Kaum hat der «Guardian» einen Artikel über Mails des syrischen Machthabers Assad veröffentlicht, kamen Zweifel auf: Ist es möglich, dass Internet-Aktivisten 3000 Mails von Assad gehackt haben? Die Frage ist ungeklärt. Gewiss ist: Die angeblichen Mails geben Einblick in die seltsame Welt des Diktators. Beim folgenden Artikel handelt es sich um den übersetzten Original-Text.
Baschar Al-Assad hat beim Umgang mit den Aufständen in seinem Land auch Rat von Iran entgegen genommen. Ausserdem ist er im November vergangenen Jahres offenbar ausführlich über die Anwesenheit westlicher Journalisten im Homser Bezirk Baba Amr unterrichtet und gedrängt worden, den Einsatz der Sicherheitskräfte in der von der Opposition gehaltenen Stadt zu verstärken. Dies geht aus Schriftstücken hervor, die nach Angaben von Aktivisten von privaten Emailkonten Assads und seiner Frau Asma heruntergeladen wurden.
Insgesamt geht es um mehr als 3000 Dateien. Der «Guardian» hat sich intensiv bemüht, zu klären, ob die Dokumente authentisch sind. Auch wenn nicht jede Mail verifiziert werden konnte, legt die Überprüfung nahe, dass sie echt sind.
Die Nachrichten zeigen, dass…
– Assad ein Netzwerk von Beratern seines Vertrauens geknüpft hat, die direkt über sein «privates» Emailkonto – und somit an seiner Familie und dem syrischen Sicherheitsapparat vorbei – an ihn Bericht erstatten.
– Assad die Reformen, die er versprochen hat, um die Krise zu entschärfen, als nicht sonderlich wichtig erachtete (Er nannte sie «blödsinnige Gesetze zu Parteien, Wahlen und den Medien»).
– Eine Tochter des Emirs von Katar dem Ehepaar Assad riet, Syrien zu verlassen.
– Assad die US-Sanktionen gegen ihn umging, indem er über Dritte mit einer US-Adresse Musik und Apps bei iTunes erwarb.
– Syrische Regierungsgeschäfte und private Geschäfte von Assads Frau Asma unter anderem über ein in Dubai ansässiges Unternehmen mit dem Namen al-Schahba abgewickelt werden, das auch ein eingetragenes Büro in London unterhält.
Medienberater sollen Image aufpolieren
Die Aktivisten, von denen der «Guardian» das Material bekam, gaben an, die Zugangsdaten der Assads von einem Maulwurf aus dem innerem Zirkel des Präsidenten erhalten zu haben. So hätten sie ungehindert Zugang zu den zwei Konten gehabt, bis die Sache im Februar aufflog. Die Nachrichten zeigen augenscheinlich, dass Assad sich einen Beraterstab zusammengestellt hat. Dieser soll ihm angesichts wachsender internationaler Kritik an den Versuchen seiner Regierung, die Aufstände niederzuschlagen, bezüglich seiner Medienstrategie und Positionierung unterstützen.
Aus der Korrespondenz scheint auch hervorzugehen, dass Assad seit Beginn der Krise mehrfach Rat vom Iran erhalten hat. Vor einer Rede im Dezember stellte sein Medienberater eine lange Themenliste zusammen, die auf «Konsultationen mit einer ganzen Reihe von Leuten, unter anderem dem Medien- und Politikberater des iranischen Botschafters» beruhe. Er riet dem Präsidenten zu einer Sprache der Macht und Stärke und dazu, Wertschätzung für die Unterstützung «freundlich gesinnter Staaten» zu zeigen. Ausserdem regte er an, dass die Regierung «mehr Informationen über unsere militärischen Kapazitäten bekannt werden lassen» solle, um die Öffentlichkeit von ihrer Stärke zu überzeugen.
«Eklatanter taktischer Fehler»
Ausserdem erhielt der syrische Präsident Empfehlungen von dem einflussreichen libanesischem Geschäftsmann Hussein Mortada, der enge Verbindungen zum Iran unterhält. Im Dezember hielt Mortada Assad an, nicht länger al-Qaida für zwei Bombenanschläge in Damaskus verantwortlich zu machen, die sich einen Tag vor der Ankunft der Beobachtermission der Arabischen Liga ereigneten.
