Ein Leben zwischen Krankheit und Kampf

Seine Krankengeschichte füllt Regale, sein Ehrgeiz überwindet die grössten Hindernisse. Mario Bernasconi ist chronisch krank und kämpft seit Jahren gegen die Krankenkassen.

«Ich kann alles beweisen», beteuert Mario Bernasconi und präsentiert die Unterlagen, die seinen Kampf mit den Krankenkassen belegen. (Bild: Jeremias Schulthess)

Seine Krankengeschichte füllt Regale, sein Ehrgeiz überwindet die grössten Hindernisse. Mario Bernasconi hat in seinem Leben einiges erlebt – und er kämpft seit 30 Jahren für eine gerechte Behandlung.

Schuhe ausziehen? «So weit kommts noch», ruft Mario Bernasconi lachend. Er empfängt in seinem säuberlich aufgeräumten Wohnzimmer, es riecht nach Aftershave. Er fängt an mit einer seiner vielen Spitalgeschichten, nennt jeden Krankenpfleger und Arzt beim Namen, weiss noch die Uhrzeit, wann er auf dem Operationstisch lag.

Bernasconi ist einer derjenigen, die das Label «chronisch Kranke» tragen. Er sieht sich als Opfer des Gesundheitssystems – trotzdem löst die Einheitskasse für ihn nicht alle Probleme.

Seine Leidensgeschichte fängt an, da ist er gerade mal fünf Jahre alt: chronische Mittelohrentzündung. Sein Grossvater fährt ihn mit dem Velo von Liestal ins Claraspital. Im Behandlungszimmer sitzen ein Arzt und eine Nonne. Es gibt Glace, was der kleine Mario noch nie hatte. «Solche Sachen konnte man sich in dieser Zeit nicht leisten.»

Mit 15 Jahren muss der Blinddarm entfernt werden. Der 75-jährige Bernasconi von heute weiss nicht mehr viel darüber.

Polizist im Bürodienst

Im Alter von 34 erlebt er einen Schock. An einem nasskühlen Abend wird Bernasconi an der Neuweilerstrasse von einem Auto angefahren – Fahrerflucht. Er liegt bewusstlos am Boden, dann liefert ihn ein Privatwagen ins Bruderholzspital ein. Rippenserienfraktur und ein Lungenhämatom. Doch was die Ärzte bei einem Routine-Bluttest herausfinden, ist noch viel gravierender: Mario Bernasconi hat schwere Diabetes, schon seit Jahren.

Von diesem Tag an veränderte sich sein Leben schlagartig. Er ist als Polizist tätig und kann den Beruf vorläufig im Bürodienst auch weiter ausüben. Er muss aber fortan jeden Tag Tabletten nehmen und Insulin injizieren.

Die Krankheiten und Unfälle waren nicht das grösste Problem: Was Bernasconi fast genauso mitnimmt, sind die Querelen mit seiner Krankenkasse.

Neun Jahre später dann die nächste Episode. Eine Fusszehe musste amputiert werden, weil sie schwarz angelaufen ist. Später folgt eine weitere Zehe und am Ende der halbe Fuss. Neben dieser Behandlung müssen eine Augenoperation und vier Bypass-Operationen durchgeführt werden – jeweils komplizierte Eingriffe am Herzen. Alles steht mit Diabetes in Verbindung.

Die Liste ist noch nicht komplett: vor einigen Jahren eine gebrochene Schulter, Fussversteifung und zuletzt eine lebensbedrohliche «Legionella-Grippe». Doch die Krankheiten und Unfälle waren nicht das grösste Problem: Was Bernasconi fast genauso mitnimmt, sind die Querelen mit seiner Krankenkasse.

Krankenkassen erfinden Selbstbehalte

«Das Krankensystem ist krank», resümiert er. Warum muss er jedes Mal in der Apotheke fünf Rappen für Verbandsmaterial zahlen? Zugegeben: Es ist ein lächerlicher Betrag, aber für Bernasconi ist es ein Beispiel für die Fehler im Gesundheitswesen.

