Niemand ist so engagiert im Bundeshaus wie Susanne Leutenegger Oberholzer. Und niemand so schwierig.
Wehe dem, der den Zorn von Susanne Leutenegger Oberholzer auf sich zieht. Wehe dem, der etwas Unliebsames über sie schreibt, sagt, denkt. Wehe dem, der sie zu unpassender Zeit schräg von der Seite anspricht. Denn er ist verloren.
Wer noch nie von SLO (sie nennt sich selber so, selbst ihr Aktenkoffer ist mit dem Kürzel angeschrieben) so richtig zusammengestaucht wurde, kann nicht ermessen, was es heisst, richtig zusammengestaucht zu werden. Im Feuersturm von Leuteneggers Zorn verbrennt selbst das grösste Ego – wahlweise jenes des Journalisten, des politischen Freundes oder des politischen Gegners – zu einem Häufchen Nichts.
Richtig übel nehmen kann man ihr das aber nicht. Sie kann einfach nicht anders. Für die Baselbieter Nationalrätin ist die parlamentarische Arbeit, die Politik überhaupt, nicht wie für viele ihrer Kolleginnen und Kollegen eine Ergänzung eines engagierten Lebens, ein sinnvoller Zeitvertreib mit hektischen und gemütlichen Abschnitten. Nein, für SLO ist Politik alles. Darum gibt es bei ihr keinen Raum für Vages, für halb informierte Journalisten oder etwas langsame Parlamentarier.
Erschwerend kommt hinzu, dass Susanne Leutenegger Oberholzer als linke Frau in einem bürgerlichen Männer-Land viel häufiger verliert als gewinnt. Und weil sie nicht gerne verliert, gar nicht gerne verliert, lässt sie nicht los und macht den nächsten Vorstoss, den nächsten, den nächsten, den nächsten. Mit einer Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit, die einem Angst machen kann.
Trunken vor Glück
Gewinnt sie hingegen, «against all odds», wie die Amerikaner so gerne sagen, dann schäumt SLO über vor Glück, ist sie der herzlichste Mensch, den man sich vorstellen kann. Diese Woche war so ein Tag, der Mittwoch, und Leutenegger war nervös. Bei der Beratung des Gegenvorschlags zur Abzocker-Initiative von Thomas Minder wollte sie unbedingt eine Bonussteuer drinhaben, unbedingt! «Machen wir einen Gegenvorschlag mit Biss und Zähnen. Folgen Sie der Minderheit!», schleuderte Leutenegger ihren Ratskollegen im Bundeshaus entgegen und wirkte angespannt – wie immer. Sie habe fest damit gerechnet, dass die Steuer erneut abgelehnt würde, sie habe sich schützen wollen vor einer Enttäuschung, «man wird fatalistisch, wissen Sie».
Aber sie wurde nicht enttäuscht. Gegen Widerstände aus der eigenen Partei, gegen Widerstand auch von Abzocker-Initiant Minder brachte Leutenegger quasi im Alleingang und im zweiten Anlauf die Bonussteuer durch.
Ihre Augen glänzten feucht, als sie nach der Abstimmung noch einmal ans Rednerpult trat. «Ich kann meine Freude über die Zustimmung zur Bonussteuer nicht verhehlen!», sagte sie lächelnd. Als ihr dann Ratspräsident Hansjörg Walter noch vor versammeltem Parlament herzlich zum 64. Geburtstag gratulierte, strahlte sie.
Das ist dann die andere Seite von Susanne Leutenegger Oberholzer. Hüpfend fast bewegt sie sich durch die Wandelhalle, alle wollen ihr gratulieren, alle Journalisten mit ihr sprechen. Ihre Augen sind immer noch feucht. «Man muss kämpfen, muss hartnäckig sein, muss dranbleiben. Und dabei realistisch bleiben.»
Sie habe in letzter Zeit «wahnsinnig viel» durchgebracht. Ihr ewiger Kampf mit dem Namensrecht kam kürzlich zu einem guten Ende, das angepasste Doppelbesteuerungsabkommen mit den USA und die erweiterte Garantiefrist für Konsumentinnen und Konsumenten waren Erfolge in der laufenden Session.
Das Drama ihres Lebens
Immer noch etwas trunken vor Glück sitzt SLO an einem der grossen und zu tiefen Tische in der Wandelhalle und springt im Gespräch von einem Thema zum nächsten. Erzählt in einem Atemzug und etwas atemlos von ihren geplanten Ferien in Kalifornien, von ihrem samstäglichen Kinobesuch («‹Iron Lady›, sehr zu empfehlen»), den teilweise unversteuerten Bezügen von Parlamentariern («eine Unverschämtheit!») und vom «Drama ihres Lebens».
