Neuer Schwung für eine alte Idee: Der Bundesrat soll eine Kulturflatrate prüfen: eine Zwangsabgabe für alle, die das Internet nutzen.
Das Internet und die Musikindustrie – ein kompliziertes Verhältnis. Nachhaltig zerrüttete es ein junger Amerikaner, als er 1999 Napster programmierte, eine Software, mit der man einfach und kostenlos Songs aus dem Netz saugen konnte. Seither ist alles noch viel schlimmer geworden. In den letzten zehn Jahren haben sich die Einnahmen aus dem Verkauf von Musik weltweit mehr als halbiert (siehe Rückseite des Artikels). Das hat viele Gründe, von denen aber einer der Musikindustrie am besten gefällt, weil die Schuld auf andere fällt: die Piraterie.
Seit Jahren versucht die Musikindustrie weltweit, illegale Downloads in den Griff zu bekommen. Auch in der Schweiz – bloss ist das hierzulande besonders schwierig. Illegale Downloads gibt es in der Schweiz nämlich gar nicht. Downloads für den Privatgebrauch sind in der Schweiz legal – egal aus welcher Quelle sie kommen.
Das sei gut so, hat der Bundesrat in einer Stellungnahme Ende November 2011 nochmals bekräftigt. Das geltende Urheberrecht schütze die Urheber ausreichend, weitergehende Massnahmen wären «unverhältnismässig»: Sie würden Konsumenten massenhaft kriminalisieren und ihre Privatsphäre verletzen. Ausserdem, so schreibt der Bundesrat in seinem Bericht, unterscheide sich «das Kaufverhalten von Tauschbörsennutzern nur minim von demjenigen anderer Personen». Trotz Gratisdownloads würden sie insgesamt nicht weniger Geld für Musik ausgeben.
Mit diesem klaren Bekenntnis, dass Downloads legal bleiben sollen, hat der Bundesrat für internationales Aufsehen gesorgt (siehe Artikel bei BoingBoing und Forbes) – und für Empörung unter hiesigen Musikschaffenden. Zahlreiche Vertreter der Schweizer Musikszene, von Baschi über Bligg bis Züri West, haben sich daraufhin zum Verein Musikschaffende Schweiz zusammengeschlossen und kämpfen derzeit ziemlich vehement für ihre Interessen. Nichts weniger als «das Urheberrechts-Guantanamo in Europa» sei die Schweiz, schreiben sie in ihrem Positionspapier.
Angemessene Honorare für Musiker
Während «Musikschaffende Schweiz» auf eine Verschärfung des Urheberrechts pocht, bringt der grüne Nationalrat Balthasar Glättli eine andere Idee wieder aufs Tapet, die bereits seit Längerem in interessierten Kreisen diskutiert wird: die Kulturflatrate. Glättli verlangt vom Bundesrat, dass er nochmals über die Bücher geht und Vorschläge erarbeitet, wie Musikschaffende «angemessen» für ihre Arbeit entlöhnt werden können, ohne dass dafür Internetnutzer kriminalisiert werden müssen. Als mögliches Modell nennt Glättli die Kulturflatrate. Die Idee: Jede und jeder, der über einen Internetanschluss verfügt, muss einen Pauschalbetrag für die Nutzung von Kultur über das Internet entrichten – vergleichbar mit den Fernsehgebühren, die die Billag einzieht. Im Gegenzug bleiben Downloads, auch aus illegalen Quellen, weiterhin legal.
Knifflige Fragen stehen im Raum
Die Einnahmen aus der Kulturflatrate würden dann unter allen Urhebern von kulturellen Inhalten aufgeteilt. Wer als Urheber von kulturellen Werken gelten darf (man denke an Software, Computerspiele oder journalistische Artikel), ist eine der kniffligen Fragen, die dabei geklärt werden müssten. Ebenso die Frage, nach welchem Verteilschlüssel das Geld schliesslich unter allen Berechtigten aufgeteilt wird.
Einen Vorschlag, wie eine Kulturflatrate für die Schweiz konkret aussehen könnte, hat der in Arlesheim wohnhafte «Medienfuturist» Gerd Leonhard letzte Woche in einem offenen Brief an Schweizer Musikschaffende und den Bundesrat ausgeführt. Er schlägt eine pauschale Abgabe von einem Franken pro Woche und Nutzer vor (siehe Kasten). Er meint damit aber nur eine Flatrate für Musik, die andere kulturelle Inhalte im Netz nicht mit einschliesst.
Bevor es soweit ist, wird sich der Bundesrat mit der Frage beschäftigen müssen, ob eine Kulturflatrate grundsätzlich ein gangbarer Weg ist – Vorbilder auf internationaler Ebene gibt es bisher keine. Genau diese Frage stellt die TagesWoche schon heute in der Wochendebatte. Diskutieren Sie mit!
Kulturflatrate konkret
Der «Medienfuturist» Gerd Leonhard skizziert in einem offenen Brief von letzter Woche, wie eine «Musikflatrate» konkret aussehen könnte. Sein Vorschlag: Die Schweizer Musikschaffenden einigen sich auf eine gemeinsame Standardlizenz, mit der sie ihre Musik der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Die Lizenz ist als Flatrate konzipiert. Damit, so rechnet Leonhard vor, könnte mehr Geld umgesetzt werden, als der Schweizer Musikmarkt aktuell hergibt. Alle kommerziellen Anbieter, die Musik anbieten wollen – seien das Radios, Internetprovider oder Streamingplattformen wie Spotify – müssen die Gebühr von einem Franken pro Nutzer und Woche bezahlen. Es ist dann ihnen überlassen, ob sie die Kosten direkt an die Nutzer weitergeben. Die Einnahmen sollen von einer Verwertungsgesellschaft anteilsmässig an die Urheber verteilt werden: Je mehr ein bestimmter Künstler gespielt wird, desto grösser sein Anteil am ganzen Kuchen.
Quellen
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 08.06.12