Die erste preiswerte Kameradrohne lässt die Zahl der Luftaufnahmen der Schweiz explodieren. Und die Zahl der Fragen nach Luftsicherheit und Privatsphäre.
Diesen Sommer wird er über Openairs, Burgruinen und an Mountainbike-Strecken schweben. Er wird für hochauflösende Luftaufnahmen von Sportanlässen, Wohnquartieren und Badeanstalten eingesetzt werden, Amateurfilmern nie gesehene Perspektiven und Kameraschwenks ermöglichen. Er wird Youtube erobern. Und er wird für massenhaft Ärger sorgen.
Der Quadcopter «Phantom» der Firma DJI in Hong Kong kostet deutlich weniger als tausend Franken, ist in zehn Minuten zusammengebaut und kann von jedem Anfänger geflogen werden. Er hebt sich von ähnlichen Geräten wie der «AR.Drone» fürs iPhone und den zahllosen billigen RC-Helikoptern mit Kamera aus dem Spielwarenhandel durch seine Auslegung auf den Betrieb im Freien und seine ausgereifte Elektronik ab: Der Phantom verfügt über einen Profi-Flugcontroller, GPS-Stabilisierung und eine Fernsteuerung, die einen Aktionsradius von gut und gerne einem Kilometer aufweist. Und er kann standardmässig mit der meistverkauften Actionkamera GoPro Hero bestückt werden.
Das macht den Phantom zur ersten veritablen Drohne für jedermann, die hochaufgelöstes Videomaterial liefert. Seit März 2013 in der Schweiz erhältlich, verkauft sich der Quadcopter wie warme Brötchen. «Hunderte jeden Monat» setzt allein der Online-RC-Heli-Shop.ch ab, und die Kurve steige steil an, sagt Inhaber Patrick Kobel. Bereits ist der Quadcopter bei den grossen Elektronikketten erhältlich.
Der Quadcopter im Einsatz (Video/Peter Sennhauser):
Der Datenschützer warnt
Das Wort «Drohne» ruft augenblicklich den eidgenössischen Datenschützer auf den Plan. Lange schon warnt Hanspeter Thür vor dem Ungemach, das der Privatsphäre der Menschen drohe, wenn jeder Nachbar, Spanner und Schnüffler ungehindert Einblick in private Gärten, auf Balkone oder durch hoch liegende Fenster nehmen könne. Thür hat deshalb das zuständige Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) gedrängt, die Nutzung solcher Geräte zu beschränken.
Denn, so fasst es Thürs Sprecherin Eliane Schmid auf Nachfrage zusammen, sie seien speziell geeignet, Aufnahmen von privaten Räumen und den Menschen darin zu machen. «Das ist eine andere Dimension als die allgegenwärtigen Handy- und Touristenkameras im öffentlichen Raum: Dort muss ich eher damit rechnen, zufällig fotografiert zu werden.» In den eigenen vier Wänden und im Garten oder auf dem ummauerten Balkon im 12. Stock gelte das nicht, sagt Schmid. Grundsätzlich sei die fotografische Aufnahme eines Menschen eine Personendatenbearbeitung nach Datenschutzgesetz – «und für die brauchen Sie als Rechtfertigung die Einwilligung der Betroffenen». Im öffentlichen Raum wird lediglich die Ausnahme gemacht, dass wir akzeptieren müssen, zufällig in einem Bild zu erscheinen. «Sobald Sie aber bewusst klar erkennbare Menschen fotografieren, brauchen Sie deren Zustimmung.» Hat er die nicht, kann der Fotograf zivilrechtlich auf Herausgabe des Materials und Persönlichkeitsverletzung verklagt werden.
«Das ist eine andere Dimension als Handy- und Touristenkameras.»
Mit den Drohnenflügen über bewohntem Gebiet werden aber viel mehr Menschen in Privatbereichen gefilmt, wo sie explizit nicht damit rechnen müssen. Ihre Abbildung sei deswegen ausser bei ausdrücklicher Einwilligung immer eine Verletzung der Privatsphäre nach Zivilgesetzbuch, Paragraph 28 und nach Datenschutzgesetz – auch wenn die Betroffenen nicht bewusst ins Bild gerückt wurden. Noch dramatischer wird es, wenn jemand mit einer Drohne gezielt in seiner Privatsphäre gefilmt wird. «Das kann als Verletzung des Geheim- oder Privatbereichs nach Strafgesetzbuch Paragraph 179 angezeigt werden.»
