Alexis Tspiras interpretiert den unerwarteten Wahlsieg als klaren Auftrag für eine vierjährige Regierungszeit. Doch die Griechen sind von der Syriza enttäuscht. Weitere Sparübungen könnten unabsehbare Konsequenzen haben.
So fühlt sich ein Déjà-vu an: Genau wie vor acht Monaten gewann die linksradikale griechische Partei Syriza die vorgezogene Parlamentswahl. Zwar liegt sie nun mit 35,53 Prozent Stimmenanteil einen Prozentpunkt unter ihrem Januarresultat (36,34 Prozent). Doch der Hauptgegner konnte deutlich auf Abstand gehalten werden, erzielte die konservative Nea Dimokratia doch nur 28,05 Prozent.
Schon am Montag wurde der Syriza-Vorsitzende Alexis Tsipras ins Amt des Premiers eingeführt. Bereits in der Wahlnacht stand auch die neue-alte Koalition fest: Die radikale Linke regiert weiterhin mit den rechten Unabhängigen Griechen (Anel), was bereits für Kritik sorgte. Doch damit enden die Parallelen zur Wahl Anfang des Jahres.
Seinen erneuten Wahlsieg erklärte Tsipras selbst zu einem «klaren Mandat für eine vierjährige Regierungszeit». Wenige Tage vor der Wahl schien das noch nicht so eindeutig. Die Meinungsumfragen versprachen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Syriza und Nea Dimokratia.
«Ich bin wütend auf Syriza. Sie hat ihre Wähler enttäuscht.»
Die Wähler zeigten sich vor dem dritten Urnengang in diesem Jahr erschöpft. «So wie die Dinge sind, ist es mir langsam egal. Alle zwei Monate haben wir jetzt hier eine Wahl», sagt der 41-jährige Adonis, der in Athen einen Kiosk besitzt. Tsipras habe seine früheren Wahlversprechen gebrochen. «Mir ist es gleichgültig, ob Blau oder Rot regiert. Mir ist wichtig, dass die Wirtschaft wieder in Gang kommt und wir nicht länger Geld von anderen nehmen müssen», meint Adonis.
Viele, die im Januar für Syriza gestimmt haben, zeigten sich nach der siebenmonatigen Regierungszeit von der radikalen Linken enttäuscht. Anfang des Jahres noch versprach man ihnen ein Ende der Sparpolitik in Griechenland und rief dann eine Volksabstimmung über ein neues Memorandum mit den internationalen Gläubigern aus. 62 Prozent, eine deutliche Mehrheit, sagten «Nein» dazu.
Doch im Juli akzeptierte Premier Tsipras ein drittes Abkommen mit noch strengeren Auflagen als bei den zwei vorhergehenden, und nahm einen neuen Kredit für 86 Milliarden Euro auf. Dazwischen musste er Kapitalkontrollen einführen, was nebenbei dazu führte, dass viele ihre Steuer auch nicht rechtzeitig zahlen konnten. Das war ein schwerer Schlag auf die schon angeschlagene griechische Privatwirtschaft.
«Ich bin wütend auf Syriza. Sie hat ihre Wähler enttäuscht», sagt der 40-jährige Apostolis Illiopoulos, ein Teilzeitlehrer in Athen. Im Januar habe er für die radikale Linke gestimmt. Das ist vorbei. Auch der 32-jährige Hippokratis Hatzoyiannakis will von Tsipras nichts mehr wissen. «Er ist jetzt wie alle anderen. Ich bin enttäuscht von ihm», sagte Hatzoyiannakis am Sonntag vor einem Wahllokal im Athener Arbeiterviertel Neos Kosmos. Er habe seine Stimme der kommunistischen Partei KKE gegeben.
