Detaillisten klagen über Schweizer Kunden, die in Deutschland einkaufen. Was man weniger weiss: Auch die Elsässer fressen fleissig über den Hag.
Drei deutsche Thermalbäder locken zwischen Basel und Freiburg zum Bade: Bad Bellingen, Badenweiler und Bad Krozingen. Alle drei liegen kaum mehr als eine halbe Stunde von der Grenze entfernt. Entsprechend viele Schweizerinnen und Schweizer fahren deshalb ins Markgräflerland, wo man nach dem Bad auch die Vorzüge der Gastronomie geniessen kann. Denn anders als in der Schweiz sind die Preise sowohl fürs Bad als auch für die anschliessende Stärkung in einem der vielen Restaurants so günstig, dass man sich das auch öfters leisten kann und mag.
Vom Himmel scheint die Sommersonne, oben auf der Burgruine weht eine schwarz-rot-goldene Fahne im Wind, und im Aussenbassin der Cassiopeia-Therme in Badenweiler herrscht Hochbetrieb. Die dominierende Sprache in der Wellnessoase am Fuss des Schwarzwalds ist aber nicht etwa Deutsch, sondern Französisch. Denn nicht nur Schweizer haben den kleinen, weltoffenen Kurort im Markgräflerland entdeckt, sondern auch die Elsässer.
Perfekt zweisprachig organisiert
«An den Wochenenden kommen 50 bis 60 Prozent unserer Gäste aus Frankreich», sagt Kornelia Harff-Asch, Geschäftsführerin der Badenweiler Thermen. Anders als noch vor Jahren, als die Badenser zum Einkaufen, Essen und Erholen ins Elsass fuhren, sind es heute die Elsässer, die ins Badische kommen.
Im Thermalbad mit Blick auf die unmittelbar benachbarten Mauern des 2000 Jahre alten römischen Vorgängerbads und den prächtigen Kurpark ist man denn auch längst perfekt zweisprachig organisiert: «Inserez le jeton», heisst es da auf dem Display des automatischen Eintrittskreuzes, der Bademeister erklärt Neulingen von jenseits des Rheins in bestem Französisch, wie das schlaue System von Jeton, Wertsachenfach-Schlüssel, Umkleidekabinenschrank und Zahlmittel im Bistro funktioniert.
In den Umkleidekabinen steht unter dem Hinweis «Barfussseite» «Côté pieds nus», und vor dem Eintauchen ins 30 Grad warme angenehme Nass wird man noch unter die «Douche obligatoire» gewiesen. Beim Sonnenbad auf den Liegestühlen am Pool lesen die Frauen nicht «Brigitte», sondern «Marie-Claire».
«C’est super», freut sich Estelle, die als Coiffeuse in Rixheim bei Mülhausen wohnt und es sich mit ihrem Freund regelmässig hier wohl sein lässt. Vor allem junge Leute und Familien sind es, die den traditionsreichen Badekurort jenseits des Rheins entdeckt haben. Für 35 Euro kann eine Familie mit drei Kindern einen Tag lang die vielfältige ästhetische Badelandschaft geniessen.
In Badenweiler haben die Elsässer die Schweizer als häufigste ausländische Gäste längst abgelöst. Die Franzosen schätzen hier neben dem Badeplausch das gute Essen und vor allem die guten Preise. Auf der Terrasse des Privathotels Post gleich vis-à-vis dem Thermalbad kostet ein vorzüglicher «Blattsalat Försterin Art» mit frischen Pfifferlingen 12.80 Euro, ein halber Liter ebenso feiner Britzinger Spätburgunder Kabinett trocken 9.80 Euro. «Bei uns ist alles teurer und weniger gut. Und auch die Bedienung ist hier viel freundlicher», sagt Frührentner Jean-Louis Perrin, der mit seiner Frau und einem befreundeten Ehepaar einen Tagesausflug über die Grenze macht.
Auch wenn Zeynep Gül, die türkischstämmige Kassiererin im Supermarkt in Altkirch, mit ihrem Freund auswärts essen will, dann fahren die beiden nicht ins nahe Mulhouse, sondern ins Restaurant Taksim in Weil am Rhein, wo man sich an warmen Sommerabenden auf der Flaniermeile an der Hauptstrasse fast schon wie im Urlaub in Italien oder Spanien fühlt.
Grenzenloser Betrieb
Die französischen und Schweizer Nummernschilder der vielen parkierten Autos zeigen, wie grenzenlos der Betrieb zwischen dem italienischen Eiscafé und dem Traditionshaus Schwanen heute ist. In der Oberelsässer Metropole Mulhouse ist dagegen vergleichsweise tote Hose: Die meisten Lokale schliessen früh, auf der Strasse unterwegs ist kaum jemand. Statt bis spätabends volle Strassencafés gibt es als Unterhaltungsprogramm Fernsehen zu Hause. Im Badischen mögen sich die Franzosen zwar gerne bedienen lassen. Selber an Abenden und Wochenenden im Service arbeiten will im Elsass trotz hoher Arbeitslosigkeit aber kaum jemand.
