Mit einem unerwartet guten Resultat ist Maya Graf (Grüne) zur ersten Vizepräsidentin des Nationalrats und damit zur höchsten Schweizerin in spe gewählt worden. Doch das ist längst nicht das einzige, was an diesem ersten Tag der neuen Legislatur für Aufregung im Bundeshaus sorgte. Eine kleine Zusammenfassung – garantiert bundesratswahlfrei.
Sie wurden gross und grösser und noch grösser, die Augen von Luzi Stamm. Der Aargauer SVP-Nationalrat hatte sich zum Auftakt der neuen Legislatur einen besonderen Platz gesichert. Als Mitglied des provisorischen Büros sass er gleich neben dem Redner-Pult. Und damit neben ihr.
Noëmi Nadelmann, international gefeierte Sopranistin, intonierte zum Beginn der neuen Legislatur den Schweizer Psalm. Dem Anlass angepasst hatte sie sich in eine rotweisse Helvetia-Robe gehüllt. Ein Kleid, das mehr zeigte als verhüllte, und ein Grund für die grossen Augen von Luzi Stamm gewesen sein könnte.
Vielleicht war er aber auch einfach ergriffen vom Gesang der Nadelmann. So ging es nämlich vielen im Saal. Thomas de Courten, neugewählter SVP-Nationalrat aus Rünenberg, meinte bei einer Rauchpause auf dem Balkon des Bundeshauses, es sei ihm «kalt den Rücken» hinunter gelaufen während des Psalms.
Diesen Satz würde Daniela Schneeberger wohl unterschreiben. Die neugewählte FDP-Nationalrätin, die schon vor dem Start der Legislatur etwas «chribblig» war, gab sich während der Nationalhymne ganz ihrer Ergriffenheit hin. Und tupfte danach unter gerührten Blicken ihrer Eltern und ihres Lebenspartners Reto die feuchten Wangen ab.
Alte Streitigkeiten
Diskussionsbedarf. Die neuen Banknachbarn Matthias Aebischer und Alexander Tschäppät. (Bild: Keystone)
Markus Lehmann, neugewählter CVP-Nationalrat aus Basel, tupfte sich keine Tränen ab. Dafür bewies er seine Mediengewandtheit an neuer Wirkungsstätte bereits am ersten Tag. Um «Telebasel» ein schönes Bild zu liefern, betrat er den Nationalratssaal durch jenen Eingang, der ansonsten mit Vorliebe von der SP benutzt wird. Auf dem Weg zu seinem neuen Platz (gleich neben der Baselbieter CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter) kreuzte er jenes SP-Pult, an dem sich zwei neue Nachbarn erst noch finden müssen: Der Berner Stadtpräsident Alexander Tschäppät schaffte es erst als Nachrückender in den Rat, der ehemalige Fernsehjournalist und aktuelle Twitterer Matthias Aebischer hatte ihn überraschend überholt. Das mochte dem Stapi damals gar nicht gefallen, manch böses Wort liess er über seinen jungen Kollegen in der Öffentlichkeit verlauten. Ein «Fernsehgesicht» sei das, ohne Ecken und Kanten. Tschäppät und Aebischer haben nun genügend Zeit, allfällige Unstimmigkeiten aus der Welt zu räumen: Sie sind seit heute Banknachbarn.
Deutliche Wahl
Vielleicht sollten sich die beiden Berner SP-Männer die Rede des neuen Nationalratspräsidenten Hansjörg Walter (SVP) zu Herzen nehmen. Der beschwor, wie es frischgewählte Nationalratspräsidenten gerne tun, den Kompromiss und den Konsens und den Dialog, verteilte danach lustige Thurgauer-Pins und lud den Rat zum Apéro.
Im nächsten Jahr wird es dann an Maya Graf liegen, getragene Worte an die Vereinigte Bundesversammlung zu richten. Sie wurde heute von der 2. zur 1. Vizepräsidentin des Büros befördert und steht damit vor der Wahl zur höchsten Schweizerin. Überaus deutlich, mit 179 von 190 möglichen Stimmen, wurde Graf in ihrem neuen Amt bestätigt. «Mit einem so guten Resultat hätte ich nie gerechnet», sagte die Grüne Nationalrätin. In der Zwischenzeit scheint das auch mit dem Fest in ihrer Heimatgemeinde Sissach zu klappen. Nachdem Gemeindepräsidentin Petra Schmidt vor ein paar Wochen der höchsten Schweizerin etwas flapsig «mindestens einen Blumenstrauss» versprach, gab Schmidt in der «BaZ» vom Montag (online nicht verfügbar) Entwarnung: Selbstverständlich gebe es für Maya Graf ein grosses Fest, selbstverständlich werde auch die Gemeinde ihren Beitrag dazu leisten.
Blocher wird jetzt Sozialpolitiker
Alt und neu. Eveline Widmer-Schlumpf (im Hintergrund) und Christoph Blocher (im Vordergrund). (Bild: Keystone)
Einer war am Rande der ersten Session der neuen Legislaturperiode im Bundeshaus sofort ein gefragter Mann vor allen Mikrophonen und Kameras: Christoph Blocher aus Herrliberg (ZH), schon mal fast ein Vierteljahrhundert lang Nationalrat von 1979 bis 2003, dann vier Jahre Bundesrat, als solcher abgewählt, und nun wieder Mitglied der Volkskammer. «Nein», sagte der inzwischen 71-jährige Blocher kurz nach seiner Vereidigung: «Ich komme mir nicht alt vor in diesem Rat. Es braucht schon die Jungen, die Sachen anreissen; aber es braucht eben auch die Erfahrenen, die schauen, dass die Jungen nicht Blödsinn machen.»
Auf die Frage, ob er nicht Mühe habe, wieder im Nationalrat zu sitzen, sagte er: «Man muss sich schon etwas zusammenreissen. Aber es ist sicher besser, als daheim herum zu sitzen.» Verglichen mit 1979 seien «jetzt auch die Jungen im Rat überraschend anständig gekleidet, mit Krawatte und so und auch die Frauen sind sehr elegant», betonte der bekannteste Politiker der Schweiz. Sehr elegant gekleidet war auch Silvia Blocher, die zur Vereidigung ihres Mannes auf der Tribüne des Nationalrats erschienen war.
Politisch will sich Blocher nach seinem Comeback im Bundeshaus neu orientieren: «Nein, ich werde nicht in die Wirtschafts- oder in die Finanzkommission gehen», versicherte er. «Jetzt wo unser Land der schwersten Krise seit mehreren Jahrzehnten entgegen geht, werde ich mich in der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit, der SGK engagieren.»