Ein Land leidet unter dem Huhn-Ei-Problem

Jeweils 55 Millionen Franken hat die Schweiz in den letzten beiden Jahren für Aufbauprojekte im Kosovo bereitsgestellt. Private Investitionen aber fliessen kaum, auch nicht aus der Schweizer Disapora an Kosovaren. Das Land ist zu instabil, die Rahmenbedingungen nicht gut genug.

Jeweils 55 Millionen Franken hat die Schweiz in den letzten beiden Jahren für Aufbauprojekte im Kosovo bereitsgestellt. Private Investitionen aber fliessen kaum, auch nicht aus der Schweizer Disapora an Kosovaren. Das Land ist zu instabil, die Rahmenbedingungen nicht gut genug.

Mit dem Import von kosovarischem Bier gehört Rexhep Berisha zu den wenigen Schweizer Exil-Kosovaren, die im Kosovo unternehmerisch aktiv sind. Tatsächlich sei die Zurückhaltung unter den potenziellen Investoren innerhalb der Diaspora – mit gegen 200 000 Kosovo-Albanern der zweitgrössten in Westeuropa nach Deutschland – tendenziell sogar noch grösser als unter den Schweizern. «Sie kennen die Verhältnisse und wissen um die schwierigen Rahmenbedingungen», sagt Max Steiner.

Weniger das Imageproblem, meint der Geschäftsführer der Handelskammer Schweiz–Zentraleuropa (SEC), sei ein Hinderungsgrund, als vielmehr die politische Instabilität und die Zersplitterung des Landes. Seine Organisation versucht im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft Seco, den Handel zu fördern. Mit rund 50 000 Franken ist das Mandat sehr bescheiden dotiert. Aus einem einfachen Grund: «Viel mehr aufzuwenden, wäre nur sehr bedingt wirksam», sagt Steiner. Bevor die Verhältnisse stabiler seien, wolle niemand investieren – und umgekehrt. Das klassische Huhn-Ei-Problem.

Von aussen kann die Situation demnach nur mit konkreten Hilfsprojekten und vor allem mit mehr Austausch und Information verbessert werden. Letzterem hat sich das Web-Projekt «Albinfo.ch» verschrieben. Die zwei Jahre alte Online-Plattform, gegründet von Bashkim Iseni und Vjosa Gërvalla, publiziert Nachrichten, Hintergründe und Service-Informationen auf Deutsch, Französisch und vor allem Albanisch. Die rund 200 Stellenprozente werden von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) namhaft mit einem knapp sechsstelligen Betrag unterstützt.

Direkte Finanzspritzen gibt es auch vom Seco über dessen Startup-Funds für Neugründungen. In pristina betreiben Seco und Deza ein gemeinsames Koordinationsbüro für die verschiedenen Aufbauprojekte vor Ort.

Die offizielle Schweiz unternimmt viel, um dem Kosovo zu helfen – sie hat in den letzten beiden Jahren jeweils rund 55 Millionen aufgewendet. Aus humanitären Projekten und dem Swisscoy-Einsatz nach dem Krieg (1998 bis 1999) wurden Anschubprojekte lanciert, die den Aufbau fördern und die Rückkehr der Geflüchteten ermöglichen sollten. Zu den wesentlichsten Infrastrukturprogrammen gehört der Aufbau einer flächendeckenden Trinkwasserversorgung. Binnen weniger Jahre konnte so der Anteil der Kosovaren, die keinen Zugang zu fliessendem Wasser haben, von über 50 auf 25 Prozent reduziert werden.

Die Projekte werden gestützt von einer politischen Strategie, für die der Bundesrat und namentlich Aus­sen­ministerin Calmy-Rey heftig kritisiert worden waren und werden: Die rasche Anerkennung des jungen Staates, keine zehn Tage nach dessen einseitiger Unabhängigkeitserklärung 2008, sorgte nicht nur in Serbien für Unmut.

Die Absicht, dem Kosovo damit rasch zu Stabilität zu verhelfen, geriet insbesondere unter heftigen Beschuss, als ausgerechnet der Tessiner Ständerat Dick Marty als UNO-Sonderbotschafter einen umfassenden Bericht zur Kriminalität und zum Verdacht auf Organhandel im Kosovo ablieferte. Mit der frühen Anerkennung der jungen Nation habe die offizielle Schweiz mögliche Kriegsverbrecher geadelt und der Vergangenheitsbewältigung im Kosovo einen Bärendienst erwiesen, monieren Kritiker.

Quellen

Albinfo: Website mit Informationen zu Kosovo, in Deutsch, Albanisch und Französisch

Koordinationsbüro von DEZA und SECO in Pristina

Handelskammer Schweiz-Zentraleuropa

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 17.02.12

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