Als Bülent Pekerman vor ein paar Tagen seine Post öffnete, zuckte er zusammen. Er hielt einen Brief in den Händen, der vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan persönlich unterschrieben war.
Pekerman war eine Weile in der Basler Politik, er sass für die Grünliberalen im Grossen Rat. Doch das konnte nicht der Grund sein für die überraschende Post aus seiner alten Heimat. Wie bloss, fragt sich Pekerman, ist Erdogan an seine Adresse gelangt?
Bald meldeten sich Freunde und Bekannte aus seinem Basler Umfeld, auch sie hatten den Brief erhalten. Im zweiseitigen Schreiben wirbt Erdogan in blumiger Sprache für die angeblichen Erfolge seiner Regierungszeit.
«Ich möchte Sie, als vornehme Vertreter unserer alten Kultur und Zivilisation, welche heute weltweit wohnhaft sind, respektvoll begrüssen», lautet die Anrede. Dann lobt Erdogan das Engagement der türkischen Diaspora und schwenkt dann auf seine Errungenschaften:
«Ihr seht es am besten, wie weit die Türkei punkto Demokratie und Weiterentwicklung gekommen ist. In der Bildung, Gesundheitspolitik, Infrastruktur, sozialen Sicherheit, Energiepolitik und in vielen anderen Bereichen haben wir eine neue Ära erreicht.»
«Allah soll auf euch aufpassen»
Schliesslich folgt relativ unkaschiert der Aufruf, bis zum 24. Juni, wenn in der Türkei vorgezogene Neuwahlen stattfinden, an die Urne zu gehen – und die Stimme für Erdogans Partei, die AKP, abzugeben:
«Mit Ihrer Unterstützung wird mit der historischen Wahl für die Zukunft unseres Landes ein wichtiger Schritt Richtung Neuanfang gemacht.»
Mit warmen Worten verabschiedet sich Erdogan. Er wünsche nur das Beste für die Familien der Empfänger und deren Liebsten. «Bleibt gesund, Allah soll auf euch aufpassen.»
Verschickt wurde der Brief aus Salzburg, doch der eigentliche Absender ist die Parteizentrale der herrschenden AKP in Ankara. Das irritiert Pekerman: «Ich habe mich nie bei der AKP für irgendetwas eingeschrieben. Woher wissen die, wo ich wohne? Wer hat ihnen meine Daten gegeben?»
Verbotene Auslandspropaganda
Pekerman vermutet die Türkische Botschaft hinter der Datenschutzverletzung. Diese hat in der Vergangenheit entsprechende Vorwürfe zurückgewiesen. Denn es ist nicht das erste Mal, dass derartige Briefe an Türken in der Schweiz verschickt werden. Schon bei vergangenen Wahlen und vor dem türkischen Verfassungsreferendum letztes Jahr, als sich Erdogan weitgehende Vollmachten sicherte, landeten Briefe der AKP in hiesigen Briefkästen. Darüber berichtet die türkisch-schweizerische Zeitung «Haberpodium» in einem aktuellen Beitrag.
Dabei verbietet das türkische Wahlgesetz derartige Propaganda. Seit 2008 machen sich türkische Politiker strafbar, wenn sie im Ausland Wahlkampf betreiben. Bis zu drei Monate Gefängnis könnte die türkische Justiz für eine Verletzung des Gesetzes verhängen. Weil es sich um ein Antragsdelikt handelt, müssten Schweizer Türken dafür in der Türkei aber eine Strafanzeige einreichen. Doppelbürger könnten auch die illegale Weitergabe ihrer Daten anzeigen.
Dass Erdogan dafür zur Rechenschaft gezogen wird, ist nicht denkbar. Er verstärkte in den letzten Wochen den Wahlkampf im Ausland. Unlängst berichtete der «Sonntagsblick» über einen Besuch der AKP-Politikerin Lütfiye Ilksen Ceritoglu Kurt in der Schweiz. Auch in Basel liess sich Ceritoglu mit türkischen Sympathisanten fotografieren. Immerhin 92’000 wahlberechtigte Türken gilt es für sich zu gewinnen in der Schweiz.
Briefe an Erdogan-Kritiker
Tatsächlich steigt im Lager des türkischen Präsidenten die Nervosität. Seine Partei muss um die Regierungsmehrheit zittern, die erstarkte Opposition hat laut Umfragen zur AKP aufgeschlossen. Für Erdogan zählt jede Stimme.
Pekerman vermutet, die Briefe sollen Oppositionswähler dazu bewegen umzuschwenken: «Ich kenne keinen Basler AKP-Sympathisanten, der einen solchen Brief erhalten hat. Dafür viele Personen, welche sich etwa auf Facebook gegen Erdogan ausgesprochen haben.» Sein Verdacht: Schweizer Türken werden ausgespäht, die Daten an die AKP weitergereicht. Belegen lässt sich das nicht.
Bei Bülent Pekerman baggert die AKP jedenfalls vergeblich. Er ist Anhänger der links-kurdischen Oppositionspartei HDP. Sein Kommentar zum Brief auf Facebook fällt entsprechend deutlich aus: