Im Gundeldinger Schulhaus wird eine Gruppe von Flüchtlingskindern unterrichtet. Die Kinder wohnen mit ihren Eltern vorübergehend im Migrationszentrum im Gundeli. Ein Augenschein in einer fast ganz normalen Klasse.
Es herrscht der übliche Betrieb im Schulhaus Gundeldingen. In einem der Zimmer sitzen Kinder im Alter von 4 bis 14 Jahren auf kleinen Holzbänken und singen:
«Ein Elefant ging ohne Hetz
ganz gemütlich durch ein Spinnennetz,
ja, da fand er diesen Weg so interessant,
suchte sich noch einen Elefant.»
Drei Kinder bleiben anfänglich stumm. Beim «fünfzehnten Elefanten» summen und wippen auch sie mit.
Drei Lehrpersonen kümmern sich an diesem Tag gemeinsam um 17 Kinder, die alle in Wohnungen des Migrationszentrums untergebracht sind. Einige sind erst seit wenigen Tagen in Basel. Diese Woche kamen zwei Kinder dazu, am Dienstag nochmals zwei. «Es gibt immer wieder Wechsel», sagt Beatrice Brogle. Sie unterrichtete früher in Fremdsprachenklassen. Seit es diese nicht mehr gibt, ist sie für die Einstiegsgruppen mitverantwortlich. Frau Brogle unterrichtet seit 20 Jahren in Basel, ihr zweiwöchiger Jubiläumsurlaub steht kurz bevor.
Unterschiedliche Leistungsgruppen
Inzwischen hat der Elefant genug andere Elefanten gefunden. Das Lied ist fertig. Jetzt werden die Kinder in Leistungsgruppen unterteilt. Der Unterricht findet für die älteren sieben Kinder in einem eigenen Raum statt, die jüngeren teilen sich den zweiten Raum. Unter ihnen sitzen fünf Kinder aus Syrien, drei aus Albanien und je ein Kind aus Eritrea, Bosnien-Herzegowina, Afghanistan und Serbien.
Die zehn Kinder der ersten Einstiegsgruppe stammen aus sechs verschiedenen Ländern. (Bild: Benjamin Schmid)
«Der grösste Unterschied zu einer Regelklasse», sagt Brogle, «ist die gemeinsame Sprache. Die fehlt uns teilweise völlig.» Bei besonders wichtigen Dingen, zum Beispiel für Elterngespräche, wird ein Dolmetscher organisiert. Im Alltag helfen Hände, Füsse und Mitschüler. Die Sprache lernen die Kinder allerdings erstaunlich schnell. Brogle sagt: «Die fast noch wichtigere Aufgabe ist es für uns, die Kinder an unser System Schule heranzuführen.»
Ungewisse Zukunft belastet Zusammenhalt
Die Kinder besuchen die Gruppe solange, bis der Kanton für ihre Eltern eine Wohnung gefunden hat und sie aus dem Migrationszentrum im Gundeli ausziehen. Weil die Wohnungssuche zunehmend schwieriger wird, verlängert sich oft auch der Aufenthalt der Kinder in ihrer Gruppe.
Trotzdem: «Bei den Fremdsprachenklassen betrug die durchschnittliche Aufenthaltsdauer etwa ein Jahr» sagt Brogle, «heute bleiben die Kinder teilweise auch kürzer.» Ein richtiges «Wir-Gefühl», wie es in einer normalen Klasse entstehe, könne sich kaum entwickeln. Zu ungewiss sei die Zukunft der Asylsuchenden.
«Umso wichtiger ist für uns, dass wir die Kinder, die uns verlassen, gemeinsam verabschieden können», sagt Brogle. Teilweise gelinge das aber nicht. Zum Beispiel, wenn die Eltern während der Ferien eine Wohnung erhalten und sofort umziehen. Das Kind wird danach in die Regelklasse der Schule eingeteilt, die im Einzugsgebiet des neuen Wohnorts liegt.
Umgang mit traumatisierten Kindern
Nach einem gemeinsamen Memoryspiel wird auch die Gruppe der jüngeren Kinder nochmals halbiert. Die älteren beschäftigen sich mit Mathematik, die anderen malen. Es ist ruhig, die Kinder arbeiten konzentriert.
Während die älteren Kinder rechnen, malen und spielen die jüngeren. (Bild: Benjamin Schmid)
Dass die Kinder auf ihrer Flucht in die Schweiz möglicherweise Traumatisches erleben mussten, drückt im Klassenbetrieb selten durch. «Die Kinder oder ihre Eltern erzählen manchmal von sich aus, wir fragen aber nicht nach», sagt Brogle. Gerade bei jüngeren Kindern beobachte sie aber auch, «dass die Kinder ihre Flucht vielleicht oft gar nicht so bewusst wahrnehmen – auf jeden Fall wirkt ihr Verhalten absolut nicht traumatisiert».
Vergessen als Überlebensstrategie
Bei älteren Kindern sei das hingegen anders. Dort können die Traumata sichtbar werden. «Weint ein Kind mehrmals aus nichtigen Gründen über längere Zeit, ersuchen wir um Hilfe bei der zuständigen Stelle im Departement», sagt Brogle.
Andere Kinder reagieren nicht auf der emotionalen, sondern der kognitiven Ebene – mit einer Lernblockade: «Diese Kinder können keinen Lernstoff behalten, weil sie konditioniert sind, alles Erlebte sofort wieder zu vergessen». Als «Überlebensstrategie» bezeichnet Beatrice Brogle dieses Verhalten, das ebenfalls mit Fachpersonen angegangen wird.
«Wann ist Pause?», fragt ein Bub und rutscht auf seinem Stuhl hin und her. Die Mathematikaufgaben strengen ihn an, er wirkt müde. «Es geht nicht mehr lange, bald könnt ihr raus.»
Zukunft ungewiss
Das System der Einstiegsgruppe im Gundeldingerschulhaus ist eine Übergangslösung. Laut der zuständigen Volksschulleiterin, Doris Ilg, werde damit verhindert, «dass die Kinder nach kurzer Zeit die Regelklasse wechseln müssen und dass die Regelklassen mit häufigen Wechseln belastet werden», schreibt sie. «Das System ersetzt die vier ehemaligen Fremdsprachenklassen.»
Wie lange Basel-Stadt diese Gruppen noch anbietet, ist offen. «Die Klasse wird von Jahr zu Jahr bewilligt», sagt Klassenlehrerin Beatrice Brogle.
Ob der Kanton die Einstiegsgruppe im Gundeldingerschulhaus weiterhin anbietet, ist noch nicht entschieden. (Bild: Benjamin Schmid)
In der grossen Pause geht es gemeinsam über die Strasse in den benachbarten Margarethenpark. Es herrscht der übliche Pausenbetrieb: Sobald das Znüni gegessen ist, machen die Kinder Versteckis oder Fangis, die Jungs ärgern Mädchen – und umgekehrt. Wie in einer ganz normalen Klasse.