Ein Dorf an der Nabelschnur des Atomkraftwerks

Fessenheim bangt um seine Existenz, sollte das umstrittene Atomkraftwerk schliessen. Dabei erhält die Elsässer Gemeinde prominente Unterstützung: Nicolas Sarkozy schielt auf ein politisches Comeback mit Hilfe des AKW.

FOTO: TAGESWOCHE/STEFAN BOHRER ORT: FESSENHEIM/FRANKREICH - 13.3.2015: REPORTAGE AUS FESSENHEIM (Bild: Stefan Bohrer)

Fessenheim bangt um seine Existenz, sollte das umstrittene Atomkraftwerk schliessen. Dabei erhält die Elsässer Gemeinde prominente Unterstützung: Nicolas Sarkozy schielt auf ein politisches Comeback mit Hilfe des AKW.

Der Bäckerin ist sofort klar, dass die Medien nicht wegen ihren Pâtisseries hier sind: «Gehts um das Atomkraftwerk?», fragt sie mit einem müden Lächeln, als wir den Laden betreten. «Darüber möchte ich nicht sprechen», gibt sie klipp und klar zur Antwort. Ähnlich barsch fallen die Reaktionen der meisten Passanten aus: Die Medienmüdigkeit sticht in Fessenheim deutlich hervor.

Das wenige Leben konzentriert sich an einem Freitagmorgen auf den Bankomaten, die Dorfmetzgerei und die Mairie. Mit den pittoresken Bauernhöfen und seinem etwas verschlafenen Dorfzentrum unterscheidet sich die 2300-Seelen-Gemeinde nicht von einer typischen Elsässer Ortschaft – wären da nicht die weiten Felder und Äcker mit unzähligen Strommasten.

FOTO: TAGESWOCHE/STEFAN BOHRER ORT: FESSENHEIM/FRANKREICH - 13.3.2015: REPORTAGE AUS FESSENHEIM

Anderthalb Kilometer vom kleinen Dorfkern entfernt, ein Katzensprung von der deutschen Grenze, befindet sich das älteste noch in Betrieb befindliche Atomkraftwerk Frankreichs. Zwar hat der französische Staatspräsident François Hollande nach seinem Wahlsieg die Stilllegung Fessenheims bis 2017 angekündigt – die baldige Umsetzung des Versprechens ist jedoch nach wie vor ungewiss, auch wenn die französische Umweltministerin Ségolène Royal ihrer deutschen Amtskollegin erst gerade eine Bestätigung gab, wie die «BZ» berichtet.

Heisses Eisen und Resignation im Dorf

Dieses heisse Eisen, welche die Elsässer Gemeinde immer wieder ins Rampenlicht rückt, fasst man in «Fàssene» nicht gerne an. So sind auch im Restaurant «Chez Valerie» die Reaktionen zaghaft. Gestandene Herren treten ein, um Lottoscheine zu fassen. Ein Gast, der die Pferderennwetten studiert, ist anfänglich interessiert, gibt dann aber das Wort an einen Tischnachbarn weiter, doch auch dieser winkt ab. Nur ein Rentner auf der Strasse äussert sich resigniert zu einer möglichen Schliessung des Kraftwerks: «Das liegt in den Händen der Politik», meint er schulterzuckend.

In der Brasserie «Au bon frère» lassen sich schliesslich Leute finden, die darüber sprechen wollen: Philippe und sein Sohn David geniessen das sonnige Wetter während einer Mittagspause in der Gartenbeiz. Sie stammen aus einem benachbarten Dorf und arbeiten seit vielen Jahren als Isoliertechniker im AKW. David nimmt das Thema mit Humor und meint, dass es keineswegs so zugehe wie bei den Simpsons mit Mr. Burns.

FOTO: TAGESWOCHE/STEFAN BOHRER ORT: FESSENHEIM/FRANKREICH - 13.3.2015: REPORTAGE AUS FESSENHEIM - DAVID H. ARBEITET IM AKW

«Wenn das Kraftwerk heruntergefahren wird, wird Fessenheim zum Geisterdorf», prophezeit David. Er selbst müsste sich jedenfalls einen neuen Job suchen – in einem normalen Handwerksbetrieb würde er etwa die Hälfte seines jetzigen Einkommens verdienen. Sein Vater Philippe, der schon seit etwa 30 Jahren in Fessenheim arbeitet, sieht die Gemeinde als Spielball der Politik. «François Hollande steht halt unter dem Druck der Ökologiebewegung innerhalb seiner Wählerschaft», analysiert er.

