Birsfelden hatte schon früher streitlustige Politiker. Doch noch nie wurde so viel Geschirr zerschlagen wie in letzter Zeit. Viele Hoffnungen ruhen nun auf dem künftigen Gemeinderat. Doch wegen Wahlbeschwerden ist noch unklar, wann dieser mit der Arbeit beginnen kann.
Birsfelden grenzt übergangslos an die Stadt Basel. Wie Bottmingen und Binningen, wo sich die gut verdienenden Mitbürger gerne niederlassen – weil dort die Steuern nicht so hoch sind wie im Stadtkanton und weil in den dortigen Schulklassen weniger Murats und Alis sitzen (auch wenn das die Binninger und Bottminger nie zugeben würden).
Wer in Birsfelden wohnt, den hat es aus anderen Gründen dorthin verschlagen – denn die Steuern sind keineswegs tief, und der Ausländeranteil ist der höchste aller Gemeinden im Bezirk Arlesheim. Nach Birsfelden ziehen viele, die sich das Wohnen in der Stadt nicht leisten können.
Falsche Adresse
Und in Birsfelden lebt es sich gar nicht schlecht. Zugegeben, wenn man von der Stadt her kommt, macht die Ortschaft nicht gerade einen anmächeligen Eindruck. Blockbauten, Zeugen der Architektursünden aus den 1970er-Jahren, säumen die Hauptstrasse links und rechts. Morgens und abends wälzt sich der Verkehr im Schritttempo hier durch.
Doch wenn man um ein paar Ecken schaut, da und dort in eine Nebenstrasse einbiegt, gibt es durchaus wohnliche Flecken. Nicht zu vergessen die Erholungszonen Birsufer, Hardwald oder das Naturschutzgebiet beim Kraftwerk. Ausserdem bietet Birsfelden (fast) alles, was der Mensch so braucht: Schulen, Beizen, Läden, Arztpraxen sowie viele Coiffeursalons und Nailstudios. Letztere boomen aus unerfindlichen Gründen besonders.
Aber auch was Kulturangebote betrifft, muss sich Birsfelden nicht verstecken: Mit dem Theater Roxy beherbergt die Gemeinde eine renommierte Kleinbühne, für Rockliebhaber sorgt «Sissy’s Place», und das «Birsfälder Museum» ist klein, aber immer wieder gut bestückt. Erwähnenswert ist auch das «Atelierhaus», wo Kunstschaffende seit mehreren Jahrzehnten wirken.
Juristenfutter
Doch gerade dieses «Atelierhaus», auf das die Gemeinde als Vermieterin stets stolz und gerne hingewiesen hatte, ist neuerdings auch ein Symbol für die jüngere Entwicklung in Birsfelden, die fast nur noch für negative Schlagzeilen sorgt. So berichtete die BaZ, dass den Künstlern gekündigt worden sei.
Weiter erfuhr man, dass sich dabei der Gemeinderat einmal mehr höchst ungeschickt angestellt hat. Erstens war die Kündigung falsch adressiert: statt an die eigentliche Mieterin, die Künstleratelierhaus Genossenschaft GSMBA Basel, an die einzelnen Künstler; zweitens weiss die Gemeinde noch nicht, was danach mit dem Gebäude geschehen soll. Nur etwas ist klar: Die Genossenschaft hat gegen die Kündigung Rekurs eingelegt – und Birsfelden ist in einen weiteren Rechtsstreit verwickelt.
Schon die Diskussion um die Wiedereinführung eines Einwohnerrats führte zu einem juristischen Hickhack, und auch die Frage über die Zusammensetzung des Gemeinderats für die nächste Legislatur ist, wie bekannt, ein Fall für das Gericht. Erst wenn die Beschwerde des im März abgewählten SVP-Gemeinderats Claude Zufferey gegen die Wahl von Regula Meschberger (SP), die auch für das Gemeindepräsidium kandidiert, vom Kantonsgericht entschieden ist, können die Stimmbürger für die Präsidiumswahl an die Urne gehen. Dieser Termin wird auf irgendwann im Herbst geschätzt.
