Erneut verrechnet: Wie die Baselbieter Regierung ihre Zahlen beschönigt

Die Baselbieter Regierung versagt seit Jahren in der Finanzplanung. Im Fokus stehen ausgerechnet die beiden Hoffnungsträger der Bürgerlichen: Gesundheitsdirektor Thomas Weber (SVP) und Finanzdirektor Anton Lauber (CVP). Haben sie getrickst, um die Wahlen zu gewinnen?

Strahlende Sieger: Die wiedergewählten Regierungsräte Anton Lauber (links) und Thomas Weber im Februar 2015. Wenige Monate später fielen ihre Prognosen in sich zusammen.

(Bild: Patrik Straub)

Die Baselbieter Regierung versagt seit Jahren in der Finanzplanung. Im Fokus stehen ausgerechnet die beiden Hoffnungsträger der Bürgerlichen: Gesundheitsdirektor Thomas Weber (SVP) und Finanzdirektor Anton Lauber (CVP). Haben sie getrickst, um die Wahlen zu gewinnen?

Im Herbst vor den Wahlen verbreitete der amtierende Baselbieter Finanzdirektor Anton Lauber erfrischenden Optimismus. Lauber stellte das Budget für 2015 vor und die Prognosen für die kommenden Jahre. Mit der ihm eigenen Gemütlichkeit, die ihn so deutlich vom herrischen Vorgänger Adrian Ballmer unterscheidet, stellte er sich vor die Medien und verkündete: «Noch einmal gibt es ein Defizit vor dem Licht am Ende des Tunnels.»

Ein halbes Jahr später, Lauber inzwischen mit Glanzresultat im Amt bestätigt, die Sozialdemokraten aus der Regierung geworfen, knipst der Mann das Licht vor dem Tunnel eigenhändig wieder aus. Es wird wieder stockfinster im Baselbieter Finanzloch, als Lauber erneut vor die Medien tritt, ernst wirkend, aber nicht erschüttert, und zu Protokoll gibt, die Aufhebung der Anbindung des Frankens an den Euro habe die Steuerschätzungen über den Haufen geworfen. Die Folge seien rote Zahlen bis mindestens 2016.

Alleine bei den Steuererträgen fehlen 2015 45 Millionen Franken, mit denen man plante. Schuld daran: ganz eindeutig und exklusiv die Frankenstärke. Keine zwei Wochen davor vermeldete die Regierung noch, dass «zuverlässige Prognosen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht möglich sind».

Zweifelhafte Analysen

Wie seriös die Prognosen sind, lässt sich von aussen kaum beurteilen. Laubers Finanzverwalter Roger Wenk erklärt die Korrektur mit einer neuen Analyse durch BAK Basel Economics, das für den Landkanton die Steuerschätzungen vornimmt. An der Analyse sind Zweifel angebracht: Selbst BAK Basel geht wie das Forschungsinstitut der ETH und die Nationalbank nach drastischen Einschätzungen Anfang des Jahres mittlerweile von einem bescheidenen Wirtschaftswachstum für die zweite Jahreshälfte aus. Sonderfall Baselland? Im benachbarten Basel-Stadt jedenfalls heisst es auf Anfrage, man rechne nicht mit signifikanten Einbussen durch die Frankenstärke.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Lauber bei den Steuereinnahmen vertut. Bereits 2014 lag er deutlich daneben. Lauber erwartete ein starkes Wachstum bei den Unternehmenssteuern. Sie sollten um 14 Millionen Franken auf 190 Millionen ansteigen. Tatsächlich blieben sie nahezu konstant. Für 2015 legte Lauber nochmals eine Schippe drauf und kündigte einen Anstieg der Unternehmenssteuern auf 200 Millionen an – nur um ein paar Monate später mit dem Verweis auf die Frankenstärke zurückzukrebsen.

