Eine ­Landfrau im Elysée-Palast

Der Film «Les Saveurs du Palais» beruht auf der wahren Geschichte der Leibköchin des früheren französischen Präsidenten François Mitterrand. Es ist die Geschichte einer ungebändigten Frau. Die TagesWoche hat die 70-jährige Französin im Luxushotel Baur au Lac in Zürich getroffen.

Szene aus dem Film «Les Saveurs du Palais» (Bild: zVg (Frenetic)

Der Film «Les Saveurs du Palais» beruht auf der wahren Geschichte der Leibköchin des früheren französischen Präsidenten François Mitterrand. Es ist die Geschichte einer ungebändigten Frau. Die TagesWoche hat die 70-jährige Französin im Luxushotel Baur au Lac in Zürich getroffen.

Alors, was war denn die Leibspeise Mitterrands?» – Leichter wäre es, im Périgord schwarze Diamanten aus der Erde zu buddeln, als einer Leibköchin Staatsgeheimnisse zu entlocken. Danièle Delpeuch hält die Vorlieben ihrer Gäste im Elysée-Palast charmant lächelnd unter dem Deckel. «So viel kann ich Ihnen versichern: Monsieur le Président war ein absoluter Connaisseur guter Speisen und Getränke, ein äusserst gebildeter Mensch und von tadelloser Höflichkeit.»

Es war im Herbst 1988, die Franzosen hatten François Mitterrand für eine zweite Amtszeit als Staatspräsident bestätigt, als vor einem Bauernhof bei Chavagnac, einem 300-Seelen-Dörfchen im Südwesten des Landes, dunkle Limousinen vorfuhren und Sonnenbrillen tragende Männer in Anzügen die Bäuerin ansprachen: Würde sie unverzüglich nach Paris ziehen und Leibköchin des Präsidenten werden? Ihre abschlägige Antwort, sie habe sich um ein trächtiges Schaf zu kümmern, unterbrach der Beamte harsch: «Madame, das ist ein Angebot, das Sie nicht ausschlagen dürfen.»

Er hatte die Haute Cuisine satt

Nach der ersten siebenjährigen Amtszeit hatte Mitterrand genug von der Haute Cuisine seiner hochdekorierten Elysée-Kochbrigade. Er sehnte sich nach dem Goût du Terroir, nach dem Geschmack seiner Heimat Charente im Südwesten, wo traditionell mit Gänse- und Entenfett gekocht wird, was nicht raffiniert ist, aber die Sinne berauscht. «Ich will die Küche meiner Grossmutter», sagte Mitterrand, und es kam einer Palastrevolution gleich, als er seinem Stab befahl: «Holt mir eine Landfrau in die Küche.» Seine Berater kundschafteten die ganze Grande Nation aus und erhielten schliesslich vom Koch des Jahrhunderts Joël Robuchon den entscheidenden Tipp: Danièle Delpeuch.

Seit jenem Tag, als Mitterrand ihr zurief «Bringen Sie mir das Beste, was Frankreich zu bieten hat», hat sich ­Danièle Delpeuch nur wenig verändert. Sie trägt einen Pagenschnitt statt eines Dutts, das Haar silbern, die Wangenäpfel sind immer noch hoch und rosig. Ein schwarzes Cape im japanischen Stil unterstreicht ihre Eleganz und Schönheit. Das Gespräch mit der 70-Jährigen ist belebend wie ein Glas Dom Pérignon am Morgen. Munter sprudeln die Worte aus ihr. Sie wird viel lachen in der folgenden Stunde, kein Klein-Mädchen-Gekicher, sondern warm aus dem Bauch heraus.

Gestern Athen, heute Zürich, morgen London, sie tourt um die Welt, um den Film «Les Saveurs du Palais» zu vermarkten, der von ihrer Lebens­geschichte inspiriert ist. Es ist die ­Geschichte einer ungebändigten Frau, mit allen Zutaten, die ein abenteuerliches Leben ausmachen.

Ein Ziel für Gourmets

Geboren ist sie 1942 im besetzten Paris. Als ihr Vater, ein einfacher ­Arbeiter, starb, zog die Mutter mit den vier Kindern zurück ins Périgord, zu Grossmutter Julia, die als Schloss­köchin arbeitete. Etwas Rechtes hat Delpeuch nie gelernt, und so heiratete sie mit 19 einen Bauern aus der Nachbarschaft. Mit 24 hatte sie bereits vier Kinder. «Ich war auf dem Hof festgebunden und sah das Leben an mir vorbeiziehen. Alors, was tun?» Wenn sie nicht in die Welt hinaus kann, dann muss die Welt eben zu ihr kommen, sagte sie sich und gründete den ersten Table d’Hôte der Gegend, zu einer Zeit notabene als der Begriff «Terroir» noch Naserümpfen auslöste­.

Bald besuchten Reise- und Gastrojournalisten ihren Hof: Diese Foie gras! Diese Trüffel! Dieses Wild! Diese Geschmäcker! Gourmets aus Brüssel, Genf und Mailand reisten an und wollten in die Geheimnisse der Zubereitung eingeweiht werden. Sie belieferte Topchefs mit ihren Produkten, gründete ein kleines Restaurant und die erste Kochschule des Périgord.

