Eine Geste der Versöhnung endet im Desaster

Eine Geste der Versöhnung endet im Desaster. Ein Kommentar von unserem Korrespondenten Krsto Lazarevic zu den gestrigen Ereignissen in Srebrenica.

Friedensmarsch in Gedenken an die Opfer des Massenmordes von Srebrenica.

(Bild: MARTIJN BEEKMAN)

Eine Geste der Versöhnung endet im Desaster. Ein Kommentar von unserem Korrespondenten Krsto Lazarevic zu den gestrigen Ereignissen in Srebrenica.

Es hätte eine Geste der Versöhnung werden können und endete im Desaster. Der serbische Premierminister Aleksandar Vucic nahm 20 Jahre nach dem Massaker von Srebrenica an der Gedenkveranstaltung teil und wurde mit Steinen, Schuhen und Flaschen beworfen. Ein aufgebrachter Mob verfolgte den serbischen Premier und forderte seinen Tod. Die Delegation aus Serbien rannte um ihr Leben.

Was die Hinterbliebenen der Opfer in den vergangenen Tagen zu ertragen hatten, ist blanker Hohn. In Srebrenica fanden sich seit Freitag Bilder von Vladimir Putin, auf denen sich bosnische Serben bei ihm bedanken. Hintergrund ist, dass Russland vergangenen Mittwoch im UN­-Sicherheitsrat ein Veto gegen eine vermeintlich «serbenfeindliche» Resolution einlegte, in dem die Massaker von Srebrenica als das bezeichnet wurden, was sie sind – Genozid. Vucic und die Vertreter der bosnischen Serben störten sich an dem Begriff und baten Russland, das Veto einzulegen.

Nicht gedacht soll ihrer werden 

In Belgrad wollten sich gestern Menschen versammeln um gemeinsam an das Kriegsverbrechen zu erinnern. Der Innenminister hat die Demonstration aus «Sicherheitsgründen» untersagt, weil Hooligans die Veranstaltung angreifen könnten.

Während Vucic also nach Srebrenica fuhr, um an der Trauerfeier teilzunehmen, wurde den Belgradern untersagt, öffentlich zu gedenken, weil man vor Rechtsextremen eingeknickt ist, für die das Massaker von Srebrenica eine Heldentat darstellt.

Immerhin kamen trotzdem rund 200 Menschen vor das Büro des Präsidenten, zündeten Kerzen an und zeigten, das es in Serbien Anstand gibt, wenn es um die Aufarbeitung des Massakers geht. 

Es gibt aber noch schwerwiegendere Gründe, warum Aleksandar Vucics Besuch in Srebrenica nicht auf Gegenliebe traf. 2007 haben Rechtsextreme den Zoran-Dindic-Boulevard in Belgrad kurzerhand in den Ratko-Mladic-Boulevard umbenannt. Vucic fand das gut und schrie bei einer Parlamentsdebatte genüsslich: «Ihr werdet Mladic niemals festnehmen.»

«Für einen Serben töten wir hundert Muslime.»

Aleksandar Vucic, 1995

Der General, der das Massaker zu verantworten hat, und Vucic waren lange Zeit Brüder im Geiste. Als in Srebrenica am 11. Juli 1995 rund 8000 Männer und Buben ausselektiert und daraufhin ermordet wurden, war der heutige Premierminister Funktionär der Serbischen Radikalen Partei und berüchtigt für seine rhetorische Kriegstreiberei: «Für einen Serben, töten wir hundert Muslime», das sagte er am 20. Juli 1995 im serbischen Parlament – kurz nach den Massakern in Srebrenica. Heute will er sich daran nicht mehr erinnern. Dumm nur, dass die Rede aufgenommen wurde.

Einige der Teilnehmer in Srebrenica waren so nett, Vucic an seine Worte zu erinnern, indem sie diese auf einem großen Transparent mit sich trugen. Andere waren weniger freundlich und bewarfen den serbischen Premierminister mit Flaschen und Steinen, woraufhin seine Brille zerbrach und der Premier eine Verletzung an der Lippe davontrug.

Dabei fing es eigentlich gut an. Munira Subasic, eine der Mütter Srebrenicas, deren Angehörige in den Gräbern von Potocari liegen, zeigte die Grösse, Vucics ausgestreckte Hand entgegenzunehmen. Sie umarmte den serbischen Premier und steckte ihm eine der Blumen von Srebrenica an.

Die Angreifer jedenfalls haben den Hinterbliebenen einen Bärendienst erwiesen. Über die 136 Opfer, die gestern beigesetzt wurden, sprach am Ende des Tages niemand mehr.

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