Es fehlt an sexueller Aufklärung, nicht an Gummis

Wie können Teenager-Schwangerschaften in der Dritten Welt vermieden werden? Mit Ecopop? Solche Fragen diskutierten Experten am Mittwochabend am Treffen von Medicus Mundi.

Sexualaufklärung in Ecuador: Jugendliche werden von Freiwilligen aufgeklärt. (Bild: zVg, Volker Sitta)

Wie können Teenager-Schwangerschaften in der Dritten Welt vermieden werden? Mit Ecopop? Solche Fragen diskutierten Experten am Mittwochabend am Treffen von Medicus Mundi.

Bei der sexuellen Aufklärung gibt es Nachholbedarf – nicht nur in Drittwelt-Ländern, sondern auch in der Schweiz. Das zeigte sich in Basel, als eine Gruppe besorgter Eltern sich gegen den Sexkoffer wehrte, der mit Plüschvaginas und anderen Hilfsmitteln Primarschüler sexuell aufklären sollte. 

Eine gewisse Beklemmung bei sexuellen Themen sei wohl global vorhanden und auch nicht ganz aus der Welt zu schaffen, meinten die Experten, die gestern am Symposium von Medicus Mundi Schweiz teilnahmen.

Medicus Mundi Schweiz ist ein Netzwerk, in dem sich Schweizer Organisationen über die neusten Trends der internationalen Gesundheitszusammenarbeit austauschen. Beim alljährigen Symposium wird jeweils ein aktuelles Thema einen Tag lang diskutiert und so auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Referenten aus unterschiedlichen Ländern, etwa Somalia, Honduras, oder auch der Schweiz, hielten im Rahmen des Symposiums am 5.11.2014 Vorträge rund um das Thema Jugend und sexuelle Gesundheit.

Die Experten diskutierten über «sexuelle und reproduktive Gesundheit». Was heisst das genau? Gemeint ist beispielsweise der Umgang mit Menstruation, Genitalverstümmelung, Teenager-Schwangerschaften oder Zugang zu Verhütungsmitteln. Diese Themen sind auch immer mit der sozialen und wirtschaftlichen Realität der Menschen verbunden.

Ecopop vermittelt den falschen Eindruck

Im Kontext der anstehenden Volksabstimmung über die Ecopop-Initiative erhalten die am Symposium diskutierten Fragen zur Familienplanung zusätzliche Aktualität. Die anwesenden Experten lehnten die Initiative allesamt ab. Der Ansatz greife zu kurz. Es sei wenig zweckmässig, den Zugang zu Verhütungsmitteln voranzutreiben, denn die hohen Fertilitätsraten in vielen Ländern des globalen Südens seien in einem grösseren sozialen, wirtschaftlichen und politischen Kontext anzuschauen.

Abdi Hersi stammt aus Somalia und leistet dort Aufklärungsarbeit. Er sagt: «Kondome sind bei uns überall erhältlich – das Problem ist einfach, dass ihr Gebrauch für uns kulturell problematisch ist.»

Der Organisator der Tagung, Martin Leschhorn Strebel, bemängelt, die Initiative würde den falschen Eindruck vermitteln, dass diesbezüglich noch nichts gemacht würde. Zahlreiche Schweizer Organisationen unterstützten aber bereits Projekte zur Förderung der sexuellen Aufklärung. Am Symposium wurde dies deutlich.

Jugendliche im Fokus

1994 wurde bei der Bevölkerungskonferenz von Kairo ein Aktionsplan verabschiedet, der Fragen des Bevölkerungswachstums mit der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung und einer Stärkung der Frauenrechte verknüpfte. Die Erfolge, die seither erzielt wurden, können sich laut den Experten am Symposium sehen lassen: Die Mütter- und Säuglingssterblichkeit konnte gesenkt werden, und immer mehr Frauen haben Zugang zu sexuellen Gesundheitsdienstleistungen. Doch noch immer fehlen 220 Millionen Frauen Zugang zu Verhütungsmitteln.

Vor allem Jugendliche erhalten nur unzureichende Sexualerziehung. In der Folge sind Teenager-Schwangerschaften weit verbreitet, etwa im südlichen Afrika verlassen 25 Prozent der Mädchen die Schule aufgrund von ungewollten Schwangerschaften.

Vorehelicher Sex als Sünde

Es bestehe also ein grosses Bedürfnis an jugendfreundlichen Gesundheitssystemen, die es verstehen, diese Altersgruppe auf eine lockere, unkomplizierte Art einzubeziehen und abzuholen. Wie die Sexualpädagogin Judith Eisenring an der Tagung sagte: «Jugendliche wollen keine altklugen Erwachsenen, die ihnen sagen, wie es geht. Sie wollen, dass man ihnen so begegnet, wie sie sich selbst sehen: Jugendliche sind kompetent, stark und wichtig.»

Leider gebe es viele kulturelle und soziale Hindernisse, die einem natürlichen und offenen Umgang mit dem Thema Sexualität im Weg stünden. Oft spiele Religion eine Rolle: In Ägypten etwa habe der grassierende islamische Fundamentalismus einen grossen Rückschritt in der sexuellen Gesundheitspolitik bedeutet.

Chandra-Mouli von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sagte dazu: «Es ist schwierig, von einer Gesellschaft, die vorehelichen Sex als Sünde betrachtet, zu verlangen, dass sie ihrer Jugend Kondome verteilt.» Für internationale Organisationen bedeute dies, dass viele Kompromisse eingegangen werden müssen, um trotz der kulturellen Einschränkungen mancher Länder Fortschritte zu erzielen.

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In den nächsten Tagen folgt ein Interview mit der Aufklärungshelferin Sandra Dominguez, die in Honduras arbeitet. Mitdiskutieren, ob Ecopop der Familienplanung nützt oder schadet, können Sie nach wie vor in unserer Debatte zum Thema.

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