Doch nicht nur zur Erholung und zum Essen und Trinken kommen die Elsässer über den Rhein, sondern auch zum Einkaufen. In Weil am Rhein, in Neuenburg und Müllheim oder in Breisach, wo Rheinbrücken den Gästen von jenseits die Anreise besonders einfach machen, freut das die Detailhändler. Bei Hornbach, dem grossen Baumarkt in Binzen, decken sich nicht nur Schweizer, sondern auch Elsässer mit all dem ein, was sie bei der heimischen Konkurrenz teurer, aber nicht besser bekommen.
Auf den Parkplätzen von Lidl und Aldi in Neuenburg stehen fast nur Autos mit Elsässer 68er-Nummernschildern. Und auch ins Rheincenter von Weil-Friedlingen strömen die Franzosen zuhauf. «50 Prozent unserer Kunden kommen aus der Schweiz, 25 bis 28 Prozent sind Franzosen», sagt Günther Merz, Manager des Rhein-Centers, das die Elsässer Einkaufstouristen auf der Website längst in französischer Sprache anlockt. Vor französischen Feiertagen wie dem 14. Juli schalten die deutschen Detailhändler und Restaurants entlang des Rheins im «L’Alsace», der grossen Tageszeitung im Département du Haut-Rhin, seitenweise Inserate.
Service, Service, Service
Dass sie damit Erfolg haben, bestätigt Utz Geiselhart, Geschäftsführer des Handelsverbands Südbaden e. V. Am 7. September präsentierte er in Freiburg die neusten Zahlen der Detailhändler am Oberrhein. Und die zeigen nur in eine Richtung: nach oben. «Die geografische Lage mit langen Aussengrenzen ist Grund dafür, dass in den letzten Jahren ein Kaufkraftzufluss zu verzeichnen war», erklärt Geiselhart in etwas gewundenem Fachjargon.
Seit der Einführung des festen Wechselkurses zwischen Euro und Schweizer Franken sei der «Hype» bei der Schweizer Kundschaft zwar vorüber. Doch mit dem stabil hohen Niveau der Einkaufstouristen aus dem Raum Basel ist er absolut zufrieden. Das gilt auch fürs Geschäft mit den Nachbarn im Elsass. «Im Gegensatz zu Frankreich, wo Supermarktketten dominieren, haben wir bei uns viele mittelständische Strukturen. Die legen meist grossen Wert auf eine persönliche Note und bilden ihr Personal entsprechend aus», sagt Geiselhart. Ein klassischer, stark serviceorientierter Vertreter sei etwa Hieber mit seinen «Frische Center». «Der Preis ist zwar wichtig, aber eben nicht der einzige Faktor des Erfolgs.»
Das bestätigt für den Freizeit- und Tourismusmarkt auch Janina Wallbaum, Sprecherin der Schwarzwald-Tourismus GmbH, die das Markgräflerland mit seinen Weinbergen, seinen vielen Sonnenstunden und seiner Lebensqualität auch gerne als «Toskana Deutschlands» verkauft. «Die Schweizer und die Franzosen kommen immer öfter zu uns, weil sie entdeckt haben, dass bei uns der Service und das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmen.» Für die Nachbarn aus dem Elsass sei speziell auch die Wellness-Landschaft Südbadens eine besondere Attraktion. «Diese neuere Art des Tourismus, die wir bei uns stark gefördert haben, gibt es im Elsass bisher kaum.»
Viele Hotels und Restaurants entlang des Rheins und im Schwarzwald präsentieren sich deshalb inzwischen auch im Internet auf Französisch und beschäftigen französischsprechendes Personal. Ganz anders die Touristiker im Elsass, die die neusten Trends verschlafen haben und sich kaum um die deutschsprachige Kundschaft bemühen. Dafür beklagen ehemalige Gourmet-Tempel nahe der Schweizer Grenze umso wehleidiger das Ausbleiben der früheren Spesenritter aus den Basler Chemie- und Pharmakonzernen.
Das Elsass ist zu teuer geworden
Dass die deutschen Nachbarn in der Region heute die wettbewerbstüchtigsten sind, bestätigt auch David Frey vom Gewerbeverband Basel-Stadt. Genaue Zahlen hat er zwar nicht. Doch auch er beobachtet eine klare Verschiebung des Einkaufs- und Freizeit-Grenzverkehrs: «Fuhren die Basler jahrelang zum Einkaufen und Essen ins Elsass, gehen sie heute ins Badische.»
Als Indiz dafür nennt Frey etwa die Werbezeit, die aus der deutschen Nachbarschaft auf Telebasel gebucht wird. Rhein-Center-Manager Günther Merz, nicht nur geschäftlich, sondern auch privat fleissig im Dreiland unterwegs, sagt es deutsch und deutlich: «Das Elsass ist teurer geworden und die Gastronomie gleichzeitig schlechter. Kein Wunder, kommen die Schweizer heute lieber zu uns.»
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 21.09.12