«Es gab auch einen Ahmed, bevor er Flüchtling wurde»

«Ich fühle mich willkommen, aber mit Distanz.» Ahmed Jizawi lebt als Flüchtling in Basel. Manchmal würde er am liebsten zurück nach Syrien. Und er fürchtete die Polizei hier mehr als jene in seiner Heimatstadt Homs.

Versucht sich hier ein Leben aufzubauen: Ahmed Jizawi aus Syrien.

(Bild: Alexander Palacios)

«Ich fühle mich willkommen, aber mit Distanz.» Ahmed Jizawi lebt als Flüchtling in Basel. Manchmal würde er am liebsten zurück nach Syrien. Und er fürchtete die Polizei hier mehr als jene in seiner Heimatstadt Homs.

Mit der Kampagne «Chance 2016» will der Kanton Basel-Stadt zusammen mit dem Bund die Bevölkerung und Wirtschaft für die soziale und wirtschaftliche Integration von Flüchtlingen sensibilisieren. Ahmed Jizawi ist Teil der Kampagne. Der Syrer lebt seit bald fünf Jahren in der Schweiz. «Die ersten sechs Monate waren wirklich hart», sagt der 33-Jährige im Interview. Auch heute hadert er immer wieder mit seinem Leben in der Schweiz. Ein Gespräch über seine Flucht aus Syrien, seinen Alltag in Basel und seine Zukunftspläne. 

Wie kamen Sie in die Schweiz?

Es ist Zufall. Ich bin Mediziningenieur und habe in Syrien bei einer internationalen Firma gearbeitet. Ich habe für meine Firma eine Weiterbildung hier besucht und verliess die Schweiz dann aufgrund der Situation in Syrien nicht mehr. Wir sind aus Homs – dem Zentrum der damaligen Revolution. Aus dieser Stadt zu stammen war ein grosses Problem für mich und meine Familie – so wurden Angehörige willkürlich verhaftet. Während ich in der Schweiz war, suchte mich die syrische Polizei, um mich festzunehmen. Meine Familie rief mich deshalb an und meinte, ich solle lieber nicht mehr heimkehren.

Wie finden Sie sich zurecht in der Schweiz?

Mein Ziel ist es, zurückzugehen. Es ist nett hier. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass die Schweiz mein Land ist. Ich vermisse das Heimatgefühl. Man muss sich als Flüchtling immer beweisen – beweisen, dass man nicht der «Feind» oder der «Terrorist» ist. Ich wünsche mir von der Schweiz mehr Offenheit.

«Viele sehen einen Asylbewerber als ihren Feind.»

Fühlen Sie sich denn nicht willkommen hier?

Ich fühle mich willkommen, aber mit Distanz. Wahrscheinlich habe ich die falschen Menschen kennengelernt am Anfang. Ich kenne einige Leute, die schon seit 20 Jahren hier leben und sich immer noch als Ausländer fühlen. Das ist traurig. Es gab eine Zeit, in der ich mich als Asylbewerber schuldig fühlte, hier zu sein. Es gab auch eine Zeit, in der ich mehr Angst vor der Polizei in der Schweiz hatte als vor der Polizei in meinem Land – das, ohne irgendetwas Falsches gemacht zu haben.

Wieso denn das?

Weil man ihre Einstellung erahnen kann, wenn sie einen Asylbewerber verhaften. Weil man sieht, wie sie reagieren, wenn man einen Laptop hat. Anständige Kleidung zu haben oder ein iPhone zu besitzen, ist schon problematisch. Viele sehen einen Asylbewerber als ihren Feind. Deshalb sage ich immer: Ich bin ein normaler Mensch, ich bin nicht in die Schweiz gekommen, um aggressiv zu sein oder das Geld von jemandem zu stehlen. Ich hatte einfach ein Problem in meinem Land und will sicher sein. Es ist ein Menschenrecht, dass ich hier sein darf. Deshalb bin ich auch hier. 

Wie war Ihr Leben am Anfang in der Schweiz?

Die ersten sechs Monate waren wirklich hart. Ich kannte niemanden hier, sprach auch die Sprache nicht. Zuerst hatte ich die N-Bewilligung für zwei Jahre – ich konnte gar nichts tun. Ich lebte in einer Asylunterkunft im Oberbaselbiet, das war eine schlimme Zeit. Ich hatte oft Depressionen und spielte immer wieder mit dem Gedanken, zurückzugehen. Meine Überlegungen waren: Wenn ich ohnehin Probleme habe, dann ist es besser, diese in meinem Land zu haben – und für Sachen, an die ich glaube, statt in einem Land, in dem ich mich nicht zu Hause fühle. Dann lernte ich einen Freund kennen und er veränderte mein Denken. Ich arbeitete als Praktikant für verschiedene Organisationen und fing an, kleine Solidaritätskundgebungen in Basel zu organisieren. Dann bekam ich die B-Bewilligung.

