ihre Kollegen viel politischer als die heutigen Fussballer. Nicht?

Das mag sein. Das ist vielleicht der Preis für die Entwicklung des Profifussballs. Es ist so viel Geld im Spiel, da können die Athleten nicht an dem Ast sägen, auf dem sie sitzen. Und mit politischen Aussagen mögliche Sponsoren vor den Kopf stossen.

Haben die jungen Fussballer überhaupt eine Meinung, mit der sie jemanden vor den Kopf stossen könnten? Die machen ja nicht viel mehr, als zu trainieren und Playstation zu spielen.

Das ist eine provokative Frage. Aber es stimmt schon: Viele Athleten gehen jeder politischen Einschätzung aus dem Weg. Aus einer Unsicherheit heraus, weil sie sich nicht auskennen mit dem Thema. Und vor allem: Weil sie nicht negativ auffallen wollen. Wir leben eben nicht mehr in den romantischen Zeiten, wir leben in einer Zeit der neuen Sachlichkeit, des Big Business.

Das ist nicht schön.

Ja, gewisse Dinge waren früher besser. Einige Entwicklungen gefallen mir überhaupt nicht und das geht über den jungen Fussballer hinaus und betrifft den jungen Menschen im Allgemeinen. Sie sind so mediengesteuert, wenn da im Elternhaus nichts passiert, führen alle Wege in die Ignoranz.

Ich bin schon mehrfach in Menschen reingelaufen, die mich nicht wahrgenommen haben, weil ihre Konzentration auf dem iPhone war. Sie schauen einfach nicht!

Ist das nicht ein wenig düster?

Ich erlebe es ja täglich. 95 Prozent meiner Kilometer spule ich mit dem öffentlichen Verkehr ab. Ich bin schon mehrfach in Menschen reingelaufen, die mich nicht wahrgenommen haben, weil ihre Konzentration auf dem iPhone war. Sie schauen einfach nicht! Und manchmal habe ich in solchen Momenten keine Lust, auf die Seite zu gehen.

Andy Egli, der Abräumer in der Bahnhofshalle?

Tja, manchmal kommt dabei auch jemand ins Straucheln, aber das sind meistens lustige Begegnungen.

Sie kritisieren mangelnde Aufmerksamkeit auch im Fussball. Bei den Clubs gehe das Familiäre kaputt, haben Sie kürzlich in einem Interview gesagt. Auch beim FCB?

Ich war schon sehr erstaunt über die Entlassung von Heiko Vogel. Aber nur anfangs. Für einen Verein gibt es eben drei Kriterien, die bei der Frage nach dem Verbleib eines Cheftrainers entscheidend sind. Erstens: die sportlichen Resultate. Zweitens: die Sozialkompetenz des Coaches und drittens dessen öffentliche Wahrnehmung. Und in all diesen Punkten beurteilte der FCB den Trainer offenbar als ungenügend.

Es gibt Leute, die behaupten, unter Vogel seien die Spieler nicht mehr voll motiviert gewesen. Teilen Sie diesen Eindruck?

Das ist meiner Meinung nach Quatsch. Ich habe viele Trainings und viele Spiele gesehen und konnte dabei keinesfalls grosse Unterschiede im Auftritt der Mannschaft erkennen.

Gigi Oeri, die frühere Geldgeberin und Präsidentin, hat im Gespräch mit dem «Sonntag» die jetzige Clubführung kritisiert – unter anderem auch, weil Alex Frei seine Karriere Ende Saison beendet. Hätte man ihn halten sollen, halten müssen?

Ich mache keine Clubpolitik und kann den ganzen Fall höchstens aus der Perspektive von Alex Frei beurteilen. Er ist ein intelligenter Typ und hat natürlich gemerkt, in welch schwieriger Phase er ist. Das lässt sich ja allein schon an der Tor-Statistik ablesen. Hinzu kommt die Geburt seiner Tochter, die ihm eine ganz neue Perspektive im Leben eröffnet hat – neben dem Fussball. Das ist legitim. Darum muss man auch seinen Entscheid respektieren, zurückzutreten und sich mehr Zeit für sich und seine Familie zu nehmen.

