Warum die extravagante Urnenbestattung von Renato Bialetti ein flammender Appell an die italienische Wirtschaft sein könnte.
Der Verdacht, es könnte sich um eine posthume Marketingidee handeln, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Renato Bialetti, der Mann, der sich nun in einer Mokka-Kaffeekanne beerdigen liess, war schon zu Lebzeiten ein Meister der Vermarktung. Die als «omino coi baffi» (Männchen mit Schnauzbart) bekannte Karikatur auf jeder Bialetti-Kaffeekanne zeigt niemand geringeren als den früheren Firmenchef. Obwohl es eigentlich sein Vater Alfonso war, dem 1933 die bahnbrechende Idee kam, eine leicht handhabbare Mokka-Maschine aus Aluminium für den häuslichen Gasherd herzustellen.
Es muss diese Mischung aus Selbstdarstellung und Genie gewesen sein, die das Unternehmen Bialetti bekannt gemacht hat. Wie es heisst, sollen weltweit gut 300 Millionen solcher Kaffeekannen im Umlauf sein, also etwa soviele wie es US-Bürger auf Erden gibt. Aber vielleicht hat diese Zahl ebenfalls der Genius aus der Lombardei gestreut, wer weiss. Bialetti jedenfalls ist zum Synonym für häuslichen Kaffeegenuss in Italien geworden. Auch in Spanien, Portugal, Argentinien und Brasilien gehören die Mokka-Kannen zur Standardausrüstung, nicht zu vergessen sämtliche italophilen Haushalte zwischen Innsbruck und Stockholm.
Grundausstattung jedes italienischen Haushalts
Mindestens eine «Bialetti» zählt zur Grundausstattung jedes italienischen Haushalts. Die meisten Familien verwenden die handliche Drei-Tassen-Grösse, viele Mütter und Grossmütter haben mehrere Exemplare in ihren Schränken versteckt, manche auch die extravagante neapolitanische Variante oder die 24-Tassen-Megaversion für Familienfeste. Viele Italiener trauten ihren Augen kaum, als sie nun im Fernsehen diese grösste aller Bialetti-Kaffeekannen auf einer Beerdigungsfeier vor dem Altar einer Kirche in der lombardischen Provinz zu Gesicht bekamen.
Auf den Bildern ist ein keinesfalls extravagant daherkommender Priester zu sehen, wie er ein Weihrauchfass um die vor dem Altar aufgestellte Kaffeekanne schwenkt, aber nicht etwa als Kult der Ehrerweisung vor diesem nationalen Kaffeeheiligtum. In der Kanne soll sich die Asche des am 11. Februar im Alter von 93 Jahren verstorbenen Renato Bialetti befunden haben, seine drei verbliebenen Kinder Alessandra, Antonella und Alfonso hatten es so gewollt. Die Meinungen über diese zumindest als extravagant zu bezeichnende Urnenbestattung gehen auseinander.
Surreal, sonderbar, wunderschön
Ein bekannter italienischer Radiomoderator versicherte über Twitter, er wolle eines Tages lieber nicht im Mikrofon zu Grabe getragen werden. Die Turiner Zeitung La Stampa bezeichnete die Beerdigung als «ein bisschen surreal, vielleicht sonderbar, aber sicherlich wunderschön». Fest steht, dass Bialetti eines der italienischen Familienunternehmen ist, das mit guten Ideen, Design und solider Industrieproduktion die Marke «Made in Italy» mit gross gemacht hat. Hinzuweisen wäre allerdings noch darauf, dass Bialetti schon seit 1986 nicht mehr im Besitz der Familie Bialetti ist und die Kannen in Rumänien produziert werden. Optimisten verstehen die Beerdigung in der Kaffeekanne deshalb auch als Appell an die immer noch darbende italienische Wirtschaft: Traut Euch nur, dann kann Euch niemand das Wasser, respektive den Mokka reichen!