Für den grünen Finanzpolitiker Klaus Kirchmayr ist die erneute Fehlbudgetierung nicht nachvollziehbar: «Von links bis rechts wurden die Schätzungen als viel zu optimistisch kritisiert. Alle Finanzspezialisten waren sich einig, dass die Rechnung nicht aufgehen kann.» Doch die Regierung verwahrte sich gegen die Kritik aus dem Landrat. Das tut sie auch heute noch. Finanzverwalter Roger Wenk erklärt: «Fakt ist, dass die Regierung es vorzieht, sich auf eine objektive Zahlen-, Daten- und Faktenlage abzustützen.» Namentlich auf das extern eingekaufte Prognosemodell: «Alle Steuerertragsprognosen und Erwartungen basieren auf dem besagten BAK-Haushaltsmodell.»

Im Aargau rieb man sich die Augen, als man von den Prognosen der Baselbieter erfuhr.

Doch auch dieses steht in der Kritik. Kirchmayr nennt das System eine «Blackbox»: «Mein Vertrauen in dieses Modell ist sehr begrenzt; inwiefern auf die Prognosen Einfluss genommen wird, ist völlig unklar.» Das Verfahren ist eine Baselbieter Spezialität. In Basel-Stadt etwa wird mit den Steuereinnahmen des Vorjahres budgetiert. Wenk erwidert: «Zuverlässige Schätzungen sind schon in sich ein Widerspruch. Das BAK-Modell hat wohl die gleichen Stärken und Schwächen wie alle anderen Prognosemodelle auch.»

Dass die Fehler alleine im System liegen, wird allerdings bezweifelt. Im benachbarten Aargau habe man sich die Augen gerieben, als man von den Prognosen der Baselbieter erfuhr, heisst es dort in der Verwaltung. Ein Aargauer Finanzspezialist sagt: «Es ist gar nicht möglich, in derart kurzer Zeit solche Wachstumsraten zu erzielen. Andere Kantone wie Obwalden brauchten Jahre, um die Wirtschaft mit gezielten Massnahmen anzukurbeln.»

Dass man zu optimistisch plante, räumt Roger Wenk inzwischen ein: «Rückblickend zeigt sich, dass die damaligen Erwartungen an die Wirtschaftsoffensive zu hoch waren. Wir werden also auch im Kanton Basel-Landschaft mehr Zeit benötigen, um das steuerliche Ziel der Wirtschaftsoffensive zu erreichen.»

Hinweise auf Tricksereien

Das Licht am Ende des Tunnels, gab es das wirklich, oder wurde es vor den Wahlen wider besseres Wissen herbeigerechnet? Der Grüne Kirchmayr lässt die Frage offen: «Diesen Eindruck kann man gewinnen, aber letztlich lassen sich nur Vermutungen anstellen, wie es zu dieser Fehleinschätzung kommen konnte.» Wenk will davon nichts wissen: «Das BAK-Haushaltsmodell nimmt auf Wahlen keine Rücksicht.»

Hinweise auf Tricksereien finden sich beim zweiten grossen Budgetposten, der ausser Kontrolle geriet: bei den Spitalkosten. Seit seiner Wahl 2013 musste der SVP-Gesundheitsdirektor Thomas Weber gleich zweimal massive Kostenüberschreitungen vermelden. 2013 überstiegen die Transferleistungen an die Spitäler für deren Behandlung von Baselbieter Patienten das Budget um 30 Millionen Franken, 2014 waren es etwa 40 Millionen.

Seither ringt Gesundheitsdirektor Thomas Weber um Erklärungen. Erst versuchte er die Fehleinschätzung Basel-Stadt anzulasten, wo sich seit der Einführung der Patientenfreizügigkeit eine steigende Zahl an Baselbietern behandeln lässt. Gleich 21 Millionen von 30 Millionen Franken habe man 2013 dadurch verloren. Die Anschuldigung war schnell entkräftet. Da die Tarife des Uni-Spitals nur leicht höher sind als jene des Kantonsspitals, ging höchstens eine Million Franken verloren, rechnete Peter Indra, Leiter der Basler Gesundheitsversorgung dem «Regionaljournal» von SRF vor. Weber musste Indra kleinlaut Recht geben.


So schätzt das «SRF»-Regionaljournal die Kostenüberschreitungen ein.

