69 Mitglieder der Goldenen Morgenröte stehen vor Gericht, doch das hindert die Faschistenpartei nicht daran nach der Macht in Athen zu greifen. Die Chance ist real, warnen Regierung und Experten.
Ihre Lage ist derzeit nicht gerade blendend, doch die griechische Faschistenpartei Goldene Morgenröte (Chrysi Avgi) macht sich Hoffnungen, Nachfolgerin der radikalen linken Partei Syriza zu werden und die Regierungsmacht in Griechenland zu übernehmen. «Sie wollten, dass die vorherige Regierung [der konservativen Partei Nea Dimokratia] scheitert, damit Syriza an die Macht kommt. Denn wenn die radikale Linke auch scheitert, sind sie an der Reihe», sagt Dimitris Christopoulos, Professor des öffentlichen Rechts an der Athener Universität und Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte.
Gerade stehen 69 Mitglieder der Goldenen Morgenröte, darunter auch der Parteiführer Nikos Michaloliakos, wegen Mordes und schwerer Körperverletzung vor Gericht. Sie werden beschuldigt, eine kriminelle Organisation gebildet zu haben. Konkret geht es um drei Verbrechen: den Mord 2013 am griechischen Rapper und Bürgerrechtler Pavlos Fyssas, den Angriff auf fünf ägyptische Fischer im Athener Hafen Piräus ein Jahr davor und den Überfall mit schwerer Körperverletzung auf neun linke Gewerkschaftler – auch im Jahr 2012.
Seit 1987 haben Rechtsanwälte aber Dutzende weitere Übergriffe auf Ausländer und politische Opponenten dokumentiert – auf über 200 Seiten. Allein 2012 wurden 87 rassistisch motivierte Angriffe auf Immigranten festgestellt. Die eigentliche Zahl der Vorfälle sei mit Sicherheit höher als die offiziellen Statistiken, sagen Menschenrechtler. Da die Opfer oft Menschen ohne Papiere seien, haben die meisten Angst sich an die Polizei zu wenden. Mindestens die bekannten Übergriffe sollen nun im Gerichtsverfahren die Argumente gegen die angeklagten Parteimitglieder stärken. Doch zu Gerichtsverhandlungen ist es noch nicht gekommen. Der Prozess wurde bereits zwei Mal vertagt. Am heutigen Dienstag findet erneut eine Sitzung statt.
Die Goldene Morgenröte weist jede Schuld von sich und erklärt, der Prozess sei politisch motiviert. Beobachter und Politiker sind anderer Meinung. «Besonders seit der letzten Parlamentswahl sind sie bemüht, ihr öffentliches Bild zu verändern und den Anschein zu erwecken, dass sie eine respektable politische Partei sind», sagte die Syriza-Abgeordnete Vassiliki Katrivanou. So habe es trotz der steigenden Zahl von Immigranten in Griechenland in letzter Zeit kaum rassistisch motivierte Übergriffe mehr gegeben, die paramilitärischen Einheiten der Goldenen Morgenröte habe man von der Strasse abgezogen. «Diese Partei versucht sogar mit Syriza zu flirten: Bei der Abstimmung wichtiger Gesetze im Parlament enthalten sie sich der Stimme, statt sich dagegen zu stellen. Und manchmal haben sie sogar ‹dafür› gestimmt», sagt Katrivanou.
Bei der vorgezogenen Parlamentswahl im Januar hat die Goldene Morgenröte ihr Bestergebnis von fast 10 Prozent aus der EU-Wahl 2014 zwar nicht mehr wiederholen können und bekam nur 6.3 Prozent der Stimmen. Das verschaffte ihr aber 17 der insgesamt 300 Abgeordnetensitze und machte sie immer noch zur drittgrössten Partei im neuen griechischen Parlament.
Takis Zotos, einer der Rechtsanwälte der Nebenkläger im Prozess gegen die Faschistenpartei, sieht aber keine Gefahr, dass die Morgenröte zu mehr Macht in Griechenland kommt. «Die radikale linke Syriza war diejenige, die bei der vorgezogenen Wahl von der Unzufriedenheit der Wähler mit den traditionellen griechischen Parteien profitiert hat», sagt Zotos. Syriza hat aber selbst klein angefangen – bei 4 Prozent, um dann vor drei Monaten doch mit über 36 Prozent gross abzuräumen. Wie Zotos selbst einräumt, sind viele der Griechen, die Anfang des Jahres für Syriza gestimmt haben, keine Linken.
Der berühmt-berüchtigte griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hat vor kurzem erklärt, wenn seine Regierung eine Vereinbarung mit den internationalen Kreditoren verfehlen sollte, müsse man der Goldenen Morgenröte den Platz am Staatsruder überlassen. Varoufakis meinte das scherzhaft. Doch Athen bringt dieses Szenario durchaus auch als Argument bei den laufenden Verhandlungen mit den Finanzministern der EU ein.
«Sollte dieser Partei ein Durchbruch gelingen, wird es die Art und Weise ändern, in der die extreme Rechte anderswo in Europa auftritt.»
In Griechenland spricht man auch über Verbindungen zwischen der Faschistenpartei und Teilen der früheren konservativen Regierung, Polizei, Justiz und sogar der orthodoxen Kirche. Die Goldene Morgenröte sei der Nachfolger einer anderen rechtsextremen Partei – Laos, die Völkische Orthodoxe Sammlungsbewegung, sagt Zotos. Durch ihre Teilnahme an der Expertenregierung von Lukas Papademos 2011, habe Laos das Vertrauen ihrer Wähler verloren; die wechselten zur Goldenen Morgenröte über.
Ob es nun tatsächlich zu einer weiteren Neuwahl in Griechenland kommt, bei der die Faschisten durch einen Erdrutschsieg plötzlich in Reichweite der Macht kommen könnten, ist noch nicht absehbar. Die Verhandlungen des Landes mit den internationalen Kreditoren hinken jedenfalls weiter, ohne endgültigen Schluss in Sicht. Der Prozess gegen die Partei aber soll über ein Jahr dauern.
«Das ist ein ausschlaggebendes Gerichtsverfahren», sagt Katrivanou, und fügt hinzu: «Die Goldene Morgenröte ist nicht nur für uns in Griechenland gefährlich. Sollte dieser Partei ein Durchbruch gelingen, wird es die Art und Weise ändern, in der die extreme Rechte anderswo in Europa auftritt.»