Endstation Sissach

Das wars. Die Turnhalle Tannenbrunn in Sissach, Dreigänger, musikalische Unterhaltung. Und grosse Rührung.

Ein Extrazug für Maya Graf. Die erste Nationalratspräsidentin der Grünen wird heute Mittwoch über Laufen, Basel und Liestal nach Sissach fahren. Mit dabei: viel Prominenz aus dem Bundeshaus, viel Prominenz aus Liestal und viel Prominenz aus Sissach (ja, das gibt es).

Bern ab 12.25 – Laufen an 13.50

Nun beginnt es also, jenes ominöse Fest, das zuerst wegen eines Blumenstrausses und später wegen ein paar lausigen Heizschnitzeln schon Monate im Voraus für Aufruhr im beschaulichen Sissach sorgte. Es beginnt auf dem Gleis 9 des Berner Bahnhofs und mit einem – tätätä – Blumenstrauss.

Niggi Bärtschi, in Schlapphut und Daunenjacke (wir sagen nichts) hat Blumen in der Hand und seine Frau Maya Graf an der Hand. Grosses Hallo auf dem Perron (man kennt das ja schon), die halbe Baselbieter Regierung (Pegoraro und Ballmer), Bundesrat Burkhalter, Gemeinderat Buser und Landrat Zemp (mit einer knallgrünen Hose) und noch ein paar andere. 300 andere sogar! Parlamentarierinnen und Parlamentarier, Journalisten, Familie, Freunde.

Sie alle steigen in den schön hergemachten Zug und kämpfen mit der halbfreien Sitzwahl. Denn wie es so ist, sind auch auf einem Extrazug nicht alle gleich extra. Die höchste Schweizerin, der Bundesrat, Niggi, die Baselbieter Regierung und ein paar mehr, nehmen im Speisewagen Platz und erhalten ein «sehr feines Mittagessen», wie uns die Speakerin verkündet. Unsereins ist auch nicht schlecht verpflegt: Käsesandwich vom Dietisberg, Hochstamm-Schorle und Mineral (wäre ja auch komisch gewesen, wenn das Dietisberg-Sandwich mit Prozenten gespült worden wäre).

Auf dem Trockenen muss man aber nicht bleiben: Der Bauernverband beider Basel verteilt den laut Maya Graf «besten Kirsch der Schweiz» und wir denken: Gott sei Dank gibt es die Baselbieter Bauern.

Laufen ab 14.40 – Basel an 15.16

Erster Halt, erster kleiner Affront. In Laufen, bei den Laufentalern, benehmen sich die Laufentaler, wie wir es von Laufentalern gewohnt sind: ziemlich frech. Zuerst salbadert Gemeindepräsident Alexander Imhof über die Vergänglichkeit und Beständigkeit eines Ammonit-Klumpens (die Stadt Laufen schenkt der höchsten Schweizerin: einen Stein), um danach zum eigentlichen Zweck des Besuches zu kommen: «Bitte setzen Sie sich für den Ausbau der SBB-Doppelspur im Laufental ein. Und auch die H18 hätten wir ziemlich gerne.» Man warte schon sehr lange, hier im Laufental, und wenn jetzt für einmal ganz Bern hier bei ihnen sei (Imhof richtet sich auch an die anwesenden Parlamentarierinnen und Parlamentarier), dann wäre es doch schön, wenn auch etwas herausspringen würde.

Maya Graf übergeht in Ihrer kurzen Ansprache elegant die Forderung nach mehr Bundesmillionen und preist stattdessen die Menschen und die Natur des Laufentals als «Juwel», das man vor gar nicht langer Zeit geschenkt bekommen habe.

Kurzer Schwenk zum garstigen Wetter («Wir tragen die Sonne in unseren Herzen!», ruft Maya Graf den Laufentalern zu), kurzer Schwenk zum Apéro (Cervelat-Rädchen und Saurer Most) und dann geht es auch schon weiter Richtung Basel.

Nicht auf dem Zug: Kurt C. Thommen, der ewige Baselbieter Filmer. Die Berner Polizisten wollten sich unter keinen Umständen erweichen lassen und schoben den diplomierten Handelskaufmann mit sanfter Gewalt wieder aus dem Extrazug. Mit hängenden Schultern schlurfte Thommen auf dem Perron davon. Wir werden ihn, der noch keine Baselbieter Feierlichkeit ausgelassen hat, heute bestimmt noch einmal wiedersehen. Die Wette gilt.

Basel ab 16.35 – Liestal an 16.50

Beginnen wir mit dem Erfreulichen: Der Chor des Theater Basel tönt selbst in der monströsen Markthalle wunderbar. Viermal setzten die Sängerinnen und Sänger an, und mit jedem neuen Stück verblassten die Ereignisse vor dem Theaterchor etwas mehr. Zum Beispiel die Rede von Guy Morin, der anscheinend auch heute noch, drei Tage nach seiner abermaligen Wahl zum Regierungspräsidenten in einer übermütigen, ja was sagen wir, freudentrunkenen! Stimmung herumtaumelt. Er giggste und gluggste und grinste und übergab Maya Graf einen Basilisken-Brunnen mit folgenden, bemerkenswerten Worten: «Ein feuerspeiender Drache, das Zeichen nie versiegender weiblicher Kraft.»