Kein Geld für die Reise zum Stimmlokal
«Das neue Kreditprogramm ist sehr hart. Seit diesem Monat sind die Pensionen noch einmal gekürzt worden, und das auch noch rückwirkend. Wir haben eigentlich nur noch Geld, um die Steuern zu bezahlen», klagt vor dem selbigen Wahllokal die 68-jährige Pensionistin Voula. Sie bekomme jetzt 480 Euro im Monat und ihr Mann 1200 Euro, womit sie die ganze Familie unterstützen müssen. Die neuen vorzeitigen Wahlen findet sie überflüssig.
Die Wahlbeteiligung war beim jüngsten Urnengang auffallend niedrig: Etwa 45 Prozent der Wähler haben sich der Stimme enthalten. Beobachter erklären das mit Wahlmüdigkeit, es gibt aber auch einen wirtschaftlichen Faktor. In Griechenland muss man dort zur Urne, wo man sich einst in die Wählerliste eingetragen hat.
Maria arbeitet als Beamtin in Athen, eingetragen ist sie aber in ihrer Heimatstadt: «Als diese Wahl aufgerufen wurde, habe ich schon meine Urlaubspläne gemacht, und darum habe ich kein Geld mehr für andere Reisen.» Etwa 120 Euro hätte sie jede Fahrt heim nach Thessaloniki gekostet, in diesem Jahr also 360 Euro für zwei vorgezogene Wahlen und ein Referendum. Bei ihrem Gehalt von 1200 Euro sei das nicht zumutbar, sie hat an keinem der Urnengänge teilgenommen.
«Im Wahlkampf hat Tsipras erfolgreich eine Trennlinie zwischen Syriza als neue Partei und seine Gegner aus dem alten Etablissement gezeichnet.»
Der Politologe Kostas Elevtheriou warnt aber auch von einem anderen Problem, die Wahllisten seien nicht überall aktualisiert worden: «Es klingt unwahrscheinlich, dass Griechenland bei etwa zehn Millionen Einwohnern 9,8 Millionen Wahlberechtigte hat – wie es offiziell heisst. Die eigentliche Stimmenthaltung lag bei dieser Wahl darum bei etwa 35 Prozent», meint er.
Trotz der grossen Enttäuschung haben aber viele Syriza-Anhänger Tsipras eine zweite Chance gegeben. «Sie wollten keine Wiederbelebung des alten Parteisystems (durch Nea Dimokratia und der sozialistischen Pasok), dem sie die Schuld für die Wirtschaftskrise geben», meint Professor Yannis Tsirbas, ein Politikwissentschaftler an der Athener Universität.
Elevtheriou, der auf die radikale Linke spezialisiert ist, zeigt sich damit einverstanden. «In seinem Wahlkampf hat Tsipras erfolgreich eine Trennlinie zwischen Syriza als neue Partei und seine Gegner aus dem alten Etablissement gezeichnet», erklärt der Politologe. Tsipras selbst erklärte seinen erneuten Wahlsieg auch zu «einem Mandat, dem System der Korruption ein Ende zu setzen».
Die Technokraten kommen
Mithilfe von Anel hat er alle Voraussetzungen seine Regierungsziele zu erreichen. Gemeinsam vereinen die zwei Koalitionspartner 155 von insgesamt 300 Stimmen im Parlament. Auch die meisten Oppositionsparteien werden Unterstützung für das Kreditabkommen anbieten, meint Eleutheriou. «Im neuen Kabinett soll auch ein spezielles Ministerium für das Abkommen geschaffen, und mit Technokraten besetzt werden», will der Politologe wissen.
Die Regierung soll noch diese Woche stehen. Brüssel will eine Evaluierung der neuen Reformen bereits im Oktober durchführen. Erst danach wird man Griechenland den nächsten Geldzuschuss aus dem neuen Kreditprogramm frei geben.
Der Politologe Tsirbas geht von einer stabilen Regierungsperiode aus – zumindest bis die Griechen die Sparmassnahmen noch drastischer zu spüren bekommen. «Werden wir grosse soziale Unruhen erleben?», fragt er sich. Eine Antwort wagt er nicht.