Schwer zu erklärende Fehlkalkulationen

Mittlerweile hat man intern eine andere Ursache ausgemacht. Rolf Wirz, Sprecher der Gesundheitsdirektion, teilt auf Anfrage mit, der Kanton habe die «schweizweit steigenden Spitalkosten» unterschätzt. Wirz nennt das als Hauptursache für die Kostenüberschreitungen. Dass diese in der Schweiz jährlich um vier Prozent zunehmen, ist unumstritten und wird von allen Kantonen als Berechnungsgrundlage genutzt. Aber im Baselbiet ging man in den letzten Jahren von sinkenden Spitalkosten aus.

Und das, obwohl ein weiterer Effekt die Gesundheits- und Pflegekosten in die Höhe treibt. Baselland, hat das Forschungsinstitut BAK Basel berechnet (siehe Rückseite), leidet überdurchschnittlich unter der Überalterung, weil junge Familien vermehrt in die Stadt ziehen. Trotzdem gab sich Weber bis zuletzt überrascht von den Überschreitungen: «Das starke Wachstum bei den Gesundheitskosten kann im Moment auch von Fachleuten nicht schlüssig begründet werden.»

Dabei sind die Erklärungen nicht so schwer zu finden. Das meint jedenfalls Peter Indra, Leiter Gesundheitsversorgung in der Stadtbasler Verwaltung: «Die Budgetierung ist eigentlich relativ einfach.» Auch wenn es zu Verzerrungen kommen könne, sagt Indra, seien derart massive Fehlkalkulationen eher schwer zu begründen.

Im nächsten Sparpaket werden lineare Kürzungen angekündigt. Das widerspricht jeder sorgfältigen Sanierung, die nach Prioritäten kürzt.

Aber sie sind in seinen Augen erklärbar. Baselland habe die Auswirkungen der neuen Spitalfinanzierung 2012 falsch eingeschätzt und entsprechend falsch budgetiert, was sich einige Jahre auswirke. Auch weil es in der Baselbieter Gesundheitsdirektion an genügend Fachkräften und Kontrollinstrumenten fehle: «Es ist eine Mischung aus fehlenden Ressourcen und Blindflug.» So habe man versäumt, die Spitalkosten eng zu monitorisieren: «Dem Baselbiet fehlten die richtigen Instrumente.» Das hat Thomas Weber unterdessen indirekt eingeräumt, als er ankündigte, die Spitäler künftig einmal pro Quartal antraben zu lassen.

Ob das Know-how in der Gesundheitsdirektion künftig steigt, darf bezweifelt werden: Im nächsten Sparpaket werden lineare Kürzungen in allen Direktionen angekündigt. Das widerspricht jeder sorgfältigen Sanierung, die nach Prioritäten kürzt – eine weitere Baselbieter Eigenart.

Das Erbe von Peter Zwick

Indra hat eine zweite Erklärung zur Hand, weshalb man sich derart massiv vertun konnte: «Eine Rechnung und das darauf basierende Budget des Nachjahres sind abhängig von sachgerechten Abgrenzungen von Kosten.» Genau hier können die Finanzplaner Einfluss nehmen, um die Zahlen aufzupolieren. Dazu will sich Indra nicht äussern, aber eine ehemalige Kaderperson der Baselbieter Verwaltung erklärt den Mechanismus: Über die Abgrenzungen würden sich angefallene Kosten bequem ins nächste Jahr schieben lassen, um so ein besseres Bild in der Jahresplanung zu erzeugen.

Auch den Vorwurf der falschen Abgrenzungen räumt Webers Direktion indirekt ein, indem sie mitteilt: «Ebenso wurden Rechnungen von Leistungserbringern nicht im Berichtsjahr (etwa 2012) abgerechnet, was zu einer Unterschätzung der Kostenentwicklung geführt hat.»

Dafür kann Thomas Weber nicht viel, getrickst wurde unter seinem Vorgänger Peter Zwick und Adrian Ballmer als Finanzdirektor. Webers Versäumnis bleibt es, die Situation nicht rechtzeitig erkannt und lange nicht darauf reagiert zu haben. Auch im laufenden Jahr glaubte Weber, die Behandlungskosten unter das Vorjahr drücken zu können. Bereits Mitte Mai landeten die heiteren Prognosen im Papierkorb: Man erwartet erneut eine Budgetüberschreitung von 32 Millionen Franken bei den Spitalkosten.

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