Freundlich ist der Empfang auch in der Mairie: Fessenheims Bürgermeister Claude Brender schlüpft gleich nach der Begrüssung im Büro in ein weisses Protest-T-Shirt und posiert damit lächelnd zwischen den Flaggen: «Geschlossenes Atomkraftwerk = tote Region» ist darauf zu lesen. «Es ist wahrscheinlich, dass das Kernkraftwerk Fessenheim geschlossen wird», meint der Maire.

FOTO: TAGESWOCHE/STEFAN BOHRER ORT: FESSENHEIM/FRANKREICH - 13.3.2015: REPORTAGE AUS FESSENHEIM- DER BUERGERMEISTER: VLAUDE BRENDER

Sollte dies eintreffen, sieht er schwarz für die Gemeinde. Nicht nur für die rund 300 Fessenheimer, die dort arbeiten, sondern für die gesamte Region hätte dies Konsequenzen. «Es stehen rund 2200 Arbeitsplätze auf dem Spiel», hält Brender fest. Weite Teile des Gewerbes und der Infrastruktur hingen daran. Zudem sorge das AKW für den Löwenanteil des Geldes in der Gemeindekasse – laut Brender etwa 80 Prozent des Budgets.

Sarkozy verspricht zehn weitere Jahre für das AKW

Zur Verteidigung der in die Jahre gekommenen Reaktoren wurde daher von Gewerbevertretern das Aktionskomitee «Fessenheim notre énergie» ins Leben gerufen. Schützenhilfe für die AKW-Befürworter kommt von prominenter Stelle: Der ehemalige Staatspräsident Nicolas Sarkozy hat dem Elsässer Dorf am 12. März einen Besuch abgestattet. Der Abgeordnete der Nationalversammlung Michel Sordi (UMP), welcher das Anliegen ebenfalls unterstützt, hat ihn ins Elsass geholt.

Für das angekündigte Comeback bei den Präsidentschaftswahlen 2017 wittert dieser nämlich Morgenluft im Elsass. «Bei einem allfälligen Machtwechsel hat Nicolas Sarkozy das Weiterbestehen des Kraftwerks zugesichert», sagt Maire Brender. Mindestens zehn zusätzliche Betriebsjahre soll Sarkozy versprochen haben.

Auch mit den Gegnern des Kernkraftwerks hat Claude Brender viel zu tun: Er erhält regelmässig Post – viele atomkritische Broschüren liegen auf seinem Schreibtisch. Auch wenn von Kritikern unter anderem auf das Alter wie auch auf die Erdbeben- und Hochwassersicherheit hingewiesen wird, relativiert er: «Kernkraftwerke wie Beznau sind schliesslich älter – im Vergleich dazu ist Fessenheim viel näher bei den Sicherheitsstandards.»

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Zudem wirft er den Gegnern gezielte Angstmacherei vor. «Man kann doch eine Technologie nicht auf ihre Unfälle reduzieren», beschwichtigt Brender. So sei etwa der Dichtungdefekt Ende Februar von AKW-Gegnern falsch dargestellt worden – etwa mit dem Gerücht, es sei radioaktive Flüssigkeit ausgetreten. Dies erkläre auch die abweisenden Reaktionen im Dorf. «Es herrscht eine gewisse Verbitterung durch den Druck der Presse – die Medien bevorzugen stets diejenigen, die gegen Fessenheim protestieren», ist der Maire überzeugt.

Dabei ist Brender aber zuversichtlich, dass das AKW durchaus für die nächsten Jahre den modernen Standards angepasst werden könne, wenn man nur wolle. Er hofft auf die staatliche Elektrizitätsgesellschaft Électricité de France (EDF) und die Behörde für nukleare Sicherheit (ASN). Vieles hängt dabei vom neuen Druckwasserreaktor beim Kernkraftwerk Flamanville in der Normandie ab. Kommt dieser in Betrieb, wird als Kompensation ein anderes geschlossen. Dass dabei Fessenheim heruntergefahren wird, gilt als wahrscheinlich, ist aber in den Augen von Brender noch nicht in Stein gemeisselt.

Auf dem Schreibtisch des Bürgermeisters steht eine Schneckenfigur – das Tier, das auch im Wappen der Gemeinde zu sehen ist. Ein Gehäuse scheint auch die Gemeinde von Paris zu trennen, wie der Maire feststellt: «Es besteht halt eine ideologische Mauer zwischen uns und der Regierung.» Dabei wähnt er mindestens neunzig Prozent der Bevölkerung Fessenheims hinter sich. Zumindest sei ihm bis jetzt im Dorf noch niemand begegnet, der sich öffentlich gegen das Atomkraftwerk gestellt hat.

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