«Es ist nicht in unserem Interesse zu sagen, dass al-Qaida hinter der Operation steckt, da diese Behauptung die US-Regierung und die syrische Opposition entlasten würde», schrieb Mortada kurz nach den Explosionen. «Ich habe in meiner Rolle als Verantwortlicher für viele iranisch-libanesische Kanäle Kontakte zum Iran und der Hisbollah, die mich angewiesen haben, nicht zu sagen, dass al Qaida hinter der Operation steckt. Das ist in ein eklatanter taktischer Fehler im Umgang mit den Medien.»
In einer weiteren Mail riet Mortada dem Präsidenten zwischen 15 und 21 Uhr öffentliche Plätze unter staatliche Kontrolle zu bringen, um zu verhindern, dass sich dort Oppositionelle versammeln. Iran und Hisbollah wurde während der seit einem Jahr andauernden Krise in Syrien wiederholt vorgeworfen, die Assad-Regierung bei ihrem harten Vorgehen zu unterstützen und unter anderem Soldaten und Technikexperten geschickt zu haben, die bei der Identifizierung von Internet-Aktivisten behilflich sein sollen. Beide streiten aber ab, mehr als moralische Unterstützung zu leisten.
Europäische Reporter angeschwärzt
Über sein Privat-Emailkonto kommunizierte Assad auch mit Khaled al-Ahmed, der als Berater des Präsidenten bezüglich der Aufstände in Homs und Idlib gilt. Im November drängte er Assad, die Sicherheitskräfte intensiver einzusetzen und «die Operation zur Wiederherstellung der staatlichen Kontrolle über Idlib und die Gegend von Hama zu beginnen». Er setzte Assad ausserdem darüber in Kenntnis, dass er erfahren habe, dass europäische Reporter «illegal die Grenze zum Libanon überquert haben und in die Gegend eingedrungen sind».
Assads Frau Asma scheint im vergangenen Jahr regelmässig Korrespondenz mit der Tochter des Emirs von Qatar, Mayassa al-Thani, geführt zu haben. Die Beziehungen sind aber offenbar abgekühlt, seit Thani unverblümt einen Rücktritt Assads empfahl: «Die Gelegenheit für echten Wandel und Entwicklung hat man schon vor langem verstreichen lassen», schrieb sie. «Dennoch, eine Tür schliesst sich, eine andere öffnet sich – und ich hoffe, dass es nicht zu spät ist nachzudenken.»
«Eine gute Möglichkeit zu gehen»
In einer zweiten Mail vom 30. Januar machte Thani sogar indirekt ein Exilangebot. «Ganz ehrlich: Betrachtet man den Lauf der Geschichte und die Eskalation der jüngsten Ereignisse, ergaben sich bislang zwei Optionen: Die Machthaber traten zurück und gingen ins politische Exil oder wurden brutal angegriffen. Ich glaube aufrichtig, dass sich nun eine gute Möglichkeit bietet, zu gehen und wieder ein normales Leben zu beginnen. Ich bete nur, dass Sie den Präsidenten überzeugen werden, diese Chance zu ergreifen und rauszukommen, ohne, dass er zur Verantwortung gezogen wird.»
Eine direkte, von den Militär- und Geheimdienstbehörden des Polizeistaats unabhängige Leitung für Berichte hatte schon Assads Vater Hafez. Der herrschte drei Jahrzehnte lang in Syrien, bis nach seinem Tod sein damals 36-jähriger Spross die Präsidentschaft übernahm. Assad senior war bekannt dafür, dass er zahlreiche Kanäle einrichtete, über die Sicherheitschefs und zuverlässige Berater direkt Meldung an ihn machen konnten. Er glaubte, so verhindern zu können, dass eine einzelne Behörde übermächtig und damit zur Bedrohung werden könnte. Sei Sohn hat während der zehn Jahre seiner Herrschaft immer wieder die gleichen Instinkte bewiesen.
Copyright: Guardian News & Media Ltd 2012; Übersetzung der gekürzten Fassung: Zilla Hofman