Mit wissenschaftlichen Argumenten und grünem Anstrich bekämpft Ecopop die Einwanderung noch härter, als die SVP dies tut.
Der Sound ist ein ganz anderer: Während die SVP im Abstimmungskampf um ihre Masseneinwanderungsinitiative mit Schlagworten wie Dichtestress an den nationalen Zusammenhalt appellierte, klingen die Vertreter der Ecopop-Initiative ganz anders. Sie hantieren geübt mit Zahlen und Studien, sie sind belesen, ihr Gestus ist intellektuell.
Seit das Stimmvolk vor zwei Wochen entschieden hat, dass der Zuwanderung in die Schweiz künftig mit Kontingenten Einhalt geboten werden soll, wittert der Verein Ecopop seine Chance. Denn die «Vereinigung Umwelt und Bevölkerung» beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Fragen aus dem Spannungsfeld zwischen Bevölkerungswachstum und Umweltschutz. Wie das Engagement haben auch die Argumente schon einige Jahre auf dem Buckel. Die «Wahrheiten», die Ecopop verbreitet, sind über 40 Jahre alt, eine intellektuelle Modernisierung hat kaum stattgefunden.
2011 lancierte der Verein die Initiative «Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen» und reicht diese eineinhalb Jahre später ein; rund 120 000 Unterschriften konnten die Vereinsmitglieder sammeln.
Die «Wahrheiten», die Ecopop verbreitet, sind über 40 Jahre alt, eine intellektuelle Modernisierung hat kaum stattgefunden.
Was Ecopop fordert, ist radikaler als die Ideen der SVP. Plötzlich sieht deren Vorschlag, die Kontingente neu zu verhandeln, vergleichsweise moderat aus. Ecopop geht einen Schritt weiter und definiert klare Grenzen. Jährlich sollen nur noch 0,2 Prozent der Wohnbevölkerung einwandern dürfen. Bei knapp 8 Millionen Menschen in der Schweiz ergibt dies rund 16’000 Personen, heute beträgt die jährliche Zuwanderung mehr als das Vierfache davon (80’000).
In einer zweiten Forderung will Ecopop, dass künftig jeder zehnte Franken, den die Schweiz für die Entwicklungszusammenarbeit ausgibt, für Programme «zur Förderung der freiwilligen Familienplanung» verwendet werden soll. Im Klartext: In Drittweltländern sollen Programme zur Empfängnisverhütung durchgeführt werden, um dort die Geburtenrate zu senken.
Der Volksentscheid zur Masseneinwanderungsinitiative passt zur jüngsten Zeitgeschichte, in der die Schweizer Stimmbevölkerung in Migrationsfragen zusehends unberechenbar agiert. So ist auch das Ergebnis der Ecopop-Initiative offen, obwohl die Initianten unter politischen Gegnern lange als Wirrköpfe galten.
So freute sich etwa die SVP im Siegestaumel nach ihrem Abstimmungserfolg über die Möglichkeit, dem Bundesrat mit der Ecopop-Initiative zusätzlichen Druck aufzusetzen. Luzi Stamm, Aargauer SVP-Nationalrat, bezeichnete diese gegenüber der Rundschau im Schweizer Fernsehen gar als «unsere Durchsetzungsinitiative». Im gleichen Beitrag kam es auch zu einer Zusammenkunft von Stamm mit einigen Exponenten von Ecopop, mit sinnbildlichem Ausgang. Letztere lehnten es trotz Stamms offen formulierter Unterstützung ab, sich mit dem SVPler filmen zu lassen. Man wolle parteiunabhängig bleiben, lautete die Erklärung.
Der Grund dürfte jedoch ein anderer sein. Ecopop versucht sich mit aller Kraft von rechtskonservativen Kreisen zu distanzieren. Obwohl genau dort die Wurzeln des Vereins liegen. Frühere Kader gehörten den Schweizer Demokraten an und setzten sich auch für die Überfremdungsinitiative von James Schwarzenbach ein. Heute sind vom SVPler bis zum Grünen alle politischen Farben vertreten.