Sie ist kinderlos geblieben.
Stattdessen: zwei Universitätsabschlüsse (zuerst Wirtschaft und 20 Jahre später Recht), Arbeit (als Wirtschaftsjournalistin, Advokatin, Richterin) – und immer Politik. Als junge Frau trat sie den Progressiven Organisationen bei, sass für die POCH von 1987 bis 1991 im Nationalrat. «Ich verdanke der POCH unglaublich viel. Mein eigenständiges Denken, alles immer zu hinterfragen, keine Angst vor Autoritäten zu haben – das habe ich in der POCH mitbekommen.»
Zwei Jahre nach dem Untergang der Progressiven Organisationen wechselte sie zur SP und schaffte es innerhalb weniger Jahre, zu einer der bestimmenden Figuren der Sozialdemokraten zu werden; nicht nur im Baselbiet, sondern national. 1999 wurde sie wieder in den Nationalrat gewählt, zwei Jahre später gab sie der leidigen Geschichte um den Untergang der Swissair ein politisches Gesicht.
Fachlich – alles bestens
Susanne Leutenegger Oberholzer ist – und darauf können sich alle einigen, mit denen man über sie redet – eine fachlich hervorragende und eine – blendet man ihre gescheiterte Baselbieter Regierungsratskandidatur von 2003 aus – sehr erfolgreiche Politikerin. Aber auch eine etwas einsame.
Während der Sessionen belegt SLO jeweils für die gesamte Dauer eine Pultkombination in der Wandelhalle. Dort sitzt sie dann über Papieren gebeugt, alleine, immer in Bewegung, will nicht gestört werden. Es ist dieser Schaffenswahn, dieser Drang ins kleinste Detail, mit dem viele Parlamentarier nicht klarkommen. Auch aus der eigenen Partei.
«Ich hatte immer extreme Gegner. Das macht einen hart», sagt SLO und denkt dabei an den ehemaligen Preisüberwacher Rudolf Strahm oder auch an Jacqueline Fehr, die eben erfolglos für das Vizepräsidium der Partei kandidierte. «Gegner wie Strahm waren ein totaler Ansporn, mich zu behaupten. Der hat alles versucht, um mich zu verhindern.»
Es gibt wohl nicht wenige in der aktuellen SP-Fraktion, die heute Leutenegger Oberholzer den gleichen Vorwurf machen würden. Sie hat wenige Freunde in der eigenen Partei, sie schüchtert die Genossen und Genossinnen ein. Man erzählt sich in der Partei, wie SLO kürzlich an einem Spaghetti-Essen unerwartet auftauchte und zwei Stunden lang über das Doppelbesteuerungsabkommen mit den USA redete. Unter den Tischen schickten die SPler einander SMS, «kann man die abstellen?».
Ihr fehle die Balance zwischen Leben und Politik, sie lasse die anderen schlecht aussehen, sie lasse niemanden neben sich zu, reisse Themen an sich und werde schnell beleidigend. Es gibt Genossen, die halten sich absichtlich von ihr fern – aus Furcht vor ihren Launen.
Den Vorwurf der Ruppigkeit, den lässt sich Leutenegger Oberholzer gefallen. Sie habe schon immer eher grobe Umgangsformen gehabt, «da existiert Verbesserungspotenzial». Dafür sei sie eine grosse Meisterin der Entschuldigung.
Die anderen Vorwürfe hingegen, den zu grossen Raum, den sie für sich beanspruchen soll, die lässt sie nicht gelten. «Hier drin hat es genügend Platz für alle.» Tausend unbearbeitete Themen, zu viel für ein Menschenleben, mehr als genügend für 200 Parlamentarier. Man müsse sich halt auch gegen die Kollegen durchsetzen. «Man muss kämpfen als Politiker.»
Und das von morgens bis abends, am Wochenende ebenfalls. Während einer Session, speziell wenn wie in der aktuellen Frühlingssession ein Schwerpunkt auf Wirtschaftsthemen liegt, geht Leutenegger an ihre körperlichen Grenzen und darüber hinaus. Müde sei sie nach einer solchen Session, ziemlich müde.
Wenn sie solche Dinge sagt (und im Übrigen auch solche wie die über das Drama ihres Lebens), macht man sich selbst als Journalist, der schon mehrfach von Leutenegger Oberholzers Zorn erfasst wurde, etwas Sorgen. Sorgen, dass die Flamme in SLO irgendwann nicht mehr nach aussen züngelt, sondern sie von innen langsam verbrennt
Quellen
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 09.03.12