Bis vor Kurzem hiess es noch, der bis dahin mit sechs statt sieben Köpfen bestückte Gemeinderat sei ab 1. Juli handlungsfähig. Doch nachdem nun der Birsfelder SVP-Präsident Samuel Bänziger gegen die Erwahrung dieser sechs Gemeinderäte ebenfalls Beschwerde eingereicht hat, steht auch das in den Sternen.
Exodus in der Verwaltung
Aussenstehende mögen diese Geschichten aus Birsfelden als Lokalposse abtun, aber für die Einwohner ist das alles nicht lustig. Denn diese Gemeinde ist wie gesagt finanziell nicht auf Rosen gebettet und momentan für gutbetuchte Umzugswillige etwa so attraktiv wie Griechenland.
Wer sich umhört, erfährt, dass in Birsfelden schon immer gern und heftig gestritten wurde. Legendär sind die Geschichten rund um den einstigen SVP-Gemeinderat Alfred Duppenthaler, der seine Amtszeit offenbar vor allem dazu genutzt hat, den Gemeinderat und die Verwaltung mit Beschwerden einzudecken und speziell den damaligen Gemeindepräsidenten Peter Meschberger zu bekämpfen. 2004 übernahm Hugo Holm von der SP das Präsidium und Duppenthaler trat zurück.
Zwei Jahre lang ging es relativ ruhig zu und her in Birsfelden. Doch dann gab Holm das Amt ab, und Gemeinderat Claudio Botti von der CVP wurde Präsident. Ausserdem zog Claude Zufferey als Nachfolger der verstorbenen SVP-Gemeinderätin Chantal Hugonnet in den Gemeinderat ein. Auf Drängen Bottis, heisst es. Das Duo Botti-Zufferey entpuppte sich als Duo Infernale.
Innerhalb kürzester Zeit war in der Gemeinde der Teufel los. Von der Öffentlichkeit wurde das erst richtig bemerkt, als in der Verwaltung ein Abteilungsleiter nach dem anderen den Hut nahm und weitere Angestellte ihnen folgten. Der Exodus erreichte mit der Freistellung des Gemeindeverwalters Walter Ziltener seinen Höhepunkt. Seit Bottis Amtsantritt als Präsident verliessen rund dreissig – die meisten von ihnen langgediente – Angestellte die Gemeindeverwaltung; fortan nannte man ihn deshalb auch den «Entlassungskönig».
Während dieser von einer normalen Fluktuation sprach, erhoben andere schwere Vorwürfe gegen Bottis Führungsstil. Machtbesessen sei er, er verbreite ein Klima der Angst, habe Unsummen für externe Berater ausgegeben statt die eigenen, erfahrenen Leute miteinzubeziehen. Urs Girod, bis zu seiner kürzlichen Pensionierung während zwölf Jahren Gemeindeverwalter im benachbarten Muttenz, konnte davon profitieren: «Wir konnten Topleute aus Birsfelden übernehmen, die machen nun bei uns einen hervorragenden Job.»
Wird Gutes schlecht geredet?
Auch Girod hält nicht zurück mit Kritik an Botti und bezeichnet dessen Verhalten als «Tarnung des eigenen Versagens». Statt sich um seine eigentliche Aufgabe zu kümmern, sagt Girod, mische er sich in das operative Geschäft ein. Gemeinsam mit Zufferey, mit dem er offensichtlich ein Päckli geschnürt habe. Deren Ziel sei wohl von Anfang an gewesen, die Verwaltung auszuwechseln, so Girod. «Sie sind aber gewählt worden, um treuhänderisch das Beste für ihre Gemeinde herauszuholen. Ich wundere mich, dass es ihnen nicht die Schamröte ins Gesicht treibt.»
Falls Botti beim Nachfragen der Journalistin tatsächlich errötet ist (telefonisch lässt sich das nicht ausmachen), dann höchstens aus Ärger. Er reagierte jedenfalls gereizt: «Ich weiss nicht, was andere Stimmen sagen», der Gemeinderat funktioniere gut, «aber es ist ja immer schön, etwas schlecht zu reden, ich kann Ihnen diesen Gefallen leider nicht machen.»
