Ein Mann fürs Grobe

Rom, sagen manche, ist heute gefährlicher als Palermo. Der sizilianische Anti-Mafia-Staatsanwalt Alfonso Sabella soll deshalb die von Korruption und Verbrechen zersetzte italienische Hauptstadt auf Vordermann bringen. Eine unmögliche Aufgabe?

«Eigentlich dürfte es mein Amt gar nicht geben», sagt Alfonso Sabella, Assessor für Legalität.

(Bild: Julius Müller-Meiningen)

Rom, sagen manche, ist heute gefährlicher als Palermo. Der sizilianische Anti-Mafia-Staatsanwalt Alfonso Sabella soll deshalb die von Korruption und Verbrechen zersetzte italienische Hauptstadt auf Vordermann bringen. Eine unmögliche Aufgabe?

Man weiss nicht, ob es ein beruhigendes oder ein beunruhigendes Zeichen ist, dass im römischen Kapitol jetzt auch Waffen zum Alltag gehören. Alfonso Sabella wurde neulich dabei ertappt, wie er mit wehendem Jackett und einer Pistole im Gurt in sein Büro eilte. «Wenn ich das Gefühl habe, heute ist kein guter Tag, dann nehme ich meine Waffe mit», sagt der sizilianische Staatsanwalt. Auch darüber kann man streiten: Was hat es zu bedeuten, dass in der Verwaltung der italienischen Hauptstadt Mafia-Jäger inzwischen unabdingbar sind?

Alfonso Sabella ist seit Dezember 2014 Assessor für Legalität der Stadt Rom. Er sitzt in seinem Büro im Palast der Senatoren und raucht eine Zigarette nach der anderen. Neben der Zigarettenschachtel liegt eine Maxi-Packung mit Kopfwehtabletten. Es ist drückend heiss in der Stadt und Sabellas Aufgabe beinahe übermenschlich. Der 52-Jährige soll die korrupte und insgesamt 50’000 Mitarbeiter umfassende Verwaltung der Stadt Rom zu einer nach rechtsstaatlichen Massstäben funktionierenden Behörde umbauen. Davon kann heute nicht die Rede sein. «Die Verwaltung Roms ist seit Jahrzehnten korrupt», sagt Sabella.

Von seiner Vergangenheit als Anti-Mafia-Staatsanwalt zeugen zehn an die Wand genagelte hölzerne Ehrenplaketten. Unter anderem bedankt sich hier die Anti-Mafia-Einheit von Palermo für die Zusammenarbeit. Über hundert Mafiosi hat Sabella als Staatsanwalt gejagt und einsperren lassen, darunter Bosse wie Giovanni Brusca und Leoluca Bagarella. Jetzt soll der Sizilianer die Hauptstadt säubern, sie hat es nötig. Die Mafia, sagen Leute, die sich mit der Materie auskennen, sei heute in Rom mehr zu fürchten als in Palermo.




Das Kapitol in Rom, Sitz der Stadtverwaltung. (Bild: Julius Müller-Meiningen)


Der Anruf von Bürgermeister Ignazio Marino kam nicht zufällig kurz vor Weihnachten. In Rom war Tage zuvor ein Mafia-Netzwerk aufgeflogen, bei dem die Fäden der Organisierten Kriminalität in der Stadt zusammenliefen, und das Unternehmer, Funktionäre der Verwaltung und Politiker auf seiner Gehaltsliste führte. «Mafia Capitale», wie die Staatsanwaltschaft das römische Netzwerk bezeichnete, bestätigte, was viele längst ahnten. Weite Teile des Geschäftslebens der Hauptstadt sind von Korruption und Verbrechen zersetzt. Bis heute wurden knapp 80 Verdächtige verhaftet, bald soll der Prozess folgen. Die juristische Aufarbeitung der Affäre wäre aber nur halb so viel wert, würde die Stadtverwaltung jetzt nicht auch von innen her gesäubert. Das ist Sabellas Job.

«Eigentlich dürfte es mein Amt gar nicht geben», sagt der Assessor für Legalität. «Das ist ja etwa so wie ein Referat für gute Manieren.» Aber wenn es ausgerechnet in der Wiege der westlichen Zivilisation an allen möglichen gesellschaftlichen Errungenschaften fehlt, dann hilft wohl nur eine Radikalkur.

Die Dekadenz der Hauptstadt

Die Folgen der Misswirtschaft in Rom sind inzwischen mit blossem Auge zu sehen. Das reicht von verschmutzten Parks und vermüllten Strassenzügen über den katastrophalen Zustand des öffentlichen Nahverkehrs mit verrottenden Bussen und wilden U-Bahn-Streiks bis zum nicht-funktionierenden Service in Behörden und zerlöcherten Strassen. Die Stadt, die entdecken musste, dass sie sich in den Händen eines Verbrecher-Syndikats befindet, steht vor dem Kollaps. An den Plänen zur Ausrichtung der Olympischen Spiele 2024 und dem vom Papst ausgerufenen «Heiligen Jahr der Barmherzigkeit» ab Dezember ändert das bisher nichts.