Wie schwierig war es für Sie, mit dem Profifussball aufzuhören?

Bei mir war das etwas anders als bei Alex. Ich war 36 und hatte zwei schwere Kreuzbandverletzungen hinter mir. Ich war nicht mehr voll leistungsfähig und sass häufiger auf der Ersatzbank, als dass ich spielte. Da wird einem rasch klar, dass man aufhören muss. Selbstverständlich war ich aber auch als Ersatzspieler immer sehr loyal zur Mannschaft und zum Verein. Sonst wären wir in meiner letzten Saison auch nicht Meister geworden.

Ein Spieler wie Sie, der sehr stark vom Einsatz lebte – könnte der sich heute noch durchsetzen im modernen Fussball?

Sicher. Alex ist ja der beste Beweis dafür.

Aber einen Abräumer wie Sie – den gibt es heute doch nicht mehr.

Den kann es gar nicht mehr geben, weil sich die taktischen Anforderungen stark verändert haben. Hinzu kommt, dass die Sanktionen brutal hart geworden sind. Ein echter Abräumer wäre heute ständig gesperrt. Wobei ich da jetzt auch wieder relativieren muss: Auch früher wurde der Gegner immer hunderprozentig respektiert. Willentlich wurde nie jemand abgestochen.

Neben «Cagliari» müssen wir noch ein anderes düsteres Kapitel aus der Geschichte des Schweizer Fussballs aufarbeiten. Die 4:0 Niederlage auswärts gegen Russland in der WM-Qualifikation 1985.

(Verzieht das Gesicht). Da stand es schon zur Pause 4:0. Ich erinnere mich, als wärs gestern gewesen.

Vor Ende der 80er-Jahre gab es noch keine Dopingkontrollen im Fussball. Und was nicht verboten war, war eben erlaubt. Das kam den medizinischen Abteilungen entgegen, die schon damals kreativ waren.

Später hiess es, die Schweizer hätten die falschen Substanzen zu sich genommen und seien darum nicht so ganz klar im Kopf gewesen.

Das müssen Sie in einem grösseren Kontext sehen. Vor Ende der 80er-Jahre gab es noch keine Dopingkontrollen im Fussball. Und was nicht verboten war, war eben erlaubt. Das kam den medizinischen Abteilungen entgegen, die schon damals kreativ waren. Ich persönlich habe punktuell, bei Europacup- und Nationalmannschaftspartien, ein Mittel auf Basis von Amphetamin zu mir genommen.

War Ihnen bewusst, was drin war?

Damals natürlich nicht. Aber weil nach der Einnahme ein euphorisierendes Gefühl entstand, konnte es nichts Schlechtes sein. Allerdings liess sich die Wirkung nur schwer kalkulieren.

Haben alle Spieler zugegriffen?

Ich beurteile nur meine persönliche Situation.

Wissen Sie, ob die heutigen Spielern noch immer solche Mitteln nehmen?

Die Forschung und Entwicklung leistungsfördernder Präparate wird es auch in Zukunft geben, weil ja auch der Sieg immer wichtiger wird. Im Fussball sind die Kontrollen heute aber umfassend und die Wirkung ohnehin begrenzt, weil auf dem Platz vor allem die Koordination eine wichtige Rolle spielt. Eine anderes Thema ist die Regeneration. Da weiss man ja zum Beispiel von Juventus Turin, dass systematisch Mittel eingesetzt wurden, um diese Phase möglichst zu verkürzen.

Wie passt das zusammen – Ihre linke Grundhaltung, Ihr Engagement für Solidarität in der Gesellschaft einerseits und Ihre Karriere in dem knallharten Fussballbusiness andererseits?

