Erdogans präsidiale Pläne

In vier Wochen wählen die Türken ein neues Parlament. Dabei geht es auch um den Plan von Staatschef Erdogan, mit einer Verfassungsänderung das Präsidentenamt zu stärken und sich noch mehr Macht zu verschaffen.

Recep Tayyip Erdogan: Bei den Parlamentswahlen geht es nicht direkt um ihn, trotzdem sind sie für den Präsidenten entscheidend.

In vier Wochen wählen die Türken ein neues Parlament. Dabei geht es auch um den Plan von Staatschef Erdogan, mit einer Verfassungsänderung das Präsidentenamt zu stärken und sich noch mehr Macht zu verschaffen.

Wenn die Türken in vier Wochen ein neues Parlament wählen, steht der Name Recep Tayyip Erdogan auf keinem Stimmzettel. Und doch geht es bei der Wahl am 7. Juni vor allem um ihn, den Staatspräsidenten: Erdogan hofft auf eine Zweidrittelmehrheit für seine islamische Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP). Dann soll das nächste Parlament mit den Stimmen der AKP die Verfassung ändern und ein Präsidialsystem einführen. Erdogan, ohnehin der mächtigste Mann der Türkei, hätte dann noch mehr Einfluss. Soweit der Plan des Präsidenten. Aber ob er aufgeht, erscheint mittlerweile fraglich.

Weil es um jede Stimme geht, kommt Erdogan nun auch nach Deutschland. Am Sonntag spricht er auf einer Massenkundgebung in Karlsruhe – offiziell, um sich für seine Wahl zum Präsidenten im vergangenen Jahr zu bedanken. Tatsächlich will er wohl in Deutschland, wo 1,4 Millionen wahlberechtigte Türken leben, um Stimmen für die AKP werben.

Verfassungsänderung angestrebt

Schon lange arbeitet Erdogan auf die Verfassungsänderung hin. Seit er im Sommer 2014 in direkter Wahl zum Präsidenten gewählt wurde, betreibt er die Pläne mit besonderem Nachdruck. «Wir brauchen eine neue Verfassung und ein Präsidialsystem in der Türkei», unterstrich Erdogan kürzlich in einer Rede in Ankara. Nur dann könne die Türkei wirklich effizient regiert werden, argumentiert er. Das Vorbild USA lehnt Erdogan allerdings ab. Das Zweikammersystem mit Senat und Repräsentantenhaus schränke den Präsidenten zu sehr ein, erklärte Erdogan gegenüber Reportern. Man studiere deshalb als mögliche Modelle die Präsidialverfassungen in Argentinien, Mexiko und Brasilien, so Erdogan.

Seine Reform versucht er den Türken mit ökonomischen Argumenten schmackhaft zu machen. Nachdem sich das statistische Pro-Kopf-Einkommen in seiner Ära als Premier zwischen 2003 und 2014 bereits von 3400 auf 11’000 Dollar verdreifacht habe, werde es dank der Einführung eines Präsidialsystems bis 2023 auf 25’000 Dollar steigen.

Erdogan gilt vielen als «Vater des türkischen Wirtschaftswunders». Doch jetzt könnte die Wirtschaft zu seiner Achillesferse werden. Zum dritten Mal in Folge wuchs das Bruttoinlandsprodukt 2014 schwächer als erwartet. Die Arbeitslosigkeit ist auf dem höchsten Stand seit vier Jahren.

Der AKP gehöre sein Herz

Umso mehr legt sich Erdogan nun für die AKP ins Zeug. Als Präsident ist er laut Verfassung zwar zu überparteilicher Neutralität verpflichtet. Aber er nutzt jeden öffentlichen Auftritt, um indirekt für die AKP zu werben und gegen die Oppositionsparteien zu stänkern. Die haben deshalb bereits Beschwerde bei der obersten Wahlbehörde eingelegt. Erdogan erklärt, er halte «gleiche Distanz» zu allen Parteien, aber der AKP gehöre nun mal sein Herz.

Die von Erdogan gegründete AKP erzielte seit 2002 von Mal zu Mal bei Wahlen höhere Stimmenanteile. Dieser Trend scheint nun gebrochen. In einer Ende April erhobenen Umfrage liegt die AKP bei nur noch 38,1 Prozent – gegenüber 49,8 Prozent bei der Wahl 2011. Die von Erdogan erhoffte Zweidrittelmehrheit rückt damit in weite Ferne.

Pro-kurdische Partei wird zum Sammelbecken für Erdogan-Gegner

Gefährlich wird der AKP vor allem die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP). Umfragen zufolge könnte es ihr erstmals gelingen, die Zehnprozenthürde zu überspringen. Daran ist Erdogan nicht ganz unbeteiligt. Der von ihm vor zwei Jahren angestoßene Friedensprozess zur Lösung des Kurdenproblems steckt in einer Sackgasse. Erdogan ging in den vergangenen Monaten auf Konfrontationskurs. So hoffte er der AKP die Stimmen nationalistischer Türken zu sichern. Diese Rechnung scheint aber nicht aufzugehen. Stattdessen verspielt Erdogan nun auch noch die Sympathien der Kurden.

Die HDP wird zu einem Sammelbecken für Erdogan-Gegner. Sie ist keine rein ethnisch orientierte Kurdenpartei mehr sondern bekommt immer mehr Zulauf von linken und liberalen Wählern, etwa aus der Gezi-Protestbewegung. Gelingt ihr der Sprung ins Parlament, müsste die AKP womöglich sogar um ihre absolute Mehrheit fürchten. Das wäre das Ende von Erdogans präsidialen Plänen.

Nächster Artikel