Macht überhaupt noch jemand Ferien auf den ägäischen Inseln? Vieles hänge jetzt von der EU und der Türkei ab, sagen griechische Touristiker. Manche erwarten sogar ein ausserordentlich gutes Jahr.
Zuerst kam die Finanzkrise mit der Schliessung von Banken, dann die Flüchtlingswelle. Hunderte Flüchtlingsboote landeten an den Stränden der ägäischen Inseln, manche Sommerurlauber fühlten sich gestört. Griechenland machte schlechte Presse, vor allem in Grossbritannien.
Der Flüchtlingsstrom ist seither noch angewachsen. Trotz Nato und Frontex setzen täglich etwa 2000 Menschen von der Türkei her über. Da Mazedonien seine Grenze für die Weiterreise potenzieller Asylbewerber zugemacht hat, bleiben Zehntausende in Griechenland stecken. Was bedeutet das für den Tourismus in einem der beliebtesten Sommerurlaubsziele Europas? Wir haben Antworten gesammelt.
Welche Inseln sind betroffen?
Besonders betroffen sind die Inseln in der östlichen Ägäis, die zum Teil nicht einmal einen Kilometer von der türkischen Küste entfernt sind. Die meisten Flüchtlinge landen auf Kos, Leros, Samos, Chios oder Lesbos.
Auf den betroffenen Inseln wurden sogenannte Hotspots eingerichtet. Dort werden die Ankommenden registriert, bevor sie mit der Fähre zu Unterkünften auf dem Festland reisen. Das sei gut, meinen Vertreter der lokalen Tourismuswirtschaft, denn so habe man die Flüchtlinge weg von Strassen und Parkanlagen gebracht.
Auf Kos haben Inselbewohner allerdings gegen den Hotspot demonstriert. Vor dem lokalen Polizeirevier ging ein kleiner Sprengsatz hoch, Athen musste zur Verstärkung der lokalen Kräfte Bereitschaftspolizei entsenden. Die meisten Griechen sind aber hilfsbereit. Die Bewohner von Lesbos wurden für ihren Einsatz sogar für den diesjährigen Friedensnobelpreis nominiert.
Wie ist die Situation in Athen?
Die griechische Hauptstadt ist ein beliebter Zwischenstopp für Urlauber auf dem Weg zum Strand. Manche Medien zeichnen das Bild einer von Flüchtlingen belagerten Stadt. Ganze Familien hätten sich direkt auf der Strasse oder in den Parks niedergelassen. In Wahrheit campen zwar hin und wieder grössere Gruppen für kurze Zeit am Hafen von Piräus oder am Viktoria-Platz unweit des Zentrums. Aber die griechische Regierung erweitert bestehende Flüchtlingsunterkünfte dauernd und baut neue dazu.
30’000 Plätze sind mittlerweile geschaffen worden und 10’000 weitere kommen in der nächsten Woche dazu. Das seien Notunterkünfte, keine Luxuswohnungen, erklärt Giorgos Kyritsis, ein Regierungssprecher: «Wir versuchen die Flüchtlinge über die Tatsachen zu informieren und sie zu überzeugen, in unsere Unterkunftsanlagen zu übersiedeln. Wir sagen ihnen, dass wir ein Dach über dem Kopf für sie haben mit heissem Wasser und Essen.» Die meisten nehmen das Angebot wahr, Zwangsräumungen öffentlicher Plätze gibt es nicht.
Wo bleiben die Touristen?
Weniger Reservierungen, Stornierungen bereits gebuchter Reisen: Lokale Medien berichten, dass man wegen der Flüchtlingswelle mit weniger ausländischen Touristen in der kommenden Sommersaison rechne. Periklis Antoniou, ein Vertreter der Vereinigung der Hotelbesitzer auf Lesbos, sagte unlängst im Interview mit der Tageszeitung «Kathimerini», dass der Rückgang bis zu 90 Prozent erreichen könne. Die Insel Chios erwartet nach einem Buchungsrückgang um 60 Prozent das schlechteste Jahr der letzten vierzig Jahre. Auf Samos sind die Buchungen um 40, auf Kos um 36 Prozent zurückgegangen.
Der griechische Verband der Kreuzfahrtschiffsbesitzer erwartet im laufenden Jahr bis zu 400’000 weniger Passagiere als 2015. Manche Kreuzfahrtunternehmen, wie etwa Aida, haben Griechenland zur Gänze aus dem Programm gestrichen – allerdings auf Grund des Terroranschlags in Istanbul, einer weiteren Station von Kreuzfahrten im östlichen Mittelmeer.
Minus 90 Prozent? «Ich sehe die Lage nicht so dramatisch für den Tourismus», sagt der Tourismuspräsident.
