Die Strom- und die Umweltlobby unterstützen die Kernpunkte der bundesrätlichen Energiestrategie. Doch ihre Ziele und bevorzugten Mittel klaffen stark auseinander. Die Position «Ja, aber» prägt weitere Stellungnahmen.
Die Energieeffizienz steigern, den Umstieg auf erneuerbare Energie fördern, und den Bau von neuen inländischen Atomkraftwerken verbieten: Das sind die Kernpunkte zur Vorlage «Energiestrategie 2050», die der Bundesrat letzten Herbst in die Vernehmlassung schickte. Das kommt gut an. «Umweltverbände unterstützen Energiestrategie», lautet der Titel der gemeinsamen Stellungnahme, welche die in der «Umweltallianz» vereinigten Organisationen Greenpeace, Energiestiftung, WWF, und Pro Natura gestern in Bern präsentierten. «Der VSE unterstützt die Absicht des Bundesrates, die schweizerische Energiepolitik noch verstärkt auf Effizienz und Nachhaltigkeit hin auszurichten», schreibt der «Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen» (VSE) in seiner Vernehmlassung, die er den Medien am gleichen Tag und gleichen Ort vorstellte. Und auch der Verein «Nie wieder AKW», der von Nationalrat Beat Jans und alt Nationalrätin Birgit Wyss präsidiert wird, hat eine Stellungnahme eingereicht.
Marschieren Umwelt- und Stromlobby also plötzlich harmonisch vereint in die Schweizer Energiezukunft? Nein. Denn die Zustimmung beschränkt sich auf die Grundsätze und das Verbot von neuen Atomkraftwerken (mit dem sich auch der Dachverband der Stromwirtschaft abgefunden hat). Im Detail aber gibt es grosse Abweichungen zwischen den beiden alten Kontrahenten.
Erneuerbar hier, fossil dort
Der Dissens beginnt bei den Zielen: Der Bundesrat strebt an, den Energiekonsum pro Person bis zum Jahr 2050 zu halbieren und den Stromverbrauch ab 2020 zu stabilisieren. Der VSE beantragt, dieses gesetzliche Ziel zu streichen. Begründung: Wenn der Stromkonsum trotz Ersatz von Erdöl und Wachstum der Bevölkerung stabilisiert werden muss, erfordere das eine «rigide Energiepolitik».
Die Umweltallianz hingegen will den Stromverbrauch in der Schweiz schon ab heute «stabilisieren oder senken». Und ab 2035 soll dieser Bedarf «zu hundert Prozent aus einheimischen und erneuerbaren Stromquellen» gedeckt werden. Das Szenario des VSE hingegen geht davon aus, dass die Schweiz 2035 über 40 Prozent ihres Strombedarfs mit fossilen Kraftwerken im Inland (vorab Gaskombi-Kraftwerken) sowie einem hohen Überschuss an Importstrom decken wird; der Anteil von Solar- und Windstrom hingegen bleibt im VSE-Szenario bis 2035 marginal.
Atomausstieg, aber wann?
Beim Fahrplan zum Atomausstieg gehen die Meinungen ebenfalls auseinander: Bundesrat und VSE wollen die Laufzeit der alten Atomkraftwerke nicht begrenzen. Die Umweltallianz hingegen fordert die Stilllegung aller AKW nach 40 Jahren Lebensdauer. Das letzte, das KKW Leibstadt, müsste damit schon 2024 abgeschaltet werden. Die Förderung von fossiler Stromerzeugung in dezentralen WKK-Anlagen lehnen die Umweltverbände strikt ab. Auf die Frage, wie denn die Zeit zwischen dem Atomausstieg im Jahr 2024 und der ausschliesslich erneuerbaren einheimischen Stromversorgung im Jahr 2035 überbrückt werden soll, antwortet Greenpeace-Mann Kaspar Schuler: «Diese Zeit lässt sich mit Import von Windstrom überbrücken.»
Weitere Differenzen betreffen die Mittel. Beispiel: Der VSE begrüsst, dass der Bundesrat die Förderung von erneuerbarer Energie zum nationalen Interesse erklärt und den Bau von Wind- und Wasserkraftwerken gleich oder sogar höher gewichtet wie den Naturschutz. Die Umweltallianz hingegen lehnt das ab; statt mehr Wasserkraft zu nutzen, verlangt sie eine starke Förderung der Solarstrom-Produktion. Umgekehrt begrüsst die Umweltallianz das Gebot zur Steigerung der Energieeffizienz, das der Bundesrat den Stromverkäufern im revidierten Energiegesetz auferlegt; sie wünscht allerdings eine andere Umsetzung. Der Stromverband hingegen lehnt diese «einseitige Zwangsmassnahme» dezidiert ab. Als Alternative schlägt der VSE vor, die Zielvereinbarungen zur Senkung des Energieverbrauchs von grossen auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU) auszuweiten.
Einwände von vielen Seiten
Die Position «Ja, aber» prägt weitere Stellungnahmen. Die kantonalen Energiedirektoren etwa lehnen die Abtretung von kantonalen Kompetenzen ab. Der Städteverband wünscht mehr kommunale Mitwirkung. Linke Parteien und Grüne fordern mit den Umweltverbänden, dass eine Lenkungsabgabe auf Energie, die der Bundesrat auf die Zeit nach 2020 hinausgeschoben hat, schneller eingeführt wird, während Rechtsparteien dieses Instrument ablehnen.
Solange die einen mit ihrem «Aber» die Energiestrategie verstärken, andere sie abschwächen wollen, steht der Bundesrat mit seinem Vorschlag komfortabel in der Mitte. Prinzipiell gegen seine Strategie haben sich erst die Industrieverbände Swissmen und Scienceindustries sowie einige SVP- und FDP-Politiker ausgesprochen. Doch das wird sich ändern. Heute und morgen werden die Economiesuisse und der Gewerbeverband ihre Vernehmlassung veröffentlichen und damit wohl die harten Nein-Sager unterstützen.
Das Seilziehen zur Energiestrategie wird die Schweizer Politik in den nächsten Jahren prägen. Das letzte Wort hat das Parlament oder bei einem Referendum das Volk.
Quellen
Das Dossier zur Energiewende des Bundesamts für Energie.
Stellungnahme der Umweltallianz.
Vernehmlassung des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen.
Vernehmlassung des Städteverbands.