Luftfahrtrecht erlaubt Drohnen ohne Bewilligung
Das dürfte den wenigsten der Piloten von Drohnen bewusst sein. Tatsächlich braucht man derzeit für das Fliegen kleiner Multikopter – wie sie, in allerdings weitaus teurerer Form, von Spezialisten seit Jahren betrieben werden – keinerlei Bewilligung: Unbemannte Fluggeräte unter 30 Kilo Gesamtgewicht gelten als Modellflugzeuge.
Eine Haftpflichtversicherung vorausgesetzt, dürfen sie abseits von Flugplätzen frei benutzt werden. Dem Überflug von Privatgrundstücken steht das Zivilluftrecht nicht entgegen. Es gilt die Verantwortung des Piloten: Der Schweizer Modellflugverband hat einen Ehrenkodex zur Rücksichtnahme auf Natur und Umwelt verfasst, der das «Anfliegen» von Tieren und Menschen ausdrücklich verbietet. Das Fliegen über besiedeltem Gelände oder über Menschengruppen ist ebenso verpönt wie vermeidbare Lärmbelästigungen. Dem BAZL sind in den letzten Jahren ausser einigen Meldungen von Helikopterbesatzungen, die in den Bergen ferngesteuerten Grosssegelmodellen begegnet sind, keinerlei Zwischenfälle bekannt, wie Sprecher Urs Holderegger betont. Vorerst gebe es deshalb keinen Handlungbedarf. «Grundsätzlich versuchen wir, die Regelungen für unbemannte Fluggeräte auch unter dem Aspekt der Sicherheit so liberal wie möglich zu halten.»
Das Fliegen über besiedeltem Gelände ist ebenso verpönt wie vermeidbare Lärmbelästigungen.
Unter dem Aspekt des Datenschutzes allerdings muss das nach Ansicht von Thür geändert werden. «Wir fordern klare Schranken für den Einsatz dieser Geräte», sagt Eliane Schmid. «Wo und wie diese ausformuliert werden, bleibt zu erarbeiten.» Es gehe darum, die Käufer der Drohnen in die Pflicht zu nehmen, neben dem Flugrecht auch das Persönlichkeitsrecht einzuhalten.
UVEK schränkt Funk-Video-Flug ein
Aber während das BAZL bisher im Modellflugverband und den Vereinen einen klaren Ansprechpartner für Sensibilisierungskampagnen hatte, fehlt dieser bei den Drohnenbesitzern, wie Holderegger selber bemerkt. Denn die Käufer seien weniger am Fliegen als an den Videoaufnahmen interessiert und deshalb über die bisherigen Vereins-Kanäle nicht erreichbar.
Eine leichte Verschärfung hat das UVEK an der Verordnung über Luftfahrzeuge besonderer Kategorien dennoch vorgenommen: Die Geräte müssen immer auf Sicht geflogen werden. Die Steuerung mit Video-Funkverbindung und -Brillen ist nur zulässig, wenn eine zweite Person assistiert und das Luftfahrzeug ständig im Auge behält.
Aber auch diese Beschränkung des Fliegens mit «FPV» («First Person View») ist im Hinblick auf die Luftfahrtsicherheit erlassen worden: «Das Blickfeld einer Funk-Videoverbindung erlaubt dem Piloten in den wenigsten Fällen zu erkennen, wenn er in den Aktivitätsradius eines anderen Luftfahrzeugs, beispielsweise eines Helikopters, gerät.» Die kleinen Geräte mit einem Gewicht von knapp einem Kilogramm können aber durchaus zur Gefahr für ein Grossflugzeug werden, «beispielsweise wenn sie in ein Triebwerk geraten oder das Leitwerk bei einem Zusammenstoss beschädigt wird.»
