Erdogan setzt auf Militärintervention

Der türkische Premier Erdogan drängt seit Wochen auf eine internationale Strafaktion gegen das Assad-Regime. Er will sich an einem Militärschlag des Westens beteiligen, auch ohne Mandat der Vereinten Nationen. Für die Türkei bringt eine Verwicklung in den Syrienkonflikt aber erhebliche Risiken mit sich.

epa03596712 German Patriot surface-to-air missile systems deployed near Kahramanmaras, Turkey, 23 February 2013. German Minister of Defence de Maiziere (CDU) visited the area and the German soldiers on 23 February 2013. Around 300 German soldiers and addi (Bild: RAINER JENSEN)

Der türkische Premier Erdogan drängt seit Wochen auf eine internationale Strafaktion gegen das Assad-Regime. Er will sich an einem Militärschlag des Westens beteiligen, auch ohne Mandat der Vereinten Nationen. Für die Türkei bringt eine Verwicklung in den Syrienkonflikt aber erhebliche Risiken mit sich.

Die Türkei wappnet sich für einen Krieg. Seit Mitte der Woche hat die Regierung die Lebensmittel- und Trinkwasservorräte in der Grenzregion zu Syrien aufstocken lassen. Auch zusätzliche Gasmasken wurden angeliefert. Der Bevölkerung wurden Bunker zugewiesen, in denen sie im Notfall Schutz suchen soll. 100 zusätzliche Chemiewaffenexperten wurden in die Region entsandt, 300 sind bereits dort. Flugabwehr-Batterien sind in Stellung gebracht worden, die Spitzen der Hawk- und Stinger-Raketen zeigen nach Süden, auf die syrische Grenze.

Seit Wochen fordert der türkische Premier Tayyip Erdogan ein militärisches Eingreifen. Der syrische Staatschef Baschar al-Assad müsse für seine «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» bestraft werden. An welche Art von Intervention er denkt, hat Erdogan bisher offen gelassen. Zugleich steigt die Anspannung in der Türkei. Denn das Land ist Frontstaat, es hat eine 822 Kilometer lange Landgrenze zu Syrien.

Erdogan sprach über Assad als Freund und Bruder

Mehr als eine halbe Million syrische Bürgerkriegsflüchtlinge sind bereits in die Türkei gekommen. Die meisten leben in Lagern nahe der Grenze, andere in grenznahen Städten. Immer wieder schlagen Granaten und verirrte Projektile aus Syrien auf türkischem Gebiet ein, mehrere Menschen kamen bereits ums Leben. Die türkische Armee erwidert das Feuer über die Grenze. Die Wirtschaft in der Grenzregion, die früher vor allem vom Handel mit Syrien lebte, leidet.

Nach dem Amtsantritt des islamisch-konservativen Premiers Tayyip Erdogan hatten sich die Beziehungen der Türkei zu Syrien zunächst sehr verbessert. Erdogan sprach von Assad als «Freund» und «Bruder». Nach dem Beginn der Revolte hatten Erdogan und sein Aussenminister Ahmet Davutoglu Assad zunächst beschworen, mit demokratischen Reformen auf die Opposition zuzugehen. Nachdem Assad diesen Rat nicht annahm, schlug sich Erdogan auf die Seite der Assad-Gegner.

Erdogan will Assad stürzen

Auch ohne Mandat des UN-Sicherheitsrats oder der Nato werde sich die Türkei an einer «Koalition der Willigen» beteiligen, um Assad für die angeblichen Giftgaseinsätze abzustrafen, heisst es in Ankara. Die Oppositionsparteien hat Erdogan dabei allerdings nicht hinter sich. Sie warnen vor unkalkulierbaren Risiken. Tatsächlich spielt Erdogan mit dem Feuer. Sein Ziel geht weit über das hinaus, was die USA offenbar planen. Es soll nicht bei einer Vergeltung für den mutmasslichen Chemiewaffeneinsatz bleiben, Erdogan will Assad stürzen. Das würde wohl den Einsatz von Bodentruppen erforderlich machen und einen langen, blutigen Krieg bedeuten.

Bei dem von den USA erwogenen begrenzten Militärschlag würde sich die Beteiligung der Türkei zwar auf logistische Hilfe beschränken. So könnte Ankara den USA die Nutzung der Luftwaffenbasis Incirlik bei Adana gestatten. Aber auch das wäre mit grossen Risiken verbunden. Die an der Grenze stationierten Hawk- und Stinger-Raketen sind veraltet, sie bieten keinen wirksamen Schutz gegen syrische Raketen. Deshalb schickte die Nato Ende 2012 mehrere Flugabwehrsysteme des Typs Patriot in die Südtürkei. An dem Einsatz ist auch die deutsche Bundeswehr beteiligt.

Terroranschläge sind wirkliche Gefahr

Die eigentliche Gefahr droht jedoch nach Überzeugung vieler Fachleute nicht von der syrischen Armee. Das syrische Regime könnte zur Vergeltung Terroranschläge in der Türkei inszenieren, fürchtet der türkische Sicherheitsexperte Sedat Laciner. Einen Vorgeschmack gab es bereits: Bei der Explosion zweier Autobomben wurden im Mai in der grenznahen Stadt Reyhanli 50 Menschen getötet.

Syrien könnte auch versuchen, die kurdische PKK für Terrorakte zu instrumentalisieren, fürchtet Laciner. Ohnehin sind die Bemühungen um eine friedliche Lösung des Kurdenkonflikts ins Stocken geraten – auch wegen der Krise in Syrien, wo der PKK-Ableger PYD bereits grosse Landstriche nahe der türkischen Grenze kontrolliert und eine kurdische Autonomiezone zu etablieren versucht. Eine offene Frage ist auch, wie Assads wichtigste Verbündete, der Iran und Russland, reagieren würden. Die beiden Länder sind die wichtigsten Energie-Lieferanten der Türkei.

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