Ein Muzungu namens Knackeboul – unser Kolumnist in Uganda

Entwicklungsprojekte besuchen, rappen mit lokalen Musikern – so war die Reise nach Uganda geplant. Doch dann brach die Realität des Ghettos herein.

Vor dem Schock: Knackeboul bei einem Auftritt im Rahmen eines Entwicklungsprojekts.

(Bild: Stefan Groenveld)

Entwicklungsprojekte besuchen, rappen mit lokalen Musikern – so war die Reise nach Uganda geplant. Doch dann brach die Realität des Ghettos herein.

Ich bin gerade von einem zehntägigen Uganda-Trip zurück. Die Chance dazu gab mir Viva con Agua, eine weltweit operierende «All-Profit-Organisation», die sich für Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitäre Grundversorgung einsetzt. Baslerinnen und Basler dürften die Organisation etwa vom Open Air Basel kennen. Mehr dazu später. Erst mal ein paar Eindrücke von der Reise:

Die Perle

Nach einem 24-Stunden-Flug mit Zwischenlandung in Ruanda kommen wir um vier Uhr in der Früh in Kampala an, der Hauptstadt von Uganda. Es ist dunkel und heiss. Der Fahrer will uns durch die Hauptstadt bringen, bevor der grosse Stau losgeht. Ein erstes Klischee wird relativiert: Während den Schweizern Disziplin und strenge Arbeitsmoral attestiert wird, behauptet man von Afrikanern eher das Gegenteil. Von wegen! Spätestens um halb fünf ist die halbe Stadt auf den Beinen. Arbeitet, atmet, lacht. Überall Feuer, Imbissstände und – gute Musik aus unzähligen Speakern.

Auf den Strassen schon jetzt unzählige Autos, Motorräder und Trucks. Diese bestätigen ein Klischee: Der Verkehr ist eine Zumutung. Die Strassen löchrig wie Emmentaler. Nach einer Stunde hab ich schon etliche brenzlige Situationen und Unfälle gesehen. Dann bricht der Tag an und das Land wird seinem Ruf als «The Pearl of Africa» mehr als gerecht. Lilablaurot-Töne und dunkelgrüne Pflanzenwelten dringen durch den Staub und den Beton des Molochs.

Endlich aus der Stadt raus, nehmen die Farben dann überhand. Die Pracht der Natur färbt auch auf die Menschen, die Kleider, die Häuser und sogar Vehikel ab. Ein Indien-Backflash – ich finde mich in einem bunten Kindertraum wieder.

Die Zeitkapsel

Ein zweiter Fahrer übernimmt. In einem klimatisierten Jeep der Welthungerhilfe. Von den Einheimischen nur «Welthunger» genannt, afrikanisch «Weldhanga». Abdul blocht uns direkt ins Projektgebiet. Schlafen unmöglich. Nach sechs Stunden und tausend Impressionen sind wir (Gregor Anderhub von Viva con Agua Schweiz und ich) müde und meinen, wir seien da. Aber Abdul meint nur: «Terrible road! For 3 hours…»




Das Publikum bei Knackebouls Auftritt in Uganda. (Bild: Stefan Groenveld)

Die «terrible road» ist eine rote Staubstrasse. Hunderte Trucks kreuzen uns und scheinen uns dabei jedes Mal zu rammen. Draussen unter der sengenden Sonne eine surreale Welt. Dutzende Hüttendörfer, Tausende von Menschen, vor allem Kinder. Ohne genügend zu essen, ohne ausreichenden Wasserzugang. Mitten im glühenden Nichts. Wie leben diese Menschen? Wie könnte man ihnen helfen? Kann man überhaupt gebührend helfen? Wie ist es so weit gekommen? Denkt sich ein verweichlichter Muzungu («Weisser») namens Knackeboul, während er in einer klimatisierten Zeitkapsel immer weiter in die Vergangenheit – oder besser Verlassenheit – dringt.

Das Muzungu-Fieber

Dieses Land leidet seit über zwei Jahrhunderten am Muzungu-Fieber. Die Weissen kamen erst als Missionare, dann als Kolonialherren, dann wieder als Kolonialherren in Form von Grosskonzernen und schliesslich als Hilfswerke – NGOs. Die NGOs versuchen das von Grosskonzernen verursachte Chaos ein bisschen einzugrenzen.

Problematisch dabei ist, dass die Hilfswerke in ihrer Arbeit oft selbst wie Konzerne funktionieren: mit plakativer Promo (Bilder verhungernder Kinder), Rentabilitäts- und Konkurrenzdenken, das eine vernünftige Zusammenarbeit unter den einzelnen Hilfswerken weitgehend ausschliesst.

Die fast unerträglichste Art des Muzungu-Fiebers wütet aber immer noch in Form der Christianisierung. Gerade Evangelikale aus dem amerikanischen Bible Belt strömen ins Land, um diesen «armen Teufeln» ihre Dämonen auszutreiben. Dass sie dabei ein mittelalterliches Menschenbild propagieren und damit die Unterdrückung der Frau, Homophobie und allgemein den Glauben an Gut und Böse in diesem gebeutelten Land verbreiten, scheinen sie nicht zu sehen.

Fairnesshalber muss man sagen, dass natürlich die Arbeit der Hilfswerke, auch die der christlichen, bestimmt vielen Menschen hilft und dass auch gierige Afrikaner den Kontinent ganz gut zu peinigen wissen. Doch das Leiden, das das Muzungu-Fieber anrichtet, ist für mich unbestreitbar. Spätestens wenn man sieht, wie in den Dorfschulen christliche Moral, Disziplin und das ewige Repetieren englischer Phrasen gefördert und Aufklärung, die Animation zu selbstständigem Denken und Emanzipation vernachlässigt werden, treten die Symptome dieses Fiebers offen zutage.

