Eine gute Wahl? Das finden Politiker, Experten, Presse und nicht zuletzt: der neue Bundesrat persönlich

Das Tessin ist überglücklich, und eigentlich mögen es ihm alle gönnen. Manche bedauern, dass Cassis keine Frau ist und nicht so klar scheint, ob nun der Gesamtbundesrat etwas nach rechts rutscht.

Mann des Tages: Ignazio Cassis. (Bild: sda)

Das sagen hohe Politiker

Das Tessin ist selbstverständlich begeistert, dass der Kanton mit dem neugewählten Bundesrat Ignazio Cassis wieder in der Landesregierung vertreten ist. Kein Politiker da, der diesen Tag nicht als «wichtig» oder zum Feiern erachtet. Selbst der Tessiner Regierungspräsident Manuele Bertoli (SP) sieht das so, auch wenn er gegenüber der Nachrichtenagentur sda sagt: «Ich hoffe natürlich, dass sich Cassis nicht so stark nach rechts ausrichtet.»

Kritische Stimmen gab es nach der Wahl aber auch. SP-Fraktionspräsident Roger Nordmann bemängelt, die FDP habe den Frauen keine echte Chance auf den zweiten Sitz eingeräumt. Grünen-Präsidentin Regula Rytz stellt auf Twitter trocken fest:

Für die CVP habe das «Frauenproblem» zur Folge, dass der Druck steige, selber eine Nachfolgerin für Doris Leuthard zu finden, befindet Parteipräsident Gerhard Pfister. Denselben Druck verspürten aber alle Parteien, wenn sie ein Bundesratsticket vorzulegen hätten.

FDP-Präsidentin Petra Gössi relativiert das «Frauenproblem» insofern, als sie auf das «relativ knappe Wahlresultat» verweist: Isabelle Moret (55 Stimmen im ersten Wahlgang) und Pierre Maudet (66 Stimmen) seien demzufolge keine Alibi-Kandidaturen gewesen.

Das findet auch die FDP Genf: Maudet habe eine gute Kampagne gemacht, wichtige Themen angesprochen und ein gutes Ergebnis erzielt (90 Stimmen im 2. Wahlgang). Und auch die Waadtländer FDP bereut nicht, eine Kandidatin wie Isabelle Moret ins Rennen geschickt zu haben, auch wenn das Ergebnis weniger gut war (28 Stimmen im 2. Wahlgang). Die Bundesversammlung habe eben einen Tessiner gewollt.

SVP-Präsident Albert Rösti geht davon aus, mit Cassis würde der «nationale Zusammenhalt» gestärkt und das EU-Dossier neu aufgerollt, und auch für die Asylpolitik könnte seine Wahl Vorteile bringen. Für SP-Parteipräsident Christian Levrat bleibt dagegen mehr oder weniger alles beim Alten.

Das sagen Politologen

Politologe Louis Perron glaubt, Cassis werde versuchen, bei gewissen Themen für seinen Landesteil zu punkten, etwa in Fragen der Migration. An einen Kurswechsel des Gesamtbundesrats glaubt Perron dagegen nicht, auch nicht an einen nach rechts.

Das sieht Politikwissenschaftler Michael Hermann anders. Er sagt im Interview mit dem «Tamedia Newsnet», dass «die Waage vermehrt nach rechts» kippen könnte, zumal sich Cassis «seiner Tessiner Basis beweisen» müsse.

Das schreiben Deutschschweizer Zeitungen

Für die NZZ ist Cassis «eine kluge Wahl». Keinen Tessiner zu wählen «hätte zutage gefördert, welch bedenkliches Verständnis das Schweizer Parlament von Staatspolitik hat». Er sei qualifiziert, die Kritik am Abgeben des italienischen Passes sei eine hilflose Verzweiflungstat gewesen, und auch seine Verbandstätigkeit habe «nichts Verwerfliches» an sich.

Der «Tages-Anzeiger» erwartet durch Cassis keine «pointiert rechtsbürgerliche Dominanz im Bundesrat», sieht ihn als neuen Aussenminister und fordert da Führungsstärke: Er müsse «ein neues Verständnis für die Europapolitik wecken» und «darlegen, dass der bilaterale Weg aus Geben und Nehmen besteht und dass die direktdemokratische Mitbestimmung nicht zur Disposition steht.»

Und was sagt der neue Bundesrat?

Bei seiner ersten Medienkonferenz als Bundesrat nahm Cassis zu verschiedenen Themen wie folgt Stellung:

  • Gefühlslage: Stolz und glücklich.
  • Wunschdepartement: Es sei ihm jedes recht.
  • Rahmenabkommen mit der EU: Um den bilateralen Weg zu konsolidieren und auszubauen, sei ein Abkommen vielversprechender, wenn es zumindest anders heisse.
  • Ein Bundesrat von Gnaden der Volkspartei: Er glaubt nicht, dass er der SVP etwas schuldig sei, nur weil sie ihn unterstützt habe. Grundsätzlich wolle er themenbezogene Allianzen mit links und rechts schmieden.
  • «Der Tessiner» in der Landesregierung: Will er so nicht ewig sein. Was er aber sicher will – die Probleme der Grenzgebiete stärker einbringen.

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