Schlimmer als die fünf Rappen treffen ihn die Kosten für Krankentransporte. Im letzten Jahr musste er zweimal mit Blaulicht ins Spital, die Versicherung zahlt dafür neuerdings 500 Franken im Jahr, stolze 1100 Franken musste Bernasconi selbst bezahlen.

Bernasconi ist ein Beispiel für die Fehler im Gesundheitswesen.

Was ihn vollends aus den Socken haut, ist ein Erlebnis aus der jüngsten Vergangenheit. Sein Arzt sagte ihm, er dürfe die Fussnägel nicht selber schneiden, weil sonst Wunden entstehen könnten. Er stellt ihm ein Rezept für professionelle Fusspflege aus. Als Bernasconi die Rechnung an die Krankenkasse schickt, kriegt er die Antwort: «Wir übernehmen keine kosmetischen Behandlungen.» Schliesslich muss er selbst bezahlen.

Auch bei seinen Spitalaufenthalten hat er die Problemzonen des Krankensystems kennengelernt. «Früher musste man im Spital nichts für Verpflegung zahlen. Heute sind es 15 Franken pro Tag – selbst für das Fernsehen musste ich 10 Franken pro Tag bezahlen.» Die Krankenkassen erfinden immer neue Selbstbehalte, wettert Bernasconi.

Früher bei der Versicherung, heute gegen die Versicherung

Er ist sich sicher, dass ihn die Versicherung loswerden wollte, weil er hohe Gesundheitskosten verursacht.

Das begründet er mit noch einem Vorkommnis: Auf einmal flatterte eine Betreibung in seinen Briefkasten, er müsse Prämienausstände nachzahlen, schrieb die Versicherung. Dabei werden die Prämien regelmässig durch die IV-Ergänzungsleistungen überwiesen. Nach endlosen Telefonaten und Briefverkehr macht die Versicherung einen Rückzieher: «Wir bedauern die fälschlicherweise erfolgte Betreibung und entschuldigen uns dafür», schreibt die Sachbearbeiterin.

Bernasconi ist erzürnt und reicht eine Beschwerde gegen die Sachbearbeiterin ein, sein Schreiben unterzeichnet er mit «Havariekommissär i. R.» – seine letzte Berufsbezeichnung. Eine Antwort erhält er nie.

Für Bernasconi ist es längst mehr als nur ein einfacher Rechtsstreit: Es ist sein persönlicher Kampf gegen die Ungerechtigkeiten des Krankenkassensystems. Und Bernasconi versteht die Versicherungsbranche, er hat einige Jahre als Schaden-Chef bei einer grossen Versicherung gearbeitet.

Ein Verein für Langzeit-Patienten

Am Ende kommt Bernasconi zur Einheitskassen-Abstimmung. Er wird ein Ja einwerfen, das ist für ihn klar. Ob eine Einheitskasse seine Situation verbessern würde, bleibt unklar – das weiss er selbst. Es ist vielmehr sein Groll auf die Krankenkassen, insbesondere auf die Millionengehälter der Chefetage, der ihn zur Urne treibt. «Warum müssen Krankenkassen Gewinn machen?», fragt er vielsagend in den Raum.

Ob eine Einheitskasse seine Situation verbessern würde, bleibt unklar – das weiss er selbst.

Einige Tage nach dem Treffen in seiner Wohnung schreibt Bernasconi, nach schlaflosen Nächten sei ihm eine Idee gekommen: Er wolle einen «Verein für Langzeit-Patienten» gründen. Das sei ein geeigneter Weg, um gemeinsam mit anderen gegen das jetzige Krankenkassensystem zu kämpfen. Er brauche Spender, ein Lokal, dann könne es losgehen mit einer Gründungsversammlung.

«Ich bin mir bewusst, dass viel Arbeit auf mich zukommt», schreibt Bernasconi abschliessend. Aber die Arbeit nimmt er in Kauf. Sein Kampf geht weiter – auch nach dem 28. September.

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Wer sich mit Mario Bernasconi direkt in Verbindung setzen möchte, erreicht ihn telefonisch unter 061 535 64 33 oder per Mail: mario-bernasconi(at)bluewin.ch

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