Eine amerikanische Touristin sorgte für einen weiteren Wendepunkt in ihrem Leben, und bald schon setzte Danièle Delpeuch ins Land der Tiefkühlburger, Dosengemüse und Tubensaucen über, um die Amerikaner aus ihrer kulinarischen Unmündigkeit zu befreien und sie die traditionelle Cuisine française zu lehren. Sie wurde gefeiert, sie wurde geehrt, sie befreundete sich mit Politikern, Holly­woodstars und mit Amerikas berühmtester Köchin und Kochbuchautorin, Julia Child. 1980 erhielt Delpeuch den Orden Chevalier du Mérite Agricole, die höchste Auszeichnung Frankreichs – eine, die Frauen kaum je erhalten. Mitterrand bekam also ein bisschen mehr als nur eine einfache Frau vom Lande.

In der Gerüchteküche des Hofstaats

Als sie an der Rue du Faubourg-Saint-Honoré No. 55 einzog, waren ihre Kinder erwachsen, die Ehe nach 27 Jahren geschieden. Ihre Wohnung lag im privaten Teil des Elysée-Palastes, wo auch Mitterrands Geliebte Anne Pingeot und deren gemeinsame Tochter Mazarine lebten. Wie männiglich bekannt, setzte der Hofstaat seine ganze Arbeitskraft für die Kreation von Intrigen, Rankünen, Kabalen und Halbwahrheiten ein. Weil Delpeuch ehrgeizig war, galt sie als Konkurrenz. Weil sie schön war, sagte man ihr eine Affäre mit Mitterrand nach. «Madame du Barry» war ihr Übername in Anspielung auf die Lieblingsmätresse König Ludwigs XV. Sie ignorierte den Sarkasmus und stellte klar, dass sie nur dem Präsidenten Rechenschaft schuldet. «Ich dulde es nicht, dass andere Köche ihre Nase in meinen Topf stecken.»

Mitterrand eroberte sie mit den traditionellen Gerichten der Cuisine française, mit ihrer «brouillade de cèpes», ihrem «filet de bœuf en croûte sel», ihre «pommes de terre à la sarladaise», ihrem «chou farci au saumon» und der Saint-Honoré-Torte. Spricht Danièle Delpeuch vom Essen, klingt es wie der höchste aller Genüsse. Lauter Wonne, lauter Sinnlichkeit. Manche Nacht sassen sie und Mitterrand zusammen am Küchentisch, assen in bernsteinfarbener Butter geröstetes und mit Trüffelscheiben belegtes Bauern­brot, tranken eine Flasche 1969er Château Rayas dazu und redeten über – die französische Küche.

Nach zweieinhalb Jahren bat sie um Demission, ermüdet von der Bevormundung der Bürokraten. Mitterrand war der letzte Präsident Frankreichs, der von der Cuisine française etwas verstand. Seither wird das Land von kulinarischen Banausen gemanagt. Sarkozy isst keinen Käse und trinkt Cola zero statt Wein, Hollande schreibt Diät-Bücher zur Volkserziehung.

Kochen ist ein Abenteuer

Danièle Delpeuch kehrte auf ihren Hof zurück. Doch als sie 60 wurde, packte sie erneut das Fernweh: «Koch/Köchin gesucht für eine Forschungsstation auf der Antarktis», las sie in einem Inserat. Sie bekam abschlägigen Bescheid. Aus politischer Korrektheit sei das Inserat neutral gehalten, doch würde man keinesfalls eine Frau einstellen, niemanden über 30 und schon gar nicht ohne abgeschlossene Ausbildung. «Aber man nennt mich nicht umsonst die Jeanne d’Arc der Küche», sagt Danièle Delpeuch kokett. Jedenfalls gab die Forschungsstation klein bei. Kurz darauf ging die sechsfache Grossmutter auf Saint-Paul-et-Amsterdam an Land, wo sie 14 Monate lang für 60 Wissenschaftler kochte. «Kochen ist ein Abenteuer», schwärmt Delpeuch, «und das Kochen ermöglicht Abenteuer.»

Doch eigentlich lebt sie wieder auf dem 700-jährigen Bauernhof ihrer Familie, inmitten eines Eichenwaldes, wo sie winters mit ihrem Trüffelhund Venise nach schwarzen Diamanten sucht. Noch immer schwanke sie hin und her, ob sie eine perfekte Grossmutter sein oder zu neuen Abenteuern aufbrechen soll. Dann, als ob ihr beim Sinnieren etwas viel Wichtigeres eingefallen ist, fragt sie: «Haben Sie schon mal ein in Butter geröstetes Bauernbrot mit Trüffelscheiben gegessen? Kommen Sie bei mir vorbei, ich mache Ihnen eines.»

«Les Saveurs du Palais – Die Köchin und der Präsident». Ein Film von Christian Vincent. Mit Catherine Frot, Jean d’Ormesson, ­Hippolyte Girardot. Dauer: 95 Min. Filmstart: 3. Januar 2013

Das Kochbuch zum Film: Danièle Mazet-Delpeuch hat ihre 1997 ­erschienenen Memoiren «Carnets de ­cuisine – Du Périgord à l’Elysée» (Küchen­notizen – Vom Périgord ins Elysée») inklusive Rezepte – überarbeitet und im Verlag ­Bayard Culture neu aufgelegt. Eine Über­setzung auf Deutsch ist in Planung.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 21.12.12

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