Viele Römer behaupten trotzdem weiterhin, ihre Stadt sei die schönste der Welt. In Paolo Sorrentinos Oscar-gekröntem Rom-Film «La grande bellezza» zeigt sich die Dekadenz in der Hauptstadt als spürbare Schattenseite ihrer Schönheit. Rom im Jahr 2015, das ist ein am Boden liegender, kranker, aber an manchen Stellen immer noch zauberhaft anzusehender Körper, der zunächst wiederbelebt und dann geheilt werden muss. Alfonso Sabella ist so etwas wie der Internist. Bürgermeister Marino, ein aus Genua stammender Chirurg und Spezialist für Lebertransplantationen, wirkt oft überfordert von seiner Aufgabe, der Stadt einen neuen Geist zu implantieren.

Über die Parteigrenzen hinweg schmierte die Hauptstadt-Mafia über Jahre hinweg Politiker und Funktionäre, die teilweise Monatsgehälter für ihre Dienste erhielten. Der Vorsitzende des Stadtrats zählte dazu oder der Assessor für Wohnungsbau. Haupteinnahmequelle waren öffentliche Ausschreibungen, die dank des korrupten Systems an die von Carminati kontrollierten Firmen und Kooperativen gingen. Die Mafia deckte das gesamte Spektrum öffentlicher Investitionen ab: Immobilien, Müllentsorgung, Pflege der Grünanlagen, Flüchtlingsunterbringung. «Mit Flüchtlingen lässt sich mehr Geld verdienen als mit Drogen», sagte Buzzi in einem abgehörten Telefonat. Als Alemanno 2013 abgewählt wurde, änderte sich wenig. Viele Funktionäre blieben auf ihren Posten, rechte wie linke Politiker sind illegalen Nebenverdiensten nicht abgeneigt.

Die Römer hätten guten Grund zur Empörung. Kaum etwas funktioniert in der Stadt, Steuergelder werden kriminell verprasst. Aber die Römer halten still. Nichts kann sie aus der Ruhe bringen. Es kommt weder zu Krawallen noch zu Demonstrationen. «Mit Resignation und Zynismus hat diese Stadt seit Jahrhunderten jede Art von Fremdherrschaft ertragen», erklärt Carlo Bonini. «Auch deswegen trägt Rom den Beinamen die Ewige Stadt. Die Bevölkerung duldet Höhen und Tiefen, gleichgültig wie immer.»

Ein Herzschrittmacher für den Jäger

«Den Römern war die Legalität schon immer scheissegal», behauptet Alfonso Sabella. Wenige Tage nach dem Gespräch in seinem Büro erleidet der Assessor für Legalität einen Schwächeanfall. Sanitäter tragen ihn in seinem hellblauen Hemd auf einer Krankenbahre aus dem Kapitol. Sabella braucht einen Herzschrittmacher. Der Internist wird zum Patienten. Bürgermeister Marino hat Erste Hilfe geleistet, nachdem der Sizilianer in einer Besprechung mit Gewerkschaftsvertretern auf seinem Stuhl zusammensackte. Die Verbrecher brauchten nicht mit Champagner anzustossen, scherzt Sabella im Krankenhaus. Er werde bald zurück ins Büro kommen.

Von dort hat man einen faszinierenden Blick auf das Forum Romanum. Drei Mitarbeiter warten dort auf ihn, davon zwei Sekretärinnen. Vier weitere, hatte Sabella gesagt, sässen noch in einem anderen Büro. Zu sehen sind sie nirgends. Vielleicht ist auch das ein Teil des Problems. Der Assessor für Legalität ist so gut wie alleine. Wie soll der geschwächte Mafia-Jäger eine korrupte Stadtverwaltung mit 50’000 Mitarbeitern so heilen?

Sabella will weitermachen. Aber es gibt Widerstände. «Die Massnahmen, die wir ergriffen haben, stören diejenigen, die bisher in Ruhe ihre Geschäfte machen konnten», sagt der Mafia-Jäger. Ob er sich bedroht fühle, wie der Bürgermeister, der schon drei Morddrohungen erhalten hat? Das nicht, sagt der Sizilianer. «Sie bedrohen diejenigen, die sie für schwach halten, nicht die, die stark wirken.» Letztere, das sei seine Erfahrung, würden meist sehr schnell aus dem Weg geräumt.

Nächster Artikel