«El Jefe» Mascherano hat bei den Argentiniern das Zepter in der Hand

Er gibt Kommandos, er tröstet und ermutigt. Der argentinische Mittelfeldspieler Javier Mascherano wird nicht umsonst «El Jefe» genannt.

Der Chef ist auch ein Bremser: Nigel de Jong scheitert an Javier Mascherano. (Bild: PAULO WHITAKER)

Er gibt Kommandos, er tröstet und ermutigt. Der argentinische Mittelfeldspieler Javier Mascherano wird nicht umsonst «El Jefe» genannt.

Die Geschichte Argentiniens bei dieser WM erzählt am besten Javier Mascherano. Aus «El Jefecito» ist längst «El Jefe» geworden oder sogar «El Jefazo» – der große Chef. Mascherano war es, der sich vor dem Elfmeterschießen gegen die Niederlande den Torwart Sergio Romero schnappte und ihm einschärfte: «Du isst heute die Welt auf, du wirst der Held sein». Mascherano ist derjenige, der kommandiert. Und der nach dem Spiel allen erklärt, wie diese Mannschaft tickt und fühlt.

Nach überstandenem Halbfinale sprach der Mittelfeldmann von «Stolz, der die Seele berührt» und der folgenden Chance als dem «Spiel unseres Lebens». Eine riesige argentinische Kolonne ist seit Donnerstag auf dem Weg von São Paulo, dem Ort des Finaleinzugs, nach Rio de Janeiro, dem Ort des Finals. Weitere Anhänger werden von weiter südlich aus der Heimat dazu stoßen. Erinnerungen an das erste WM-Wochenende werden wach, als bis zu 100’000 Fans die Stadt in hellblau und weiß kleideten. Argentinien begann seine WM gegen Bosnien an einem Sonntag im Maracanã. Es wird seine WM an einem Sonntag im Maracanã beenden.



Argentina's Javier Mascherano hugs teammate Lionel Messi (back) after their team's victory over the Netherlands at the end of their 2014 World Cup semi-finals at the Corinthians arena in Sao Paulo July 9, 2014. REUTERS/Dylan Martinez (BRAZIL  - Tags: SOCC

Javier Mascherano feiert mit Lionel Messi den Einzug ins WM-Finale. (Bild: DYLAN MARTINEZ)

Der Glaube an die Vorsehung und die Euphorie in der Mannschaft treffen auf ein Deutschland, das seine spielerische Überlegenheit mit derselben Coolness auf den Platz bringen will wie zuletzt gegen Brasilien. Ein faszinierender Gegensatz, den der unterschiedliche Dramafaktor der jeweiligen Halbfinals weiter akzentuierte und der auch an den Äußerungen im Vorfeld abzulesen ist. «Wir haben noch nichts erreicht», sagt Manuel Neuer. «Wir waren uns und unseren Leuten diese Freude schuldig», sagt Maxi Rodríguez. Favorit und Außenseiter, die Selbstverpflichtung zum Titel gegen das Gefühl, die Erwartungen in jedem Fall schon erfüllt zu haben.

Argentienen scheiterte fünfmal am Viertelfinal

Auch die eigenen, wie Rodríguez präzisierte: «Das Wichtigste war, die Hürde des Viertelfinals zu überspringen». Spätestens an der war Argentinien in den fünf Weltturnieren zuvor gescheitert. «Die Älteren von uns kamen mit viel Wut». Mascherano soll diese auf den Punkt gebracht haben, als er vor dem Viertelfinale gegen Belgien durch die Kabine rief: «Ich habe genug davon, auf die Fresse zu bekommen. Für mich, für die Ex-Spieler, für uns – wir müssen diese Hürde überwinden. Vamos!»

Vor vier Jahren war es im Viertelfinale ja Deutschland, dass sich als zu hohe Barriere erwies. Das 4:0 von Kapstadt weist insofern Parallelen zum 7:1 gegen die Brasilianer auf, als keine andere Mannschaft der Welt taktische Schwächen der Gegner derart brutal zu bestrafen versteht wie die Löw-Elf. Jeder weitere Vergleich würde den Argentiniern sicher Unrecht tun – das 2:0 fiel erst Mitte der zweiten Halbzeit –, aber auch ihnen fehlte damals die Balance. Mascherano musste allein die Lücken eines in Abwehr und Angriff zerbrochenen Teams füllen.



