Eine Staatsbank ohne Staat

Die Bankenkrise auf Zypern bringt die Eurozone einmal mehr ins Wanken. Um solche Szenarien in Zukunft zu verhindern, braucht die Europäische Zentralbank eine funktionierende europäische Regierung.

Euroland steht wieder am Abgrund: Graffito am Bauzaun um das neue EZB-Hauptquartier in Frankfurt am Main. (Bild: Reuters)

Die Bankenkrise auf Zypern bringt die Eurozone einmal mehr ins Wanken. Um solche Szenarien in Zukunft zu verhindern, braucht die Europäische Zentralbank eine funktionierende europäische Regierung.

Es ist grotesk: Zypern hat nicht einmal eine Million Einwohner, seine Volkswirtschaft macht weniger als ein halbes Prozent des Bruttoinlandprodukts der EU aus. Und trotzdem kam wegen einer Bankenkrise auf ­Zypern wieder einmal weltweit Panik auf. Die Finanzmärkte spielen verrückt, die Experten orakeln­ bereits wieder über den Ausbruch ­einer neuen Systemkrise in Euroland.

Mit Zypern hat dies nur am Rande zu tun. Das eigentliche Problem liegt wo­anders: Europa hat zwar eine Staatsbank, ist aber selbst kein Staat.
Die strikte Trennung von Politik und Notenbank ist ein zentraler Pfeiler der Wirtschaftspolitik in einer Marktwirtschaft. Die Vorstellung, dass Politiker den Notenbankern ins Handwerk pfuschen, sie etwa zwingen, mit billigem Geld die Wirtschaft zu unterstützen, löst bei jedem Liberalen schlimmste Albträume aus.

In einer tiefen Krise, wie wir sie derzeit erleben, geschieht ­jedoch genau dies: Die Fiskalpolitik (Steuern und Zölle) und die Geldpolitik (Leitzinsen und Geldmenge) vermischen sich. Staat und Zentralbank rücken näher zusammen und setzen sich gemeinsam für die Interessen der nationalen Wirtschaft ein.

Billiges Geld

Wir sehen das in der Schweiz, wo die Nationalbank den Frankenkurs zum Euro an eine Untergrenze von 1.20 gebunden hat, um zu verhindern, dass die Exportwirtschaft untergeht. Wir sehen das in den USA und Gross­britannien, wo die Notenbank (Fed) und die Bank of England für tiefe Zinsen und eine schwache Währung sorgen; und wir sehen dies neuer­dings in Japan, wo im Zeitalter der «Abenomics» – benannt nach dem neuen Premierminister Shinzo Abe – die Bank of Japan im Dienste der Regierung für mehr Inflation und einen tieferen Wechselkurs sorgen will.

Was aber ist mit der Europäischen Zentralbank (EZB)? Ihr Problem: Sie ist eine Zentralbank ohne Staat. Schlimmer noch: Gemäss Maastricht-Vertrag ist es der EZB ausdrücklich ver­boten, ihre Geldpolitik in den Dienst von nationalen Interessen zu stellen. In dieser Situation bleibt dem EZB-Präsidenten gar nichts anderes übrig, als zu Tricks zu greifen.

Genau dies tut Mario Draghi, seit er im Herbst 2011 Jean-Claude Trichet abgelöst hat. Zuerst hat er den Banken unbegrenzt Kredite zu äusserst günstigen Zinsen zugeschanzt. Mit diesem sogenannten LTRO-Programm hat er eine Bankenpleite im grösseren Umfang verhindert und überdies dafür gesorgt, dass die Zinsen der Staats­anleihen der Defizitländer wieder auf ein halbwegs erträgliches Niveau ­gesunken sind.

Das hat aber noch nicht gereicht und im Spätsommer 2012 hat Draghi nachgelegt: Mit dem sogenannten OMT-Programm hat er unmissverständlich klargemacht, dass die EZB notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Defizitländern aufkaufen und dass es deshalb auf keinen Fall zu einem Staatsbankrott kommen wird.

Ruhe im Karton

Mit anderen Worten: Mario Draghi hat so getan, als ob die EZB eine Staatsbank wäre. Er hat sich damit an den äussersten Rand – manche meinen gar darüber – der Legalität be­geben. Das hat natürlich zu Protesten geführt, vor allem in Deutschland. Bei unserem nördlichen Nachbarn ist ein EZB-Präsident aus dem Süden ohnehin suspekt.

Als Draghi sein OMT-Programm verkündet hat, ist Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank (Buba), Sturm gelaufen. Er stimmte im EZB-Direktorium als Einziger dagegen und beschwerte sich lauthals bei seiner Kanzlerin. Doch Angela Merkel ist bekanntlich eine lernfähige Frau. Sie hat inzwischen begriffen, in welch misslicher Lage die EZB sich befindet und hat deshalb den Buba-Präsidenten kurz und brutal in den Senkel gestellt.