«Ich dachte, das Leiden sei vorbei – jetzt beginnt das Paradies. Aber so war es nicht.»

Das war wohl ein grosser Moment für Sie. 

Ich dachte, das Leiden sei vorbei – jetzt beginnt das Paradies. Aber es war nicht so.

Was geschah?

Ich versuchte, verschiedene Jobs zu finden, allerdings ohne Erfolg. Es war auch hart für mich, eine Wohnung zu erhalten – nur mit der Hilfe eines Schweizer Freundes, der sich für mich bewarb, fand ich eine im Laufental. Dann war ich für acht Monate in der Sozialhilfe. Ich hielt es nicht länger aus. Sozialhilfe entspricht mir nicht, ich werde nicht gerne derart kontrolliert. Ich habe mich nicht dazu entschieden, Syrien zu verlassen, um hier gesagt zu bekommen, was ich zu tun habe. Nachdem ich die Sozialhilfe verlassen hatte, zog ich ohne irgendeinen Plan und Geld nach Basel.

Und dann wurde es besser?

Ich hatte das Glück, in der Wohnung einer Freundin leben zu können. Dank persönlicher Kontakte und Empfehlungen fand ich auch kleine Jobs, etwa bei einem Kurierdienst und als Zeitungsverteiler. Ich bin froh, dass ich nun in Basel lebe – diese Stadt ist toll. Ich habe hier schon so viel erlebt, so viele Höhen und Tiefen, das verbindet. 

Und wie sieht Ihr Leben heute aus?

Ich studiere Kunst und Design im Institut Hyperwerk und habe immer noch ein paar kleine Jobs. So arbeite ich bei der Personenschifffahrt, bei der Bäckerei «Kult» und als freiwilliger Koordinator für die arabische Show von «Radio X». Und ich habe zusammen mit Freunden einen Verein zur kulturellen Verständigung zwischen Menschen aus der Schweiz und solchen aus dem arabischen Raum gegründet, das «ArabSwissHouse». Wir unterrichten dort jeden Samstag Arabisch für Kinder. Viele Sachen mache ich freiwillig oder arbeite auf Abruf im Stundenlohn.

«Mein Ziel ist es, zurückzugehen. Es ist nett hier. Ich habe aber nicht das Gefühl, dass die Schweiz mein Land ist.»

Also haben Sie Schwierigkeiten, über die Runden zu kommen?

Ja. Ich brauche im Minimum 1500 Franken pro Monat, manchmal, wenn es wirklich gut läuft, verdiene ich 2000 oder 2500 Franken. Aber im Winter habe ich keinen Job. Es ist nicht einfach für mich hier, eine Festanstellung zu finden. Wenn ich mich für Jobs bewerbe, erhalte ich oft die Antwort, dass ich überqualifiziert sei. Wenn ich mich für Sachen in meinem erlernten Beruf bewerbe, sagen sie mir, ich hätte im Lebenslauf eine Lücke von mehreren Jahren. Ich habe immer einen internen Zwist und frage mich ständig, was wohl als Nächstes geschehen wird. Momentan denke ich darüber nach, die Schule für ein Jahr zu verlassen, weil ich nicht genug Geld verdiene, um das Studium zu finanzieren. Dennoch: Es tut gut, unabhängig zu sein und mein eigenes Geld zu verdienen. Auch wenn das nicht einfach ist.

Wo sehen Sie Ihre Zukunft?

Ich würde gerne in meine Heimat zurück, wenn es die Situation in Syrien irgendwann zulässt. Vielleicht werde ich noch ein Jahr hier bleiben, vielleicht auch zehn. Vielleicht werde ich die Schweiz auch nie verlassen.

Wenn Sie hier bleiben: Welchen Job würden Sie am liebsten ausüben?

(lacht) Um ehrlich zu sein, auch wenn ich immer dafür ausgelacht werde: Ich will normal sein. Ich möchte einen Job als Museumswächter. Dort sitzen und den ganzen Tag nichts tun, dann nach Hause gehen, ein Buch lesen, einen Film schauen und dann ins Bett. Das würde ich lieben! Ich möchte nicht im Scheinwerferlicht stehen, nur weil ich Asyl bekommen habe hier. Ich möchte nicht Menschen kennenlernen, die dann sofort mit mir über die Probleme in Syrien oder Europa reden.

Sondern?

Ich möchte über Liebe, doofe Filme, Veranstaltungen sprechen. Ich möchte normale Konversationen – ein Leben, wie ich es früher mit meinen Freunden in Syrien hatte: Wir waren im Ausgang, rauchten Shisha zusammen, sprachen über neue Filme, machten dumme Sprüche. Ich finde das nicht mehr hier oder sonst wo. Dabei gab es doch auch einen Ahmed, bevor er Flüchtling wurde.


Hinweis: Die TagesWoche ist offizielle Medienpartnerin der Kampagne «Chance 2016». Das Interview mit Ahmed Jizawi diente als Grundlage für das Porträt der Kampagne.

Nächster Artikel