Georginio Wijnaldum of the Netherlands kicks the ball beside Argentina's Javier Mascherano (R) during their 2014 World Cup semi-finals at the Corinthians arena in Sao Paulo July 9, 2014.  REUTERS/Dominic Ebenbichler (BRAZIL  - Tags: SOCCER SPORT WORLD CUP

Javier Mascherano im Zweikampf mit dem Holländer Georginio Wijnaldum. (Bild: DOMINIC EBENBICHLER)

Mit diesem Gleichgewichtsproblem kämpfte Argentinien bis zuletzt. Es schien einfach keine Lösung zu geben für das Puzzle, vorn die «Vier Fantastischen» – Lionel Messi, Ángel Di María, Kun Agüero, Gonzalo Higuaín – aufbieten zu wollen, ohne dies entweder mit Problemen im Spielaufbau oder in der Defensive zu bezahlen. Agierte Sabella mit einem 4-3-3-System, blieb Argentinien hinten so anfällig wie in Kapstadt. Trat er – wie in der ersten Halbzeit gegen Bosnien (2:1) – mit fünf Verteidigern an, fehlten im Mittelfeld die Anspielstationen für die Offensive.

Ohne die wohlwollende Auslosung wäre Argentinien schon in der Vorrunde am Abgrund gewandelt.

Die Spieler, mit Messi und Mascherano an der Spitze, trieben dem Trainer den fünften Verteidiger wieder aus, aber die Probleme blieben erst mal bestehen. Der Iran schaffte es mit 114 Pässen in 90 Minuten – der niedrigste Wert der WM-Geschichte – den argentinischen Torwart Sergio Romero zu mehreren Glanzparaden zu zwingen und unterlag erst in der Nachspielzeit durch einen Messi-Moment mit 0:1.

Nigeria verwickelte den Favoriten in der folgenden Partie in eine offene Feldschlacht, die es knapp verlor (2:3), an der eine Mannschaft von der Qualität der Deutschen aber ihre hellste Freude gehabt hätte. Kurzum, ohne die wohlwollende Auslosung wäre Argentinien schon in der Vorrunde am Abgrund gewandelt.



Argentina's Javier Mascherano (L) and Ezequiel Garay celebrate winning their 2014 World Cup semi-finals against the Netherlands at the Corinthians arena in Sao Paulo July 9, 2014.  REUTERS/Paulo Whitaker (BRAZIL  - Tags: SOCCER SPORT WORLD CUP TPX IMAGES

Javier Mascherano im Siegestaumel mit Ezequiel Garay nach dem Einzug ins WM-Finale. (Bild: PAULO WHITAKER)

Erst im Laufe der K.o.-Runde fand die jahrelange taktische Reise an ein Ziel. Ironischerweise halfen Sabella dabei die Verletzungen einiger seiner Stars. Für Agüero rückte Ezequiel Lavezzi in den Angriff, der deutlich mehr nach hinten arbeitet und über weite Strecken als vierter Mittelfeldspieler agiert. Nach einer halben Stunde des Viertelfinals gegen Belgien fiel dann auch noch Di María aus. Eine herbe Schwächung des Offensivpotenzials, doch der dafür ins Team gerückte Enzo Pérez bespielt verlässlicher das Zentrum. Wo Mascherano einst alleine war, stand gegen Holland ein massiertes Mittelfeld, das dem Gegner weder Raum noch Zeit am Ball ließ.

«Ob schön oder hässlich ist mir egal», sagte Di María schon vor einer Woche. Argentinien spielt ohne Komplexe und mit der Balance zwischen Herz und Vernunft, die es immer gesucht hat. Nach dem Finaleinzug, am Ziel eines langen Weges vergoss Mascherano ein paar Freudentränen und sagte: «Wir waren wir.»

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