Der Ghettopräsident

Zurück in der Hauptstadt Kampala geht die Akklimatisierung an dieses Land weiter. Gefördert von der Offenheit der Menschen, der Musik und der Freude in unserer gemischten Reisegruppe aus Schweizern, Deutschen und Einheimischen. Aber auch beeinträchtigt durch das Chaos, die brenzlige politische Stimmung und das offensichtliche Elend in den Ghettos.

Hier lernen wir den Ghettopräsidenten richtig kennen. Nachdem ich schon im Projektgebiet mit ihm aufgetreten bin, wirds nun richtig intensiv. Der Ghettopräsident ist Bobi Wine, einer der bekanntesten ugandischen Musiker und Rapper, mit dem wir (Megaloh, Octopizzo, Maro und ich) in seinem Studio am Rand des Ghettos einen Song aufnehmen.

Bobi Wine hat sich als einziger angefragter Künstler geweigert an einem Promo-Song für Präsident Museweni mitzuwirken. Museweni sichert sich mit Repression und politischen Tricks seit 30 Jahren die Macht – und das obwohl in Uganda offiziell Demokratie herrscht. Nach jeder Amtszeit erzwingt er seine Wiederwahl und macht sich so zum Alleinherrscher – zum Diktator.

Im Ghetto erklären Bobi Wine und seine Entourage fundiert die Dynamiken und Ungerechtigkeiten des Alltags in Kampala. Die Arbeitslosenquote ist hoch, die Bildung tief, die Löhne ungerecht, die Mittelschicht quasi inexistent. Hunderttausende Menschen vegetieren ohne Perspektive, arm und frustriert dahin, während sich eine politische Elite auf dem Berg mit Bestechungsgeldern internationaler Konzerne (Uganda ist reich an Bodenschätzen) ein schönes Leben gönnt.

Der Lynchmob

Mitten im Gespräch im Studio, es ist inzwischen dunkel, nimmt Octopizzo seinen Part auf. Während wir draussen rauchen, höre ich plötzlich ein fürchterliches Geschrei. Ich sehe einen Mann, der um sein Leben rennt und dabei sein T-Shirt auszieht. Hinter ihm her eine schreiende Meute, angeführt von Boda-Boda-Fahrern (Motorrad-Taxis). Sie verschwinden etwa 100 Meter von uns entfernt hinter einem Blechzaun. Das Geschrei und die beängstigende Energie in der Luft schwellen an und verebben nach ein paar Minuten wieder.

Der Mann war wahrscheinlich ein Dieb. Vielleicht wurde er auch zu Unrecht als solcher beschuldigt. Jedenfalls wurde er nicht weit enfernt von unserer Gruppe gelyncht. Einige Jungs aus Bobi Wines Entourage gehen zum Schauplatz, kommen zurück und zucken mit den Achseln: «He’s dead.» Dem jüngsten von ihnen sieht man das Entsetzen des eben Gesehenen an, die älteren Jungs lachen und meinen, der sei selber schuld, so was sei hier normal. Es gibt im Ghetto kein Gesetz. Man kann nicht die Polizei rufen. Das ist die hässliche Realität der Selbstjustiz.

Ich zittere am ganzen Körper. Man beruhigt mich: Als Muzungu habe ich nichts zu befürchten. Zehn Minuten später doch noch Blaulicht. Die Polizei eskortiert einen Politiker ins reiche Viertel. Später sitze ich aufgewühlt auf dem Rücksitz eines Boda-Bodas, bin glücklich, ein Muzungu zu sein und schäme mich gleichzeitig unendlich dafür.

Die Hoffnung

Den Song haben wir an diesem aufwühlenden Abend dann doch noch in den Kasten gebracht. Es wird ein Hit! Uganda, Kenia, Deutschland und die Schweiz auf einem Song vereint.

Am Morgen zeigt Al Jazeera im Hotel die erschütternden Kriege und Katastrophen, die in der östlichen Hemisphäre wüten – das Attentat in Belgien wirkt beängstigend klein dagegen. Mir wird einmal mehr bewusst, in was für einer privilegierten Situation ich als Schweizer lebe. In Wohlstand und Sicherheit. Eine Sicherheit, die einem die wirklichen globalen Probleme manchmal nicht sehen lässt.

Das Elend ist gross. In Uganda zeigt sich, wohin soziale Ungerechtigkeit führen kann. Meine Hoffnung sind Bewegungen wie Viva con Agua. Junge Menschen tun sich zusammen, um auf kreative Art und durch konkrete Handlungen, Missstände auf der Welt zu thematisieren und sie gemeinsam zu bekämpfen. Auf Augenhöhe mit den jeweiligen Aktions-Ländern! In Uganda war die gesamte Projektreise organisiert von Viva con Agua Uganda. Einheimische Jugendliche setzen sich ein für Trinkwasser und Hygiene, aber auch für Bildung und soziale Gerechtigkeit. Viva con Agua hat ein immer grösser werdendes Netzwerk aus jungen, gebildeten Aktivisten, die weltweit zusammenarbeiten.

Die Kraft kommt wie hier in Kampala aus einem jungen urbanen Umfeld, das ohne zu moralisieren, mithilfe von Lebensfreude, Kunst und Social Media die Welt verändern wird, auch wenn das die Musewenis dieser Welt noch nicht wahrhaben wollen.




Am Ende der Reise war Knackeboul glücklich, ein Weisser zu sein und schämte sich gleichzeitig dafür. (Bild: Stefan Groenveld/ Viva con Agua)

 

Nächster Artikel