Es sind im Fall nicht alle Walliser so

Die Parteien, die Verbände, die Regierung: Das Wallis kämpft wie ein Mann gegen das neue Raumplanungsgesetz. Alle – ausser Brigitte Wolf und die Grünen, die als einzige Partei die Ja-Parole gefasst hat. Die Rolle als einsame Kämpferin scheint Wolf nicht viel auszumachen: Es ist nicht das erste Mal, das sie das gesamte Wallis gegen sich hat.

Brigitte Wolf. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Die Parteien, die Verbände, die Regierung: Das Wallis kämpft wie ein Mann gegen das neue Raumplanungsgesetz. Alle – ausser Brigitte Wolf und die Grünen, die als einzige Partei die Ja-Parole gefasst hat. Die Rolle als einsame Kämpferin scheint Wolf nicht viel auszumachen: Es ist nicht das erste Mal, das sie das gesamte Wallis gegen sich hat.

Im fernen Basel und auch im nicht mehr ganz so fernen Bern redet man über die Walliser gerne wie über eine Bande von ungezogenen Teenagern. Sie seien halt eigen, ein «Sonderfall», etwas kauzig – aber auch liebenswert. Die Distanz zur restlichen Schweiz verklärt dabei manchmal etwas den Blick.

Wie absurd es im Wallis tatsächlich zu und her geht, wird einem erst klar, wenn man sich die Vorgänge der letzten paar Wochen vor Augen führt. Da wollen zwei Männer aus dem gleichen Dorf in die Regierung, von denen der eine, SVP-Nationalrat Oskar Freysinger, Hand in Hand mit dem Niederländischen Rechtsaussen Geert Wilders vor der islamischen Bedrohung warnt, und von denen der andere, FDP-Polizeikommandant Christian Varone, in der Türkei eine Verurteilung wegen des Schmuggels von Kulturgut zu erwarten hat und gleichzeitig wegen eines anscheinend nicht gemeldeten Selbstunfalls in die Bredouille gerät.

Da sagt Maurice Tornay, ein amtierender Regierungsrat, an einer Pressekonferenz gegen das neue Raumplanungsgesetz (an welcher der gesamte Staatsrat anwesend war) tatsächlich den Satz: «Wenn ein Gesetz die Menschen tötet, muss man dieses Gesetz töten.» Und da getraut sich die Walliser SP, immerhin mit einem Sitz in der Regierung und einem Wahlanteil von etwas über 14 Prozent (bei den letzten Nationalratswahlen) als wohl einzige SP-Sektion im Land die Nein-Parole zum neuen Raumplanungsgesetz auszugeben. (Den Constantin lassen wir in dieser Aufzählung gnädig beiseite.)

Nichts Neues hinter dem Lötschberg

Vis-à-vis im Bahnhofsbuffet von Brig sitzt Brigitte Wolf (45) und muss lachen. So sei es nunmal hier, nichts Neues hinter dem Lötschberg. Wolf ist die Präsidentin der Grünen Oberwallis und damit Präsidentin der einzigen Partei im Wallis (die Grünen Unterwallis sind da mitgedacht), die sich für das neue Raumplanungsgesetz einsetzt. «Alles andere wäre nicht glaubwürdig», sagt Wolf, und dann, bemerkenswert offen, «es stehen halt Wahlen an. Die SP hat etwas zu verlieren, wir als junge Partei mit nur wenigen Sitzen im Parlament nicht. Wir gewinnen nur: an Profil!» Aus der gesamten Deutschschweiz habe sie schon Anrufe erhalten, die Aufmerksamkeit sei enorm.

Ihr Kampf ist ein aussichtsloser, das weiss Wolf. «Aber jemand muss der schweigenden Minderheit eine Stimme geben. Und diese Minderheit gibt es.» Zwanzig, vielleicht sogar dreissig Prozent werden am 3. März Ja stimmen. Das auch öffentlich zu sagen, trauen sich nur die wenigsten. Wolf hat neun Walliserinnen und Walliser in Inseraten des «Walliser Bote» gefunden, die für ein Ja zum Raumplanungsgesetz werben. Es seien aber die üblichen Verdächtigten, Oppositiönler seit Jahren. Keine neuen Gesichter.

Im Wallis haben alle etwas Land

Für neuen Widerstand ist die Situation im Wallis einfach zu verkachelt. Verschiedene Faktoren haben dazu geführt, dass hier über die Jahre so viel Bauland eingezont wurde wie in keinem anderen Kanton (pro Kopf gibt es hier 572 Quadratmeter Bauzone, gegenüber 309 Quadratmetern im schweizerischen Durchschnitt): Der Tourismusboom in den 60er- und 70er-Jahren beispielsweise, das spezielle Erbrecht und die Tradition des Bodeneigentums. «Im ländlichen Wallis hat jede Familie ein bisschen Land. Da haben die Gemeindeversammlungen und die Gemeinderäte schon geschaut, dass der Boden der richtigen Leute eingezont und damit zum Bauland wurde.»

