Die Region ist aufgeschreckt von steigenden Einbruchszahlen. Politik und Behörden rufen nach härteren Strafen. Für Strafrechtsprofessor Marcel Niggli ist es nur eine populistische Forderung: «Eine abschreckende Wirkung haben solche Urteile nicht.»
Marcel Niggli, ist es zulässig, wenn auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Trend bei Einbruchdiebstählen mit härteren Strafen reagiert wird?
Grundsätzlich ist die Justiz frei. Sie muss aufgrund der Schuld eine Strafe aussprechen. Die Schuld wird individuell festgelegt. Findet ein Gericht, dass ein Täter aufgrund seines Vergehens eine höhere Strafe erhalten sollte, dann darf sie im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben – im Falle eines Einbruchdiebstahls liegen diese bei maximal siebeneinhalb Jahren Freiheitsstrafe – die Strafe entsprechend hoch aussprechen. Im einzelnen Fall ist eine harte Strafe also nicht problematisch.
Marcel Alexander Niggli ist Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Freiburg und Professor für Strafrecht, Rechtssoziologie und Rechtsphilosophie. Seine Überlegungen zur Strafzumessung hat Niggli unter anderem für die Stiftung Weiterbildung Schweizerischer Richterinnen und Richter festgehalten.
Wann wird es problematisch?
Härtere Strafen werden dann problematisch, wenn sie nicht der Schuld des Einzelnen entsprechen, wenn das Gericht also ein Urteil spricht, indem es sagt: «Wir haben ein Problem mit Einbruchdiebstählen, deshalb bestrafen wir alle Einbrecher härter.»
Warum darf man das nicht?
Unser Gesetz sagt: «Das Gericht misst die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu.» Die Strafe wird also von der Schuld begrenzt. Ein Gericht kann nicht sagen: «Die Schuld des Täters ist zwar X, wir bestrafen aber X + Y, damit alle sehen, dass wir hart durchgreifen.»
Ein hartes Urteil aus Abschreckungsgründen zu sprechen, ist also nach Gesetz nicht zulässig.
Nein, die Strafe muss sich am Delikt und der verwirklichten Schuld orientieren. Das Gericht hat allerdings kein Problem, wenn es nicht sagt, dass sein Ziel die Abschreckung sei. Es muss die höhere Strafe einfach gut begründen.
Haben solche Urteile vor höheren Instanzen Bestand?
Gut begründet können auch harte Strafen vor höheren Gerichten durchkommen. Es ist allerdings relativ schwierig: Wenn ein Delikt sehr häufig vorkommt – und der Diebstahl ist eines der häufigsten Delikte überhaupt – , gibt es eine umfangreiche Gerichtspraxis. Wenn Täter in vergleichbaren Fällen üblicherweise die Strafe X erhalten haben und nun ein Täter eine deutlich höhere Strafe erhält, widerspricht das der Praxis. Die höhere Instanz wird so ein Urteil kaum bestätigen. Die Gerichtspraxis ist der Korridor der Strafzumessung, wenn ein Gericht darüber hinausgeht, muss die Strafe sehr gut begründet werden. Aber selbst wenn das Urteil bestätigt würde, heisst das für den nächsten Einbrecher nichts.
Wieso nicht?
Weil die Schuld des nächsten Einbrechers wieder individuell festgelegt und begründet werden muss. Die Gerichtspraxis ändert sich nur sehr langsam.
Es gibt den Vorwurf an die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt, dass sie versucht, eine eigene Gerichtspraxis für Kriminaltouristen zu etablieren. Beispielsweise wurde ein Portemonnaie-Dieb zu sechs Monaten Haft unbedingt verurteilt . Das Ziel ist klar: Abschreckung.
Die Höhe der Freiheitsstrafe erstaunt mich nicht. Eine geringere Haftstrafe ist aufgrund der neuen Strafprozessordnung nur in Ausnahmefällen möglich. Eine Geldstrafe auszusprechen ist bei Leuten, die keinen Wohnsitz in der Schweiz haben, wenig ergiebig. Der Täter kann schlicht nicht bezahlen und ihn zu belangen, ist fast nicht möglich. Deshalb scheint einleuchtend, dass auf eine Haftstrafe entschieden wird. Allerdings müsste die Strafe für einen Ausländer und einen Schweizer gleich sein. Vor dem Gesetz sind alle gleich. Wenn sich die Staatsanwaltschaft einen Sonderpassus für Kriminaltouristen wünscht, ist das schlicht nicht zulässig.
Wirken solche Urteile denn überhaupt abschreckend?
Nein. Politik und Gesellschaft wünschen sich eine Abschreckungswirkung, aber solche Wirkungen sind empirisch nicht nachzuweisen. Kriminologisch ist weder Art noch Höhe der Strafe entscheidend für die Rückfallquote. Die Rückfallquoten zeigen das sehr schön: Die Strafpraxis in den einzelnen Kantonen – etwa bei Diebstahl oder Fahren in angetrunkenem Zustand – ist ausserordentlich unterschiedlich, unbedingte oder bedingte Freiheitsstrafe, Geldstrafe. Die Rückfallquoten allerdings sind in allen Kantonen praktisch identisch. Egal wie streng ein Kanton urteilt, auf die Rückfallquote hat das keinen Einfluss.
Was kann man dann tun, um Einbrüche zu verhindern?
Eine Strafe ist immer eine Reaktion auf Vergangenes. Wenn es in Zukunft weniger Einbrüche geben soll, dann muss man auch Massnahmen treffen, die in die Zukunft gerichtet sind. Sprich: Prävention.
Die Leute informieren, dass es Einbrecher gibt, wird wohl kaum reichen.
Die beste Prävention vor Einbrechern ist, dass man sie schnappt, ist also eine effektive Strafverfolgung. Ein empirischer Vergleich der unterschiedlichen Kriminalpolitik verschiedener amerikanischer Bundesstaaten durch William Stuntz zeigt das schön auf: Bundesstaaten, die ihre Polizeikräfte ausgebaut haben, hatten weniger Kriminalität und zugleich weniger Menschen im Gefängnis. Staaten, die versucht haben, nicht über die Polizei, sondern über die Schärfe der Strafe zu operieren, erlebten steigende Kriminalität und steigende Gefangenenpopulationen.
Wochendebatte: Sollen Einbrecher härter bestraft werden?
Lassen sich Einbrüche in der Grenzregion Basel reduzieren, wenn die Täter mit härteren Strafen rechnen müssen? Stimmen Sie ab und bringen Sie sich ein in die Diskussion in der aktuellen Wochendebatte!
Aber warum werden dann immer härtere Strafen gefordert?
Harte Strafen kosten nichts, Polizisten schon. Populistische Politiker rufen deshalb gerne nach einem Durchgreifen vor Gericht. Eine Strafe ist aber vergangenheitsorientiert und ändert nichts an der Zukunft. Wenn wir etwas ändern wollen, ist der effizienteste Weg – wenn überhaupt etwas effizient ist – die Prävention. Die besteht nicht nur aus Polizei, sondern kann auch bessere Beleuchtung bedeuten, Videoüberwachung oder Ähnliches. Tatsache allerdings ist, dass Prävention immer kurzfristig teurer ist als schärfere Strafen. Sie kostet Geld, aber eben nicht nur. Vor allem kostet sie Freiheit. Die Frage bleibt deshalb immer, wieviel davon wir aufgeben wollen.