Ein Land geht vor die Hunde

Korruption, Arbeitslosigkeit, Stillstand: Die Spaltung von Bosnien und Herzegowina nach ethnischen Trennlinien macht eine Überwindung der tiefen politischen und sozialen Krise unwahrscheinlich. Fünf Monate nach den letzten Wahlen gibt es noch keine Regierung, und der Druck der EU hilft dabei auch nicht.

(Bild: Jasmin Brutus)

Korruption, Arbeitslosigkeit, Stillstand: Die Spaltung von Bosnien und Herzegowina nach ethnischen Trennlinien macht eine Überwindung der tiefen politischen und sozialen Krise unwahrscheinlich. Fünf Monate nach den letzten Wahlen gibt es noch keine Regierung, und der Druck der EU hilft dabei auch nicht.

In Bosnien und Herzegowina geht das Ringen um politische Ämter in eine neue Runde. Seit knapp fünf Monaten versuchen die Vertreter der drei ethnischen Gruppen, sich über die Zusammensetzung der neuen Regierung zu einigen. Dabei gaben und geben sich die Politiker immer wieder gegenseitig die Schuld für die miserable Wirtschaftslage, sie werfen den jeweils anderen Korruption vor und stellen manchmal sogar die Zusammenarbeit mit den jeweils anderen Ethnien in Frage.

Dieses Vorgehen zieht: Bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im vergangenen Oktober gewannen erneut die nationalistischen Parteien. Jene Kräfte, die sich vor zwanzig Jahren militärisch auseinandersetzten, bekamen mit dem Versprechen von Stabilität die meisten Stimmen.

In der Hoffnung, die verfestigte Situation in Bewegung zu bringen, hat die EU vergangene Woche das lang blockierte Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit Bosnien in Kraft gesetzt. Doch am Tag danach verkündeten die Vertreter der serbischen Nationalisten in der Republika Srpska ihre Absicht, das Parlament bis auf weiteres zu boykottieren, was das erforderliche Quorum für die Regierungsbildung praktisch unerreichbar macht.

Abspaltungsdrohungen und -unterstellungen gehören zum Alltag der bosnischen Politik.

Offizieller Grund ist die Unzufriedenheit der Fraktion mit der Postenverteilung an den Spitzen der parlamentarischen Ausschüsse. Kritische Kommentatoren in Sarajevo unterstellen allerdings der Führung der ethnisch serbischen Entität, sie habe eigentlich kein Interesse am Aufbau eines funktionalen Staats und strebe mittelfristig eine Loslösung von Bosnien und einen Beitritt zu Serbien. Ähnliches Gezänk gehört aber seit langem zum Alltag der bosnischen Politik.

Die Innenstädte von Sarajevo und Banja Luka sind heute noch voll mit Wahlplakaten der Parteien aller Couleur, die «ein normales Land» und «Lösungen statt Slogans» versprechen – oder die Bekämpfung der horrenden Arbeitslosigkeit, die unter den jungen Menschen bei mehr als 60 Prozent liegt. Dabei bleiben die meisten Bosnier sehr skeptisch, und das Land so gespalten wie eh und je.




Die Wahlplakate hängen noch, aber fünf Monate nach dem Urnengang gibt es immer noch keine Regierung. (Bild: Jasmin Brutus)

Eine Einigung unter den ethnisch definierten und von Korruption geprägten politischen Kräften ist jedes Mal eine wahre Quadratur des Kreises. Dementsprechend stehen die Chancen für eine Überwindung der tiefen sozialen Krise alles andere als gut. Der Hauptgrund dafür liegt nahe: Das hochkomplexe und ineffiziente politische System, das 1995 mit den Dayton-Abkommen in der Verfassung des Landes festgeschrieben wurde, bietet wenig Spielraum für die Durchsetzung tiefgreifender Reformen, die die Wirtschaft ankurbeln und die Gesellschaft gerechter organisieren könnten.

Nicht nur die grassierende Korruption plagt die aufgeblähte öffentliche Verwaltung, die seit Jahren die EU-Hilfsgelder in den Taschen von Politikern und Beamten versickern lässt. Auch die allgegenwertige nationalistische Rhetorik der wichtigsten Parteien verhindert systematisch die politische Willensbildung und stellt falsche Themen auf die Agenda. Mit Erfolg, denn bisher konnte keine echte Alternative identifiziert werden.

Die Bilanz des Besuchs war allerdings eher bescheiden: Zwar verpflichtete sich das neu gewählte Parlament dazu, das Stabilisierungsabkommen mit der EU zu implementieren. Doch die strukturellen Probleme bleiben. «Kein Weg führt daran vorbei, eine neue Verfassung ohne ethnische Kategorien zu schreiben», meint Deutschlehrer Feđa Kazlagić. «Wir haben alle die gleichen sozialen Probleme und wir wollen fast alle abhauen. Vielleicht sollte das unsere neue Identität sein.»

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