Seit die Märkte erkannt haben, dass Draghi es ernst meint mit seinem OMT – die Abkürzung steht übrigens für «Outright Monetary Transactions» – und vor allem, dass er dabei die Unterstützung der deutschen Kanzlerin hat, herrscht Ruhe im Karton. Die Finanzmärkte haben sich beruhigt, die Zinsen der italienischen und spanischen Staatsanleihen sind gesunken und die Börsen boomen.

Schattenstaat als Partner

Am Grundproblem hat sich leider nichts geändert: Die EZB ist nach wie vor eine Staatsbank ohne Staat. ­«Deshalb hat man zu einer Notlösung gegriffen: Man hat als Partner für die EZB einen Schattenstaat gebaut», ­erklärt Thomas Mayer, bis vor Kurzem Chefökonom der Deutschen Bank.

Dieser Schattenstaat werde konsti­tuiert durch Verträge, die die nationale Souveränität auf der Euro-Ebene einschränken mit dem Ziel, Wirtschafts- und Geldpolitik zu koordinieren. Die Regierung bestehe aus dem Euro­päischen Rat und der Eurogruppe­ der Finanzminister mit der sogenannten Troika als mobilem Einsatz­kommando. Wenn dieser Schattenstaat der EZB grünes Licht gibt, hilft sie den Defizit­ländern. «Auf diese Weise ist die EZB tatsächlich ein ­bisschen geworden wie die Fed», so Mayer­. (Mehr dazu finden Sie im demnächst erscheinenden Buch «Europas unvollendete Währung» von Thomas Mayer.)

Die Idee mit dem Schattenstaat mag genial sein. Dumm nur, dass die Menschen sie nicht akzeptieren. «Die Italiener haben im Grunde genommen soeben den europäischen Schattenstaat, respektive seinen Vertreter Mario Monti, abgewählt», sagt Mayer. Darüber könnte man streiten. Vielleicht haben die Italiener in Monti nicht einen Statthalter eines europäischen Schattenstaates gesehen, sondern den Agenten einer verhassten deutschen Austeritätspolitik. Das ändert jedoch nichts am Grundproblem. Es lautet nach wie vor: Wie kommt die EZB zu einem staatlichen Partner? Denn gelingt dies nicht, dann werden die Tricks des Mario Draghi bald einmal wirkungslos verpuffen.

Diese Geldpolitik löst bei ­jedem Liberalen Albträume aus.

Mayer befürchtet eine Wiederholung des Debakels der Rubel­zone. Die ehemaligen Sowjetstaaten schlossen sich nach dem Zerfall des Mutterhauses rund um die russische Zentralbank zu einer Rubelzone zusammen. Nach zwei Jahren zerbrach diese Einheitszone wieder, weil die Balten – wie heute die Deutschen und die Finnen – das Gefühl hatten, von Usbekistan, Turkmenistan & Co. ausgenutzt zu werden und die Währungsgemeinschaft platzen liessen. «Die Staaten der Rubelzone haben es nie geschafft, eine supranationale staat­liche Struktur als Partner für die gemeinsame Zentralbank zu kreieren», stellt Mayer fest. «Das Ergebnis war, dass die Teilnehmerländer die Zentralbank als Cash-Maschine missbraucht haben.»

Am Beispiel der «staatenlosen Staatsbank» EZB lässt sich das aktuelle Dilemma Europas sehr gut aufzeigen: Europa braucht eine Einheitswährung. Nationale Währungen sind in einer globalisierten Wirtschaft zu einer Illusion geworden. Das zeigt das aktuelle Beispiel des Schweizer Frankens. Er musste sich de facto an den Euro hängen, um die Exportwirtschaft zu schützen.

Wenn der Euro überleben soll

Was wäre ohne Euro? Die Schweiz müsste sich dann überlegen, ob sie den Franken an den Dollar oder den Renminbi hängen möchte – keine sonderlich attraktiven Aussichten. ­Dasselbe gilt aber für alle europäischen Staaten, selbst für Deutschland. Wenn sie nicht zu Vasallen von Dollar und Renminbi werden wollen, brauchen sie den Euro.

Der Euro überlebt langfristig aber nur, wenn die EZB keine ungeliebte Schatten­regierung als Partnerin mehr hat, sondern eine vielleicht nicht geliebte, aber zumindest respektierte euro­päische Regierung. Gelingt es nicht, die «Staatsbank ohne Staat» ­politisch abzustützen, kann eine kleine Insel im Mittelmeer mit einer Bankenkrise das gesamte System ins Wanken bringen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 22.03.13

Nächster Artikel