Auch Zufferey zweifelt trotz Abwahl keinen Moment daran, stets richtig gehandelt zu haben. Bei der Verwaltung seien diverse Sachen nicht in Ordnung gewesen, sagt er. «Das war eine Vetterliwirtschaft, ein Filz.» Die neue Verwaltung arbeite jetzt viel effizienter, budgetkonform. Auf die Frage, welche Projekte denn in letzter Zeit verwirklicht werden konnten – man sehe keine Veränderung, meint Zufferey geheimnisvoll: «Im Gemeinderat sieht man eben viele Sachen, die die Leute draussen nicht so verstehen.»
Ein vielversprechendes Leitbild
Unter Punkt 6 im Leitbild der Gemeinde Birsfelden, das im Dezember 2008 herausgegeben wurde, steht: «Kommunikatives Birsfelden». Ziel sei, «die Bevölkerung, das Gewerbe und die Wirtschaft über das politische Geschehen zu informieren und sie aktiv an der Meinungsbildung zu beteiligen».
Ein paar Birsfelder haben sich dieses Versprechen zu Herzen genommen und kommentieren mit regelmässigen Einträgen in ihrem «Birsfälde blog(g)t anderscht!» das politische Treiben der «Dienstags-Runde», wie sie den jeweils am Dienstag zusammenkommenden Gemeinderat bezeichnen.
Doch in den allermeisten Fällen müssen sich die Blogger auf Informationen aus den Medien beziehen, denn kommuniziert wird von der Gemeinde nicht viel. Das zeigen die Zähler in der rechten Spalte, mit denen daran erinnert wird, seit wann wer auf eine Antwort der Gemeinde wartet: seit 13 Wochen die Verfasser eines offenen Briefs zur Buvette am Birskopf. Seit 50 Wochen wartet die SP auf eine Anwort zu der Frage nach den Kosten der Personalwechsel der letzten sechs Jahre und seit 125 Wochen die FDP auf ihre Forderung, die Personalfluktuation zu untersuchen.
Jetzt ist Teamwork angesagt
Ein weiterer Punkt im Leitbild gilt dem Thema Verkehr. Darin ist unter anderem festgehalten, dass sich Birsfelden «für eine Verkehrsberuhigung im Dorf» einsetzt. Auf die tägliche Verkehrslawine angesprochen, sagt Botti, dass die Journalistin offensichtlich den Unterschied zwischen Gemeinde- und Kantonsstrasse nicht kenne.
Ganz anders reagiert Regula Meschberger, die sich ebenfalls für das Gemeindepräsidium bewirbt: Da müssten unbedingt und endlich Massnahmen ergriffen werden, «wir müssen gemeinsam mit der Stadt Basel und dem Kanton Baselland Ideen zur Verkehrsberuhigung entwickeln».
Auch der dritte Kandidat, Christoph Hiltmann von der FDP, der bei den Gemeinderatswahlen am meisten Wählerstimmen erhielt, gibt ein paar Ideen bekannt. Vor allem für den zwischenmenschlichen Bereich: «Wir müssen wieder Ruhe reinbringen», sagt er. Er wolle integrativ wirken, weniger auf Abgrenzung, sondern auf Teamwork setzen. Und er gibt sich zuversichtlich: «Als Teil dieser Exekutive sehe ich einigermassen positiv in die Zukunft.» Das Potenzial für ein positives Klima sei vorhanden, stimmt ihm Meschberger zu.
Tatsächlich ruhen nun viele Hoffnungen auf dem künftigen Gemeinderat. Zwar sind mit Jürg Wiedemann von den Grünen und – sofern das Kantonsgericht die Wahl anerkennt – mit Regula Meschberger nur zwei Neue dabei, aber wie Schulleiterin Meschberger weiss, «können ein, zwei Menschen eine ganz andere Gruppendynamik auslösen».
Ein unzufriedener Birsfelder sagt es in anderen Worten, meint aber wohl dasselbe: «Zufferey ist weg, und allein kann Botti die restlichen Gemeinderatsmitglieder nicht mehr so einschüchtern wie bisher.»
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 18.05.12