Da sehe ich überhaupt keinen Widerspruch. Der Teamgedanke ist im Fussball extrem wichtig. Eine Mannschaft muss alles daran setzen, um den Gegner zu bekämpfen und als Sieger vom Platz zu gehen. Das geht nur gemeinsam. Dann gibt es aber auch noch den Konkurrenzkampf innerhalb einer Mannschaft. Zugegeben: Auch das kann zu einem Überlebenskampf werden, weil am Spieltag jeweils immer nur 11 Mann auf dem Feld stehen und das Kader heute aus 25 oder sogar noch mehr Spielern besteht. Zu meinen Zeiten waren es noch 18, entsprechend grösser ist der Druck geworden. Dafür wird heute wegen den vielen Spielen mehr rotiert, was den Konkurrenzkampf wiederum etwas entschärft.

Haben Sie eigentlich nie genug vom Fussball und dem ganzen Tamtam um das eigentlich doch recht banale Spiel?

Banal – ho ho! Das ist jetzt aber huere frech! Fussball verlangt alles – Härte zum Beispiel und gleichzeitig auch Solidarität. Und Fussball ist alles – völlig einfach und doch hochkompliziert, wenn man etwa dafür sorgen muss, dass die verschiedenen Linien ineinander greifen. Das ist wie bei einem grossen Konzert, bei dem alles perfekt aufeinander abgestimmt ist. Voller Harmonie, so muss auch Fussball sein. Nur gibt es da dann auch noch einen Gegner, der einem ins Handwerk pfuscht. Ein Musiker muss sich auf der Bühne nie dagegen wehren, dass ihm das Instrument aus der Hand gerissen wird, was die Sache schon wieder etwas einfacher macht.

Klingt ganz danach als würden Sie selbst auch gerne wieder an der Linie stehen und dirigieren.

Das könnte ich mir schon gut vorstellen, auch wenn ich eigentlich schon jetzt jeden Tag Trainer bin. Daheim habe ich eine Mannschaft und auch in der Trainerausbildung und bei der Firmenberatung habe ich immer wieder ein Team vor mir.

Warum erhalten denn nicht auch mal Sie wieder einmal einen interessanten Job bei einem Super- oder Challenge-League-Verein?

Vielleicht ist mein Palmarès zu bescheiden, vielleicht liegts auch an meiner Grundhaltung. Ich will überall, wo ich bin, mitbestimmen und Einfluss nehmen können. Gut möglich, dass es in dem einen oder anderen Club schon Führungspersonen gibt, die sagen: Nein, so einen wollen wir nicht, das ist uns zu kompliziert.

Warum kann sich dann so einer wie Rolf Fringer seit Jahren durch alle möglichen Vereine hangeln, obwohl er nirgendwo mehr wirklich Erfolg hat?

Da bin ich jetzt nicht einverstanden mit Ihrer Sichtweise. Der Rolf, der hat den Palmarès, der mir ein wenig fehlt. Ich war immer wieder bei potenziellen Abstiegskandidaten, er ist mit Aarau und GC Meister geworden. Er hatte immer wieder Erfolg, auch wenn ihm zuletzt die Nachhaltigkeit gefehlt hat. Aber gut: Beim FC Zürich hat man ihm auch die nötige Zeit nicht gelassen. Ein Trainer braucht mindestens ein Jahr, um in einem Club wirklich etwas verändern zu können. Wenn er kommt, muss er sich ja erstmal mit den bestehenden Strukturen und bestehenden Verträgen arrangieren. Umso bedenklicher ist die durchschnittliche Verweildauer eines Trainers in der Schweiz: sechs Monate. In dieser Statistik sind wir übrigens Spitze – noch vor den Serben und den Griechen. Das ist schon etwas erstaunlich.

Diese ganze Heimlichtuerei und diese Kontrollen haben mir schon gestunken, ich bin eben ein bisschen ein Rebell.

In diesen beiden Ländern haben Sie noch nicht gearbeitet, aber dafür unter anderem in Nordkorea. Welche Erfahrungen haben Sie dort gemacht?