Rechtskonservatives Erbe
Dem Verein gehe es um die Bewahrung der Landschaft, um einen vernünftigen Umgang mit natürlichen Ressourcen, um ökologische Fragen also. Die Ecopop-Website bringt das Anliegen so auf den Punkt: «Die unkontrollierte Einwanderung hat Ausmasse erreicht, die sowohl ökonomisch als auch ökologisch nicht mehr vertretbar sind. Unsere Kritik gilt der Politik und fordert ein grundsätzliches Umdenken. Sie richtet sich nicht gegen Ausländerinnen und Ausländer, die in unserem Land leben.» Kritiker nennen das «Fremdenfeindlichkeit mit grünem Anstrich», die Befürworter nennen es «endlich die Wahrheit erkennen».
Im Patronatskomitee des Vereins sitzen auch drei Basler, die mit ihrem akademischen Hintergrund bestens zum professoralen Auftritt von Ecopop passen: der Jurist Bernhard Gelzer, der Chemieprofessor Peter Schiess und der Kinderpsychologe Roland Matter.
Matter ist Ecopop nach eigenen Angaben vor 25 Jahren beigetreten. Nach der Lektüre von «Die Grenzen des Wachstums», einer Studie des Club of Rome – Matter nennt dies sein «politisches Erwachen» – war er zudem in den 1980er-Jahren für den Landesring der Unabhängigen im Basler Grossen Rat.
«Als Wissenschaftler hat mich an Ecopop vor allem der intellektuelle Anspruch überzeugt.» Die Vereinspublikation sei jeweils voll gewesen mit aufschlussreichen Zahlen des Bundesamtes für Statistik und interessanten Artikeln brillanter Köpfe. «Mir schien, diese Leute hatten etwas ganz Wesentliches begriffen. Dass nämlich die Schweizer Bevölkerung nicht unendlich weiterwachsen kann», sagt Matter.
«Wer reale Probleme missachtet, den bestraft die Volksabstimmung.»
Diese Erkenntnis sei weit herum auf taube Ohren gestossen. Und dies, obwohl die Einwanderungszahlen schon damals alarmierend gewesen seien, sagt Matter. «Die Einwanderung kritisch zu hinterfragen war und ist immer noch ein Tabuthema. Deshalb bin ich auch so erleichtert über das Ja zur Masseneinwanderungsinitiative.» Neben vielen Wissenschaftlern und Publizisten zitiert Matter im Gespräch auch Michail Gorbatschow. In einer eigenwilligen Umdichtung allerdings: «Wer reale Probleme missachtet, den bestraft die Volksabstimmung.»
Die Anliegen des Vereins als Fremdenfeindlichkeit abzutun, findet Matter «billig und wenig originell». Ecopop sei weder rassistisch noch unsozial, es gehe vielmehr um das grosse Ganze. «Wir schauen und denken weiter in die Zukunft, auch wenn dies unangenehme Wahrheiten zu Tage fördern kann.» Der Platz in der Schweiz sei begrenzt, bald sei die letzte grüne Wiese überbaut, das könne nicht wegdiskutiert werden. Leute, die diese Tatsache leugnen, nennt Matter blind. In der zweiten Ecopop-Forderung sieht Matter eine Befähigung der Frauen in Drittweltstaaten, «ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen». «Was soll daran falsch sein, einer Frau, die verhüten will, dies zu ermöglichen?», fragt er rhetorisch.
Für den akademischen Tonfall und die Anliegen der Ecopop-Vertreter hat Pierre-Alain Niklaus wenig übrig. Der Basler Sozialarbeiter und Autor schreibt zurzeit mit dem Zürcher Nationalrat Balthasar Glättli (Grüne) an einem Buch. Zusammen wollen die beiden den «unheimlichen Ökologen» auf die Spur kommen, indem sie die grüne Bewegung auf rechtes Gedankengut durchleuchten.
«Viele Aussagen sind im Grunde menschenverachtend.»
