Der israelische Autor Amos Oz feiert seinen 75. Geburtstag. Er hat zahlreiche grosse Israel-Romane geschrieben. Der grösste davon, die «Geschichte von Liebe und Finsternis», erschien vor zehn Jahren – und ist noch immer zeitlos gut.
Das ist die Geschichte des kleinen Amos Klausner, der in einer Kellerwohnung, kaum grösser als 30 Quadratmeter, im Jerusalemer Stadtteil Kerem Avraham seine Kindheit erlebt. Und weil diese Familienerzählung in den Vierziger und Fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts stattfindet, ist die «Geschichte von Liebe und Finsternis» gleichzeitig eine Kindheitsbiografie des Staates Israel, in dessen Geburtswehen der kleine Amos hineingeworfen wird, lange bevor er den Nachnamen Oz annehmen und zu einem der bedeutendsten Schriftsteller Israels werden wird.
Seine Autobiografie, 2002 in Hebräisch und vor zehn Jahren in der deutschen Übersetzung erschienen, ist beileibe nicht der erste Roman von Oz, der die Zerrüttung von Familienbeziehungen vor dem Hintergrund des Werdens Israels beobachtet. Erinnert sei etwa an den Briefroman «Black Box» oder seinen ersten grossen internationalen Erfolg «Mein Michael».
Die Ehe ist Allegorie auf den jüdisch-arabischen Konflikt.
Auch in der autobiografischen Rahmung scheitern Ehen, Amos‘ Vater ist ein durch und durch rationaler, intellektuell unterforderter Biobliothekar, der keinen Umgang für die Depression der Mutter findet. Sie begeht Selbstmord, als Amos zwölf Jahre alt ist. Wie es sein könne, dass zwei, die sich Gutes wünschen, sich in einer Tragödie wiederfinden, fragt Oz, wenn er auf die Ehe der Eltern zurückschaut – und man muss nicht allzu tief buddeln, um das Elternschicksal als Allegorie auf den jüdisch-arabischen Konflikt umzumünzen.
Der bildet in der «Geschichte von Liebe und Finsternis» das stete Hintergrundrauschen. Im Jerusalem von Oz‘ Kindheit, in dem immer neue Überlebende der deutschen Vernichtungslager stranden, während im Krieg von 1948 die Kugeln über die Dächer fliegen und danach die Stadt geteilt wird.
In den Kibbuz-Jahren erfährt der Jüngling die zionistische Ideologie (und ändert seinen Namen in Oz, «Stärke»), die seine Eltern nur unter Vorbehalt angenommen haben. Und später wird er, der Universitätsdozent und gefeierte Schriftsteller, nach dem 6-Tage-Krieg 1967 die Friedensbewegung «Peace Now» mitbegründen – aber soweit reichen die 800 Seiten des Buches nicht mehr, weil dieser autobiografisch gerahmte Roman auch Zeugnis der unbändigen Fabulierlust des Autors ist.
Das «Wörterkind» wird Schriftsteller
Oz, von seiner Mutter «Wörterkind» genannt, weil er bereits als Junge lieber in die Welt der Bücher, Wörter, Geschichten flieht, bedient sich nicht nur den Mitteln der Ironie und des Humors, um die Schrulligkeiten all der Figuren seiner Kindheit zu beschreiben, sondern ebenso der fantastischen Epik. Genährt von den Erzählungen der Mutter, durchkreuzen Hexen und Riesen, Mörder und Helden die Welt des Knaben, und die fernen Nachrichten vom anderen Israel, von den «braun gebrannten, kräftigten, schweigsamen» Juden aus den Kibbuzim im Norden sowie vom «anderen Kontinent» namens Tel Aviv verheissen dem kleinen Amos eine ersehnte Gegenwelt.
Später wird er sie selbst erfahren und einer ihrer berühmtesten Beobachter werden, aber damals, in der von der Angst vor Verlust gezeichneten Enge von Keren Avraham ist die Kraft der Erzählung sein einziger Ausweg: «Als kleiner Junge wollte ich, wenn ich einmal gross wäre, ein Buch werden. Nicht Schriftsteller, sondern ein Buch: Menschen kann man wie Ameisen töten. Auch Schriftsteller umzubringen ist nicht schwer. Aber Bücher – selbst wenn man versuchte, sie systematisch zu vernichten, bestand immer die Chance, dass irgendein Exemplar überlebte und sich weiterhin eines Regallebens in einer Ecke einer abgelegenen Bibliothek erfreute.»
Amos Oz wurde vor 75 Jahren, am 4. Mai 1939, in Jerusalem geboren. Nach Jugendjahren in einem Kibbuz studierte er Literatur und Philosophie in Jerusalem und war später Professor für hebräische Literatur in Beersheva. Der prominente Friedensaktivist und Befürworter einer Zweistaatenlösung des Nahostkonflikts ist Träger zahlreicher Literaturpreise. Er lebt heute in der Stadt Arad in der israelischen Negev-Wüste.