«Ich sehe die Lage nicht so dramatisch für den Tourismus», sagt Andreas Andreadis, Hotelier und Präsident des griechischen Tourismusverbands (Sete). Buchungen für einzelne Inseln wie Kos, Chios, Samos und Lesbos – die vier, die am meisten von der Flüchtlingswelle betroffen sind – seien um bis zu 20 Prozent gesunken. Trotzdem sei die Passagierkapazität der Flüge nach Kos, einem der wichtigsten Reiseziele, im laufenden Jahr um nur neun Prozent geschrumpft.
Generell rechne man sogar mit einem leichten Wachstum in der Tourismusbranche; erwartet würden dieses Jahr 25 Millionen Ankünfte. 2015 waren es 23,5 Millionen. Die Fluglinien haben ihre Kapazitäten nach Griechenland um fünf Prozent oder 800’000 Sitze erhöht. «Für uns ist das ein sehr wichtiger Indikator, weil Fluglinien gewöhnlich keine neue Kapazitäten einplanen, wenn sie sich nicht sicher sind, dass sie diese füllen können», sagt Andreadis.
Glück im Unglück?
Auf touristisch weniger bedeutenden Inseln wie Lesbos oder Chios und zum Teil auch Samos hat die Flüchtlingskrise sogar eine gewisse positive Auswirkung gehabt. Auch im Winter waren die Hotels voll ausgebucht, Autovermieter und Restaurants meldeten gute Umsätze. Die griechische Fluglinie Aegean Airlines berichtete über einen 40-prozentigen Anstieg bei den Inlandflügen nach Lesbos.
NGO und Flüchtlinge bringen Geld.
Der Ansturm ausserhalb der Sommersaison ist den freiwilligen Helfern, NGOs, Polizeibeamten von Frontex und Mitarbeitern des UNHCR zu verdanken. Auch manche Flüchtlinge, die Geld haben, übernachten in Hotels vor Ort. Die Fährgesellschaften hätten sogar ein gegenüber normalen Jahren verdreifachtes Passagieraufkommen gemeldet, sagt Andreadis. Der Grund: Auch die Flüchtlinge müssen für die Überfahrt nach Piräus zahlen.
Was bedeutet das für die griechische Wirtschaft?
Laut jüngsten Statistiken – sie datieren von 2014 – trägt der Tourismus 25 Prozent zum griechischen Bruttoinlandprodukt bei. Sete erwartet, dass das Einkommen aus dem Tourismus im laufenden Jahr auf 15 Milliarden Euro steigt (2014: 14,2 Milliarden).
Das sind gute Nachrichten auch für den griechischen Arbeitsmarkt. Arbeitgeber in der lokalen Tourismusindustrie blicken mit Optimismus auf die kommende Sommersaison. Das geht aus einer Befragung der Agentur Manpower Greece unter 750 Arbeitgebern im Tourismusbereich hervor. 18 Prozent der Befragten Unternehmen gaben an, für die Zeit von April bis Juni mehr Mitarbeiter anstellen zu wollen. Im Hochsommer könnte die Beschäftigung weiter steigen, da die Hochsaison auf die Monate Juli und August fällt.
Wer kommt nach Griechenland in die Ferien?
Bei den Buchungen aus den grossen Urlaubernationen Grossbritannien und Deutschland ist ein Anstieg um 6,7 Prozent respektive rund 3 Prozent zu verzeichnen. «Es besteht die Tendenz zu Buchungen im letzten Moment, und wir glauben, dass Griechenland dann noch mehr Schwung bekommen wird», sagt Andreadis. Derzeit seien die Konsumenten europaweit auf Grund der wirtschaftlichen Krise, des Terrorismus und der Flüchtlingswelle etwas zögerlich, was ihre Urlaubspläne angehe. Sie würden eher im letzten Moment buchen.
Aus der Schweiz sind im vergangenen Jahr fast 600’000 Reisende nach Griechenland geflogen, ein Plus von acht Prozent gegenüber 2014. Prognosen für das laufende Jahr hat Sete noch nicht. Zum ersten Mal kommen in diesem Jahr aber auch vermehrt Touristen aus dem Iran nach Griechenland – man erwartet 50’000 Besucher.
Worauf soll man vor dem Sommerbeginn achten?
«Wie sich die Lage in den kommenden Wochen entwickelt, hängt vor allem von der Türkei ab», meint Andreadis im Bezug auf die Flüchtlinge. Als Beispiel nennt er die griechische Insel Kos, wo die Zahl der ankommenden Asylsuchenden von Hunderten auf 30 bis 50 pro Tag gesunken ist. Der Grund? «Wir glauben, das ist so, weil auf der anderen Seite der Meerenge Bodrum liegt.» Die Türkei habe dort ähnliche Probleme. «Es gab Druck seitens der türkischen Hoteliers, und der Flüchtlingsstrom hat sich weiter in den Norden verlagert. Deshalb ist die Lage auf Kos gerade ruhig», sagt der Präsident von Sete.