Saudi Arabien verliert an Einfluss und Bedeutung. Die gezielte Provokation des Iran ist kein Zeichen der Stärke, sondern der Schwäche. Im eigenen Land wächst der Unmut. Eine Analyse.
Saudi-Arabien will die bevorstehenden Friedensverhandlungen zu Syrien und Jemen nicht boykottieren. Diese Ankündigung ist seit Tagen das erste Zeichen von rhetorischer Mässigung aus dem Königreich. Auch in Teheran gab es mehrere Spitzenpolitiker, die die Vandalenakte gegen saudische diplomatische Einrichtungen bedauerten, dennoch bleibt die aktuelle Krise die schlimmste Konfrontation seit 30 Jahren zwischen den beiden regionalen Erzrivalen und das in einem Moment, da bereits mehrere Stellvertreter-Kriege toben.
Mit der Hinrichtung des prominenten schiitischen Klerikers Nimr Baqer al-Nimr am Samstag hat Saudi-Arabien seinen schiitischen Kontrahenten bewusst provoziert. Die iranische Reaktion war tatsächlich hefig und führte zum Abbruch aller diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Teheran. Die überraschende saudische Eskalation steht im Einklang mit der forschen Politik von König Salman, der vor einem Jahr den Thron bestiegen hat.
Salman agiert nicht mehr wie seine Vorgänger im Verborgenen oder lässt andere für sich agieren. Er setzt die Interessen des Königsreichs ganz offen durch, wenn nötig auch mit dem direkten Einsatz von Waffen und Soldaten wie im Jemen oder mit der Gründung einer eigenen Anti-Terror-Allianz, die bis jetzt allerdings ein Papiertiger geblieben ist.
Salman und das Königshaus stehen unter Druck und das gleich von mehreren Seiten.
Salman und das Königshaus stehen unter Druck und das gleich von mehreren Seiten. Die Provokation ist deshalb nicht ein Zeichen der Stärke, sondern eines der Schwäche und Verunsicherung. Im eigenen Land wächst der Unmut in der Bevölkerung über den gesellschaftlichen Stillstand und die wirtschaftlichen Probleme, die grosse Löcher in den saudischen Wohlfahrtsstaat reissen. Das ist ein idealer Nährboden für die Rekrutierungsbemühungen extremistischer Ideologen. Die Terrororganisation IS hat bereits angekündigt, in den kommenden Monaten ihre Versuche zu intensivieren, das Haus der al-Saud zu stürzen.
In der Minderheit der saudischen Schiiten im ölreichen Osten des Landes gärt es zudem seit Jahren. Dort hat der Arabische Frühling seine Wirkung nicht verfehlt. Seit 2011 gibt es regelmässig Demonstrationen, an denen gleiche Rechte und die ungestörte Ausübung der religiösen Riten verlangt werden, oft wurden sie angeführt von Scheich al-Nimr, der Symbolfigur dieser schiitischen Aufbruchsbewegung. Die soll nach saudischer Lesart vom Iran gezielt geschürt worden sein.
Die Religion ist nur ein Deckmantel
Saudi-Arabien, mit Sitz der Heiligen Stätten der Sunniten, zieht ganz gezielt die religiöse Karte gegen den Iran als Schirmherr der Schiiten und hat al-Nimr zusammen mit sunnitischen Militanten exekutiert. Lokale Medien bezeichneten Nimr nicht nur als Terroristen, sondern nannten ihn in einem Atemzug mit IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi. Die Religion ist aber nicht viel mehr als ein Vorwand, mit dem sich bei der eigenen Bevölkerung gut Stimmung schüren lässt.
Tatsächlich fürchtet Riad die politische und wirtschaftliche Vormachtstellung in der Region an den Iran zu verlieren. Mit der Einigung im Atom-Streit hat es das Mullah-Regime geschafft, die jahrelange Isolation zu durchbrechen. Vertreter Teherans sitzen jetzt an allen Verhandlungstischen über regionale Krisen. Die einschneidenden Wirtschaftssanktionen werden nach und nach aufgehoben, damit wird es dem Iran möglich, sein gewaltiges Potenzial auszuschöpfen.
Zwar hat der Iran in den letzten Jahren einen massiven Brain-Drain hinnehmen müssen, aber er bleibt ein Land mit Ressourcen in jedem Bereich, die jenen des im Vergleich jungen Staates Saudi-Arabien überlegen sind. Mit den Veränderungen auf dem internationalen Energiemarkt – die USA sind von saudischem Öl inzwischen praktisch unabhängig – hat das Reich der al-Sauds seine Stellung als wichtigster Garant für eine reibungslose Ölversorgung und damit seine Position als unverzichtbarer Stabilitätsanker verloren.
Kein schnelles Ende der Stellvertreter-Kriege
Bis jetzt ist Riad noch in der Lage, die meisten der Golfstaaten hinter sich zu scharen. Auch sie haben in den letzten Tagen ihre Beziehungen zum Iran gekappt und damit zur Ausdehnung der Krise beigetragen. Ägypten dagegen hat zurückhaltend reagiert. Kairo hat andere Prioritäten, ist ganz auf den Kampf gegen den extremistischen Terror fokussiert, muss Saudi-Arabien aber mindestens mit Lippenbekenntnissen unterstützen, da es am Tropf der saudischen Dollar-Milliarden hängt.
Über die Region hinaus hat die saudische Massenhinrichtung und die Eskalation des Machtkampfes mit dem Iran viel Kritik und Besorgnis ausgelöst. In wenigen Tagen sollen die Verhandlungen beginnen, in denen politische Lösungen in Syrien und im Jemen mindestens angestossen und ein Ende des Blutvergiessens erreicht werden sollen.
In beiden Fällen gehören Riad und Teheran direkt oder indirekt zu den Hauptakteuren und die akute Konfrontation wird dafür sorgen, dass die Bereitschaft für Kompromisse gegen Null sinkt. Denn auch im Iran gibt es Hardliner, die die Öffnung gegen den Westen torpedieren. Sie dürften die Drahtzieher hinter den Vandalenakten gegen saudische diplomatische Missionen gewesen sein. Mit einem schnellen Ende der Stellvertreterkriege in den Region ist deshalb nicht zu rechnen.