Rechtsverletzungen sind nicht nur möglich, sondern zu erwarten
Just die Funkvideo-Übertragung, wie sie das neue Modell der GoPro Hero mit WiFi-Bildübertragung auf jedes iPhone oder iPad ermöglicht, ist indes der Traum der Hobbyfilmer – und der Albtraum von Datenschützer Thür. Denn damit kann in Räume eingeflogen werden, die von aussen nicht einsehbar sind – um Häuser herum, hinter Hecken, zwischen Bäumen hindurch und über mit Sichtschutz versehenem Gelände. Das ermöglicht indes auch faszinierende Dokumentaraufnahmen.
Dass auf der Jagd nach spektakulären Bildern Rechtsverletzungen und Fahrlässigkeit nicht nur möglich, sondern zu erwarten sind, zeigt die Gruppe «BlackSheep», die auch schon mitten in London über den Touristenmassen zum Zifferblatt des Big Ben und den Gondeln des London Eye hochfliegt (hier bewusst nicht verlinkt). Trotzdem ist nicht zu erwarten, dass solch schwarze Schafe ganze Geschwader von Videodrohnen stundenlang vor den Balkonen junger Frauen schweben lassen: Die Flugzeit der elektrischen Multikopter liegt im Bereich einiger Minuten.
«Ich würde die Drohne sofort herunterholen und ihr das Nötige verabreichen.»
Ausserdem dürften die wenigsten Käufer der insgesamt über tausend Franken teuren Ausrüstung riskieren, dass ihrem Multikopter das widerfährt, was Datenschützer Thür der Öffentlichkeit im Interview mit SRF rät zu tun, wenn sie einen vor dem Balkon habe: «Ich würde ihn sofort herunterholen und ihm mit dem geeigneten Instrument das Nötige verabreichen.»
Den markigen (und aus dem Mund eines Bundesbeamten fragwürdigen) Tönen des Datenschützers steht die Verhältnismässigkeit gegenüber: Das Filmen mit einer Drohne ist nicht automatisch widerrechtlich. Für eine Verletzung der Privatsphäre müssen die Personen auf den Bildern erkennbar sein – sonst wären Luft- und namentlich Satellitenaufnahmen generell unmöglich (mehr zum Thema). RC-Heli-Shop-Inhaber Patrick Kobel wehrt sich für seine Kunden: «Mit einem Hammer kann man auch Unheil anrichten, dennoch geht niemand davon aus, dass alle gekauften Hämmer dafür eingesetzt werden.» Kobel überlegt sich jetzt, den verkauften Multikoptern ein Merkblatt mit den Bestimmungen des Zivilluftfahrts- und des Persönlichkeitsrechts beizulegen.
Zivile Zwecke für den Drohneneinsatz reichen von der Landwirtschaft (suche nach Rehkitzen in Feldern) über die Vermessung bis zum Immobilienhandel oder Baustellen- und Bauwerkinspektion. Und glaubt man der amerikanischen Pizzakette Dominos, dann werden dereinst sogar Heimlieferungen per Drohne vorgenommen. Auch ohne diesen Werbegag erwarten die USA den Einsatz von 30’000 Drohnen ab 2015, wenn deren Einsatz nicht mehr Privaten vorbehalten, sondern für kommerzielle Zwecke freigegeben wird.
Ein grosser Teil davon dürfte von Medien eingesetzt werden. Auch das Schweizer Fernsehen zeigt immer wieder Bildmaterial, das mit Multicoptern kostengünstig erstellt wurde – beispielsweisemitten in Bern auf dem Bundesplatz. Damit sie nicht völlig dem schlechten Ruf der Paparazzi anheimfallen, haben US-Journalisten bereits eine Organisation gegründet, die sich mit ethischen Grundsätzen des Drohnenjournalismus auseinandersetzt.
Ohnehin werden die USA den Einsatz der Drohnen in gewissen Schranken halten. Es gilt zu verhindern, dass sich die Medien dereinst in den Strassenschluchten von New York City über jedem Autounfall Multikopter-Luftschlachten liefern, wie sie es heute schon mit echten Helikoptern beispielsweise über Los Angeles täglich tun.