Als 1980 das erste Raumplanungsgesetz in Kraft gesetzt wurde, reagierten die Walliser, wie sie oft reagieren: bockig. In Graubünden, wo vor Inkrafttreten des Gesetzes ähnliche Bau-Tendenzen zu beobachten waren, handelten die Behörden. «Sie setzten das Gesetz um. Die Bündner haben die Bauzonen in den letzten zehn Jahren um 1000 Hektaren verkleinert. Ihnen bereitet das neue Gesetz deshalb kaum Schwierigkeiten», sagt Wolf, die bis 1995 in Chur lebte und danach der Liebe wegen ins Wallis zügelte (eine Zugezogene!).

Die Regierung macht Abstimmungskampf

Das Wallis hingegen beharrt auf seinem teuren Boden. Zu viele Familien sind abhängig von ihrem Erbe, zu viele Hypotheken wären ohne teure Bauzonen nicht mehr zu halten, zu viel Geld steht auf dem Spiel. Darum getrauen sich nur wenige, sich gegen die erdrückende Mehrheit zu stellen. Befeuert wird der Walliser Widerstandsgeist von höchster Stelle: Die Regierung orientierte nicht nur die Medien in corpore (und liess sich zum «Töten»-Vergleich hinab), sie gibt im Abstimmungskampf auch Steuergelder aus. Vergangene Woche erschien im «Walliser Bote» eine ganze Inserate-Seite, auf welcher der Staatsrat (wiederum in corpore, SP-Frau Esther Waeber-Kalbermatten inklusive) vor der Revision warnte, die «verwirrend», «komplex» und «unanwendbar» sei. «Sehen Sie, eine ganze Seite war das!», sagt Brigitte Wolf und zeigt auf ihren Laptop, «das geht doch nicht.»

Weniger offensichtlich ist der Widerstand der Walliser Regierung auf einer zweiten Ebene. Just jetzt, kurz vor der nationalen Abstimmung über das revidierte Raumplanungsgesetz, läuft im Wallis eine Vernehmlassung über ein kantonales Raumplanungskonzept. Die dazugehörige Karte ist ein Monstrum von Farben und Formen, unübersichtlich wie ein Wimmelbild. Es sei kein Zufall, dass diese Vernehmlassung gerade jetzt laufe und noch vor der Abstimmung abgeschlossen werde, sagt Wolf. «Verliert die Regierung die Abstimmung, kann sie danach in der Opferrolle auf das eigene, wertlose Konzept hinweisen und wieder alle Schuld den Üsserschwyzern geben.»

Der Sport hilft

So hat es die Regierung schon einmal gemacht, damals, bei der Abstimmung über die Zweitwohnungen. «Damals war es übrigens schlimmer», sagt Wolf. Das Raumplanungsgesetz werde im Wallis viel weniger emotional diskutiert, als es in der restlichen Schweiz den Anschein mache. Viel weniger emotional als die Zweitwohnungen. «Da bekam ich einiges zu hören», sagt die Grüne-Politikerin. Sie erzählt das lachend, kichernd fast. Wie etwas, das sie selber nichts angehen würde.

Dabei weiss sie: Die Art von Opposition, wie sie Wolf seit gut zehn Jahren betreibt, kann nur eine wie sie machen. «Ich habe keine Familie im Wallis. Als Zugezogene muss ich keine Rücksicht auf einen Grossvater oder eine Tante nehmen.» Wolfs grosser Vorteil auf dem Weg zur Akzeptanz im Wallis war ihr Werdegang. Sie war eine erfolgreiche OL-Läuferin, gewann 2003 in der Staffel Gold an der Weltmeisterschaft. «Sport ist positiv besetzt. Und so wussten die Leute immer etwas mit mir zu reden.» Der Rest, ihr Engagement für die Natur, ihr Engagement in der Politik, sickerte zuerst nur beiläufig ein. So lange, bis es ihre sportliche Vergangenheit gänzlich ersetzt hatte.

Die Natur war Brigitte Wolf immer gleich wichtig wie der Sport. Sie fotografiert und beschreibt ihre Umwelt seit Jahren (sie ist Verfasserin eines Buchs über seltene Pflanzen- und Tierarten im Wallis) und ist in verschiedenen Naturschutz-Organisationen tätig. Ihr naturschützerisches Erweckungserlebnis hatte sie mit rund 10 Jahren, als sie in einem WWF-Magazin las, dass in der Schweiz in jeder Sekunde ein Quadratmeter Boden verbaut werde. «Bis heute hat sich daran nichts geändert. Wäre doch schön, wenn ich noch erleben würde, dass es nur noch ein halber Quadratmeter Boden wäre.»

Einen ausführlichen Text zum Raumplanungsgesetz lesen Sie diesen Freitag in der gedruckten Ausgabe der TagesWoche

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