«Viele der Ecopop-Argumente entstehen aus einer vorgeblich naturwissenschaftlichen, technokratischen Warte», sagt Niklaus. Der Tonfall sei alarmistisch und viele Aussagen im Grunde menschenverachtend. «Wenn man sagt, dass es zu viele Menschen gibt, wer bestimmt dann, wer ‹zu viel› ist?»
Ausserdem sei die Haltung inkonsequent: «Wenn es ihnen wirklich darum ginge, den Ressourcenverbrauch einzuschränken, dann müssten sie bei ihrem eigenen Verbrauch ansetzen.» Niklaus nennt den politischen Gegner «naiv», denn die Frage nach dem Bevölkerungswachstum sei ein «Nebengleis». Dieses gehe in den weniger entwickelten Ländern nämlich zurück, während der Konsum im entwickelten Westen «ungehemmt» zunehme.
Bei aller inhaltlichen Kritik räumt Niklaus Ecopop doch politisches Potenzial ein. Er befürchtet, dass die Initiative auch nicht fremdenfeindlichen Kreisen Anknüpfungspunkte bieten könnte. «Das Problem ist, dass in der Schweiz praktisch niemand eine vernünftige Wachstumskritik übt.» Wer also ein Unbehagen gegenüber dem Wachstumsdogma vieler Wirtschaftsvertreter und Politiker verspürt, könnte der Ecopop-Initiative mangels Alternativen seine Zustimmung geben. «Es wäre Aufgabe der Linken, diese Nische zu füllen. Sonst überlässt man das Thema dubiosen Gruppierungen wie Ecopop», sagt Niklaus.
Immerhin sind die von den Grünen aufgewacht. Anfang Woche haben diese ihre Gegenkampagne angekündigt. Am 1. März soll in Bern eine grosse Kundgebung stattfinden. Zusammen mit der SP und den Gewerkschaften wollen die Grünen die Ecopop-Initiative mit aller Vehemenz bekämpfen, wie Co-Präsidentin Regula Rytz gegenüber Radio SRF sagte. Ihr sei bewusst, dass die Ecopop-Anliegen gerade in ökologischen Kreisen Sympathien geniessen würden.
Selbst Vordenker distanzieren sich
Wenn die Grünen jedoch Glück haben, bleibt es ihnen erspart, ihren Sympathisanten zu erklären, warum Ecopop die falschen Lösungen zur Wachstumsproblematik liefert. Denn Ständerat Urs Schwaller (CVP) hat im «St. Galler Tagblatt» angekündigt, in der Staatspolitischen Kommission die Frage nach der «Einheit der Materie» der Initiative zu stellen. Sollte die Kommission tatsächlich zum Schluss kommen, dass dieses formale Kriterium nicht eingehalten ist, müsste daraufhin noch das Parlament darüber entscheiden. Je nachdem käme die Vorlage danach gar nicht oder in Teilvorlagen aufgeteilt vor das Stimmvolk. Natürlich liess Ecopop diesen Einwand nicht gelten und hat kurz darauf das Gutachten eines Professors an der Uni Zürich veröffentlicht, der ihrer Initiative die Einheit der Materie bestätigt.
Wie fehlgeleitet das Engagement von Ecopop ist – trotz unerschütterlich wissenschaftlichem Fundament – zeigen die Aussagen eines intellektuellen Vordenkers. Mathis Wackernagel ist der Schöpfer des «ökologischen Fussabdrucks». Das Konzept beschreibt den Ressourcenverbrauch eines einzelnen Menschen als in Anspruch genommene Fläche der Erde. Ecopop beruft sich gerne und ausgiebig auf die Lehren Wackernagels. Es dürfte sie also schmerzen, wenn dieser sich in aller Klarheit von ihren Anliegen distanziert. «Ich unterstütze die Ecopop-Initiative nicht. Sie ist kontraproduktiv und wirft uns zurück.» Die Vorlage reduziere das Problem der ökologischen Übernutzung unnötigerweise auf die Einwanderung, kritisiert Wackernagel. Das polarisiere und verunmögliche eine ernsthafte Diskussion.
Artikelgeschichte
Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 21.02.14