Erinnerung an Andreas Gerwig

Andreas Gerwig war mehr als nur ein prägender SP-Politiker. Der Basler alt Nationalrat liebte die Menschen um sich herum und brachte ihnen viel Wertschätzung entgegen.

Andreas Gerwig (1928–2014) gehörte von 1967 bis 1983 dem Nationalrat an, wo er zusammen mit Helmut Hubacher, Walter Renschler und Lilian Uchten­hagen die sogenannte «Viererbande» bildete, die die Partei­politik der SP wesentlich prägte. (Bild: Keystone)

Andreas Gerwig ist am 30. April im Alter von 85 Jahren gestorben. Er war mehr als nur ein prägender SP-Politiker. Der Basler alt Nationalrat liebte die Menschen um sich herum und brachte ihnen viel Wertschätzung entgegen.

Am 30. April 2014 ist Andreas Gerwig im Alter von 85 Jahren gestorben. Er war in politischer, beruflicher und persönlicher Hinsicht eine der prägenden und weitum bekannten Persönlichkeiten in Basel.

Während vieler Jahre war er politisch erfolgreich für die SP tätig – von 1957 bis 1967 als Mitglied des Bürgergemeinderats, von 1964 bis 1970 als Mitglied des Grossen Rats, von 1960 bis 1964 und erneut von 1999 bis 2005 als Mitglied des Verfassungsrats (das erste Mal zur Ausarbeitung der Verfassung für einen wiedervereinten Kanton Basel, das zweite Mal zur Ausarbeitung einer ­baselstädtischen Verfassung). Von 1984 bis 1997 war er Mitglied des Erziehungsrats – und vor allem gehörte er von 1967 bis 1983 dem Nationalrat an.

Gerwig und die «Viererbande»

Wo er mitmachte, engagierte er sich bedingungslos. In der zweiten Reihe zu stehen, lag ihm nicht. So war er auch im Nationalrat kein Hinterbänkler, sondern gehörte zur einflussreichen «Viererbande» der SP, die damals massgeblich die politische Agenda bestimmte. Der «Viererbande» gehörten neben ihm auch Liliane Uchten­hagen, Walter Renschler sowie Helmut Hubacher an.

Ein grosser Erfolg war für Andreas Gerwig, dass das neue Eherecht in der Referendumsabstimmung vom Volk angenommen wurde. Die Entstehung des Eherechts hatte er als Präsident der nationalrätlichen Kommission jahrelang begleitet. Dem ­Po­litiker Andreas Gerwig und diesen wichtigen Sta­tionen wurde in den letzten Wochen viel gedacht.

Er konnte in kurzer Zeit alles Wesentliche erfassen und verstand es, eine Atmosphäre menschlicher Wärme zu schaffen. Gerwig war aber auch ein leidenschaftlicher, eigenwilliger und bisweilen eigensinniger Anwalt. Das Büro Gerwig genoss dank ihm einen guten Ruf. Viele Rat­suchende wandten sich gerade in schwierigen und sehr schwierigen Situationen ganz selbstverständlich an ihn – in der Über­zeugung, da könne nur Andreas Gerwig helfen.

Anwalt mit grossem Herz

Andreas Gerwig wirkte in vielen Ver­fahren und Prozessen mit, fast immer auf der Seite der Schwächeren. So engagierte er sich schon früh auch als Anwalt im Kampf gegen das Atomkraftwerk Kaiser­augst. Er war ein mutiger Anwalt und scheute sich nie, gegen die Grossen und Mächtigen anzutreten.

Und da war mehr. Andreas Gerwig war auch ausgesprochen grosszügig. Er reduzierte schon Ende der 1970er-Jahre die Arbeitszeit seiner Sekretärinnen ohne Lohnkürzung auf 36 Stunden pro Woche, weil er überzeugt war, sich nicht als Politiker für eine Reduktion der wöchentlichen Arbeitszeit einsetzen zu können, ohne diese selber als Arbeitgeber umzusetzen.

Vor längeren Ferien erhielten seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein spe­zielles Feriengeld, weil ihm Ferien wichtig waren, einfach so. Viele durften in seinem Haus in Incella (TI) Ferien verbringen. Es freute ihn, dass auch andere Freude an dem schönen Haus hatten.

Geschätzter Chef

Teilen war für Gerwig selbstverständlich. Er beriet auch immer wieder Klientinnen und Klienten gratis und vertrat sie vor Gericht. Andreas Gerwig war zudem ein begeisterter Tennisspieler. Er spielte lange Zeit in einer ­Seniorenmannschaft, die seit den Fünf­zigerjahren ein Team bildete.

Er war vielen Menschen über Jahrzehnte verbunden. Bis fast zuletzt traf er seine Jugendfreunde regelmässig zum Austausch im Restaurant Aeschenplatz. Als er vor zehn Jahren sein Büro aufgab, hatten seine Sekretärinnen während vierzig, dreissig respektive zwanzig Jahren bei ihm gearbeitet – und er behielt auch später einen guten Kontakt zu ihnen.

Geniesser und Menschenfreund

Freiräume waren ihm wichtig, und er verstand es geschickt, sich immer wieder von der täglichen Arbeit zu lösen. Über ­Mittag ging er praktisch immer nach Hause und genoss das. Im Sommer war er stets sechs Wochen in den Ferien. Sein Büro überliess er in dieser Zeit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, denen er vertraute und hinter denen er auch dann bedingungslos stand, wenn einmal etwas schiefging.

Andreas Gerwig liebte gutes Essen und war ein leidenschaftlicher Koch. Nachdem er vor zwanzig Jahren sein Arbeitspensum reduzierte hatte, bewirtete er jahrelang einmal pro Monat Gäste in seinem Haus. So kamen stets spannende Runden zusammen, mit dem Gastgeber im Mittelpunkt.

Am Wichtigsten für ihn waren die ­Menschen. Er selbst schrieb in seinem ­Lebenslauf, dass für ihn die Menschenwürde und ihre konkrete Ausgestaltung bei ­seiner politischen Arbeit im Vordergrund standen. Zur Menschenwürde gehörte für ihn soziale Sicherheit, die der Staat ge­währleistet. Vor allem hatte Andreas Gerwig stets ein offenes Ohr für seine Kinder und Enkelkinder, für seine Mitarbeitenden und für die vielen, die seinen Rat suchten.

Er konnte in kurzer Zeit alles Wesentliche erfassen und verstand es, eine Atmosphäre mensch­licher Wärme und Empathie zu schaffen, in der man sich einfach wohlfühlen musste. Dafür wird er nicht vergessen werden.


Andreas Miescher ist Rechtsanwalt und Präsident der Stiftung für Medienvielfalt, in deren Eigentum sich die TagesWoche-Herausgeberin (Neue Medien Basel AG) befindet. Miescher und Gerwig arbeiteten einige Jahre im selben Büro zusammen.

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