Erdogan flirtet mit Putin: Kann daraus mehr werden?

Am Dienstag trifft der türkische Präsident Erdogan Putin in Sankt Petersburg. Damit will er gegenüber dem Westen unterstreichen: Sein Land hat auch andere aussenpolitische Optionen. Wie weit kann die Annäherung an Russland gehen?

Turkish Prime Minister Recep Tayyip Erdogan, right, and Russian President Vladimir Putin speak to each other at a news conference in Istanbul, Turkey, Monday, Dec. 3, 2012. The leaders of Russia and Turkey on Monday downplayed differences over the Syrian civil war, saying they shared the common goal of trying to end the humanitarian crisis there and hailing their countries' booming trade ties. (AP Photo/RIA-Novosti, Alexei Nikolsky, Presidential Press Service)

(Bild: Keystone/Alexei Nikolsky)

Am Dienstag trifft der türkische Präsident Erdogan Putin in Sankt Petersburg. Damit will er gegenüber dem Westen unterstreichen: Sein Land hat auch andere aussenpolitische Optionen. Wie weit kann die Annäherung an Russland gehen?

Die Massenverhaftungen, mit denen der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gegen seine Gegner vorgeht, seine Pläne zur Wiedereinführung der Todesstrafe, seine Drohung, den Flüchtlingspakt aufzukündigen, die Spannungen mit den USA um die Auslieferung des Erdogan-Erzfeindes Fethullah Gülen: Die Beziehungen der Türkei zum Westen bewegen sich derzeit von einem Tiefpunkt zum nächsten. 

Umso grösseren Argwohn löst in Europa und den USA das für diesen Dienstag geplante Treffen Erdogans mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Sankt Petersburg aus.

Erstes Ergebnis des Treffens: Die Türkei und Russland haben einen Neubeginn ihrer Beziehungen vereinbart. Mehr dazu lesen Sie im Artikel der Nachrichtenagentur SDA.

Ein Schritt mit Signalwirkung

Dass Erdogans erste Auslandsreise nach dem gescheiterten Putschversuch nach Russland führt, ist ein Signal. Erdogan spielt die russische Karte. Die Botschaft lautet: Die Türkei braucht den Westen nicht, sie hat Alternativen. Doch wie realistisch ist Erdogans neue Russland-Politik?

Die Annäherung passt zu der jetzt grassierenden antieuropäischen und antiamerikanischen Stimmung in der türkischen Öffentlichkeit. Viele Türken, auch Erdogan-Kritiker, sind davon überzeugt, dass die USA beim Putschversuch vom 15. Juli ihre Hand im Spiel hatten. Das scheint sich für viele schon daraus zu ergeben, dass der mutmassliche Drahtzieher des Coups, der Prediger Fethullah Gülen, in Pennsylvania residiert und von den USA bisher nicht ausgeliefert wurde. Auch die Kritik der Europäer an Erdogans «Säuberungen» wird von vielen als Parteinahme für die Putschisten interpretiert.

Vorbelastete Beziehung

Erdogan suchte schon länger den Schulterschluss mit Putin, wohl nicht zuletzt aus einer politischen Wesensverwandtschaft: Das Machtstreben und autoritäre Staatsverständnis beider Männer erinnert an die Ära, als am Bosporus die Sultane und am Roten Platz die Zaren herrschten.

Doch der Flirt wurde jäh unterbrochen, als die türkische Luftwaffe Ende November einen russischen Suchoi-Bomber im syrischen Grenzgebiet abschoss. Putin verhängte Wirtschaftssanktionen. Vor allem der Tourismusboykott traf die Türkei ins Mark. Die Zahl der russischen Besucher, die noch 2015 das grösste Kontingent der ausländischen Urlauber stellten, ging im ersten Halbjahr um 87 Prozent zurück.

Im Juni schrieb Erdogan einen Entschuldigungsbrief, rechtzeitig vor dem Putschversuch. In dem Schreiben bezeichnete er Russland als «Freund und strategischen Partner».

Im Licht des Putschversuchs wird nun sogar der Zwischenfall mit dem russischen Bomber umgedeutet.

Putin, der den Abschuss des russischen Jets noch vor wenigen Monaten als «Dolchstoss» bezeichnete, Erdogan öffentlich als «Komplizen» der IS-Terrormiliz geisselte und dessen Familie beschuldigte, sie verdiene am Öl-Schmuggel der Dschihadisten, nahm die Entschuldigung bereitwillig an. Während in der Putschnacht westliche Regierungen noch abwarteten, wer die Oberhand gewinnen würde, griff Putin als erster ausländischer Staatschef zum Telefon und sicherte Erdogan seine Unterstützung zu.

Im Licht des Putschversuchs wird nun sogar der Zwischenfall mit dem russischen Bomber umgedeutet. Hatte Erdogan den Abschuss zunächst gerechtfertigt, verbreitet die türkische Regierung inzwischen die Version, die verantwortlichen türkischen Piloten seien Verschwörer gewesen, der Abschuss Teil des geplanten Coups gegen Erdogan.

Flirt ohne schlüssiges Konzept

So fügt sich im Nachhinein alles harmonisch zusammen. Jetzt soll die neue Freundschaft besiegelt werden. Auch Putin spielt nun seine Karte aus: Er hofft, einen Keil in die Nato zu treiben und die Koalition des Westens gegen Russland zu untergraben.

Auf den ersten Blick gibt es durchaus gemeinsame Interessen, die für einen Schulterschluss der Türkei und Russlands sprechen. Dazu gehört die Energiepolitik: Russlands Wunsch, mehr Erdgas durch das Schwarze Meer und Anatolien nach Europa zu pumpen, deckt sich mit den Ambitionen Ankaras, die Rolle der Türkei als Energie-Drehscheibe zu stärken. Russland baut überdies bei Akkuyu an der Südküste das erste türkische Atomkraftwerk. Im Finanzsektor gibt es ebenfalls Verflechtungen: Die russische Sberbank kontrolliert seit 2012 die türkische Denizbank. Auch das Bestreben, den wachsenden Einfluss des Iran in der Region einzugrenzen, verbindet Erdogan und Putin.

Wirtschaftlich könnte Russland für die Türkei die EU als wichtigsten Handelspartner und Investor niemals ersetzen.

Ansonsten gibt es aber fast keine Gemeinsamkeiten. Historisch sind beide Länder in der Region seit Jahrhunderten Rivalen, die einander immer wieder bekriegten. In der Syrienpolitik stehen sie auf unterschiedlichen Seiten: Putin stützt militärisch das Assad-Regime, Erdogan arbeitet auf seinen Sturz hin. Das erschwert eine Zusammenarbeit im Kampf gegen die IS-Terrormiliz. Auch im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan stehen sich Ankara und Russland diametral gegenüber. 

Erdogan mag in Putin ein politisches Vorbild entdeckt haben. Vorhaltungen wegen Menschenrechtsverletzungen, geknebelter Medien oder autoritärer Anwandlungen muss er von Putin nicht befürchten. Ein schlüssiges aussenpolitisches Konzept ist hinter dem Flirt aber nicht zu erkennen. Wirtschaftlich könnte Russland für die Türkei die EU als wichtigsten Handelspartner und Investor niemals ersetzen. Und ob er mit Nachbarn wie Syrien, Iran und Irak auf den Schutzschild der Nato verzichten will, wird sich selbst Erdogan zweimal überlegen.

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