Der SBB-Chef (auch er sass in der Markthalle) notierte sich den Spruch noch während der Rede und wir gewähren Morin den gnädigen Zweifel: Das kann er nur ironisch gemeint haben.

Etwa ähnlich ironisch wie die beiden Co-Präsidentinnen der Basler Grünen, die mit ihrer Begrüssung dem Heimatkanton der Nationalratspräsidentin alle Ehre machte: So einen Sketch hört man sonst nur an einem Turnerabend in Hemmiken. In diesem Sinne: auf nach Liestal!

Basel ab 16.35 – Liestal an 16.50

Wie schlecht es um das Baselbiet tatsächlich steht, das erfuhren die geladenen Gäste beim Zwischenstopp in Liestal. Dazu müssen wir kurz einen Schlenker einbauen: Vor zehn Jahren fand im Baselbiet das Eidgenössische Turnfest statt, eine Riesensause, mit tausend zerstörten Festbänken, vielen betrunkenen Turnern und einer Marketingabteilung, die es etwas gar gut meinte. Nach dem Fest verramschten die Verantwortlichen all die liegengebliebenen T-Shirts und Schlüsselanhänger, Frotteetücher und Hüte für ein paar Franken auf den Wühltischen der Baselbieter Turnvereine.

Leider konnte nicht die ganze Konkursmasse unter die Leute gebracht werden. Darum: Ein schlauer Schachzug von Pegoraro, der neuen Nationalratspräsidentin einen Schirm von damals zu übergeben. Soll einer sagen, die Baselbieter Regierung würde nicht aufs Geld schauen.

Aber man soll nicht nur frotzeln. Denn einer, der hatte einen wirklich guten Auftritt. Ein gelöster Aussenminister Didier Burkhalter hielt eine Rede, die so launig war, dass man zuerst Mühe hatte, sie mit dem eher spröden Wesen des Bundesrats in Einklang zu bringen. Burkhalter schaffte es sogar, aus dem Weltuntergangs-Gerede des Maya-Kalenders eine brauchbare Pointe zu drehen: «Sehr nachhaltig wird das echte Maya-Jahr nicht werden…» Gelächter im Zelt vor der Kantonsbibliothek, ein spontaner Ausbruch der Freude gar, als Burkhalter sein Geschenk ankündigte. Kein Schirm aus Lagerbeständen wird morgen auf dem Präsidentenpult von Maya Graf abgelegt werden, sondern eine Flasche Absinth aus Burkhalters Heimatkanton Neuenburg. «Wissen Sie, das passt gut: Man sagt dem Absinth ja auch Grüne Fee.»

Sissach, Endstation

Endlich daheim. Noch nie habe ihr Heimweg so lange gedauert, sagte Maya Graf in ihrem Sissach, «und noch nie war es so schön!». Ja, je länger der Abend dauert, desto rührseliger wird die Gesamtanlage dieses Anlasses. «Macht Lärm für Sissach! Macht Lärm für Maya!», schrie Baschi, der Überraschungsgast in der Sissacher Begegnungszone, in der sich wohl noch nie so wenig Autos und so viele Menschen zur gleichen Zeit aufhielten. Er sang gegen Wind und Regen und er sang so, dass es der höchsten Schweizerin ein paar Tränen in die Augen trieb.

Es war die schönste Station dieser Extrazug-Karawanserei und die absurdeste. All diese Schweizer Parlamentarier mitten in Sissach, das war ein etwas schräges Bild. Und es wurde bald gesanglich untermalt durch das spontane Anstimmen des Baselbieterlieds, durch das Absingen aller vier Strophen, reiner Gesang, ohne musikalische Begleitung. Einer, der schon viele Präsidentenfeiern erlebt und darüber berichtet hat, SF-Bundeshauskorrespondent Hanspeter Trütsch, war beeindruckt: «Soviel Heimatgefühl gibt’s sonst nur in der Innerschweiz.»

Schräg wie das Bild der vielen im Novemberregen stehenden eidgenössischen Parlamentarier auf dem Strichcode in Sissach war übrigens auch die Bestuhlung der Turnhalle Tannenbrunn. Diese Turnhalle, sonst Heimat für harzverbrauchende Hobbyhandballer und reckstangenhassende Sekschüler war so sauber und so dekoriert, wie wohl noch nie seit ihrer Erbauung irgendwann in den 70er-Jahren.

Und in dieser Halle fand er dann statt, der bunte Abend zu Ehren der höchsten Sissacherin. Zuerst: die Bundeshausband. Sehr engagierte Parlamentarier mit ihren Kellerinstrumenten. Musikalisch: etwas zweifelhaft. Aber der Auftritt: sehr rührend.

Es folgten in rascher und wechselnder Folge ein bunter Wintersalat mit rohen Randen, der Slampoet Laurin Buser (grossartig), Rindsschmorbraten vom Hof, die junge Iris Bösiger, die Wurlitzer aus Zunzgen.

Ganz am Schluss stand noch einmal Maya Graf ans Rednerpult. Sie wusste fast nicht wohin mit ihrer Dankbarkeit. «Danke», sagte sie, «danke für alles.»

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