Diese ganze Heimlichtuerei und diese Kontrollen haben mir schon gestunken, ich bin eben ein bisschen ein Rebell. Darum habe ich irgendwann mal versucht, mich aus dem Hotel abzusetzen und mir wenigstens den Bahnhof anzusehen, der nur ein paar Hundert Meter entfernt war. Aber keine Chance. Da waren überall Soldaten und Aufpasser – und ich landete bald wieder im Hotel, wo man schon über alles Bescheid wusste.

Wenn man frühere Schilderungen von Ihnen liest (Weltwoche, online nicht verfügbar), erhält man den Eindruck, Sie seien bei den Menschen dort recht gut angekommen, auch wenn die Ihnen bis zuletzt etwas fremd geblieben sind.

Das ist eine weitere Grundhaltung von mir: Ich nehme alle Menschen ernst und respektiere sie. Auch wenn ich vielleicht schon mehr gesehen und erlebt habe als andere, zwinge ich niemandem irgendetwas auf. Gemeinsam etwas aufzubauen, das ist mein Ziel und das wird meistens auch geschätzt, auch von asiatischen Fussballern, die in der Regel schon noch recht autoritätsgläubig sind. Da werden keine Fragen gestellt, da wird einfach gemacht. Widerrede gibts schon gar nicht.

Warum geht man als Fussballexperte in ein Land wie Nordkorea?

Ich habe gute Beziehungen zur Fifa, die in fussballerischen Entwicklungsländern immer wieder solche Projekte durchführt, um das Knowhow und die Infrastruktur verbessern. Der Weltfussballverband macht mit dem vielen Geld, das er einnimmt, eben schon auch viel Gutes. Und dabei setzt er gerne auf Coaches wie mich, die niemanden belehren wollen, sondern anderen helfen, sich selbst weiter zu entwickeln.

Unternehmen Sie bald wieder ein Abenteuer ähnlich wie jenes in Nordkorea?

Das ist gut möglich, aber frühestens übermorgen. Heute und morgen habe ich genug hier zu tun.

Herr Egli, kommen wir nochmals auf unsere Anfangsfrage zurück.

Aha, sehr gut: Der Kreis schliesst sich.

Bekamen Sie nach dem 2:2 gegen Italien auch links und rechts eins an den Grind, so wie Sie es im Fall von Veskovac geraten haben?

Nein. Ich habe dem Team ja auch nicht fahrlässig geschadet und war selbst wohl am meisten kaputt. Darum sagten die anderen in der Kabine nicht einmal was. Nur gedacht haben sie – wahrscheinlich das Gleiche wie ihr zwei: Egli, gopferdelli, warum hast du den Sack nicht einfach weggehauen?

Der linke Innenverteidiger
Ein feiner Techniker war er nicht, der Andy Egli (54). Als Fussballer brachte er es dennoch weit. Er verteidigte in den 1970er-, 1980er- und 1090er-Jahren unter anderem für die grossen Grasshoppers, ­wurde mehrfach Meister und Cupsieger. 77-mal spielte er in der Nationalmannschaft. Nach seiner aktiven Karriere trainierte ­ Egli mehrere Mannschaften. Heute arbeitet er von Bern aus als Coach – im Sport wie in Wirtschaftsbetrieben. Fürs Fernsehen ist er ­zudem als Fussballexperte tätig. Politisch gilt Egli als Linker – unter anderem weil er Politiker wie Pascale Bruderer oder Matt­hias ­Aebischer (beide SP) im Wahlkampf unterstützte.

Quellen

Offener Brief an Andy Egli.

Andy Egli über seine Gewerkschaft.

Sein Rauswurf beim SF.

1.-August-Rede in Amriswil

Interview mit Regiofussball.ch

Pauseninterviews Cupfinal 1985 Aarau-Xamax (ab Minute 5, erster Auftritt als Experte)

Italien-Schweiz 1992

Statistik-Seite zur Karriere von Andy Egli

Andy Egli goes Punk

Nächster Artikel