Allschwil ging es bis vor Kurzem finanziell gut. Heute steht die Gemeinde in den roten Zahlen und erwägt, die Steuern zu erhöhen. Ein Massnahme, die auf den gesamten Kanton zukommen könnte.
Vor fünf Jahren war die Welt von Nicole Nüssli noch in Ordnung. Die damalige Finanzchefin von Allschwil präsentierte schwarze Zahlen, die Gemeinde budgetierte einen Überschuss von 3,5 Millionen Franken. Der Gemeinderat dachte gar über Steuersenkungen nach. Heute hat Nüssli als FDP-Gemeindepräsidentin eine undankbare Aufgabe: Sie muss tiefrote Zahlen präsentieren und eine Steuererhöhung vorschlagen.
Damit bricht der Gemeinderat ein Tabu. Steuererhöhungen – das war bislang etwas, das nur Linke forderten. Nüsslis Vorgänger Anton Lauber (CVP) wehrte sich vehement dagegen. Heute verwaltet Lauber die Kantonsfinanzen und lehnt Steuererhöhungen partout ab. Dabei könnte es dem Kanton bald ebenso ergehen wie Allschwil.
Defizit kommt wenig überraschend
Die Gemeinde geriet in den letzten Jahren in finanzielle Schieflage. Nüssli nennt drei Bereiche, die insbesondere dafür verantwortlich seien: Bildung, Altenpflege und Sozialleistungen. Allschwil baut ein Schulhaus für 64 Millionen Franken, für das Rückstellungen getätigt wurden. Dazu kommt: Der Kanton stattet Pflegekosten nicht mehr an die Gemeinde zurück, und die Ausgaben für Sozialleistungen steigen.
«Wir haben praktisch keine andere Wahl, als die Steuern um ein Prozent zu erhöhen», sagt Nüssli. Damit läge der Steuerfuss exakt im Kantonsdurchschnitt, im Vergleich der Agglomerationsgemeinden aber im oberen Drittel.
Die Bevölkerung in Allschwil wächst, die Steuereinnahmen steigen nur marginal. (Bild: Hans-Jörg Walter)
Für den SP-Landrat Andreas Bammatter aus Allschwil kommt die finanzielle Schieflage wenig überraschend. Er sagt, die finanziellen Entwicklungen hätten vorausgesehen werden können. «Die Bevölkerung wächst stetig, da braucht es auch mehr Infrastruktur und mehr Steuereinnahmen.»
Steuerausfälle bis zu 5 Millionen Franken
Zwar stiegen die Steuererträge in Allschwil in den letzten Jahren leicht an, gemessen an der steigenden Bevölkerungszahl und den benötigten Mitteln für Schulen, Kindergärten und Sozialhilfe jedoch zu wenig.
Im Vergleich zu 2000 entgehen der Gemeinde heute jährlich zwischen 4 und 5 Millionen Franken aufgrund von Steuererleichterungen, rechnet Bammatter vor. Etwa 2,9 Millionen weniger nehme die Gemeinde bei natürlichen Personen ein und etwa 1,5 Millionen weniger bei juristischen Personen, also grösstenteils Unternehmen.
Die Gemeinde bestätigt den Befund – zumindest bei den natürlichen Personen, «bei juristischen Personen können wir keine konkrete Aussage machen», sagte der Allschwiler Gemeinderat Franz Vogt an der letzten Einwohnerratssitzung laut Protokoll.
Auch Privatpersonen profitierten von Steuererleichterungen
Der Hauptgrund für die Steuerausfälle liegt bei der Politik von Bund und Kanton, da die Gemeindesteuern direkt an die kantonalen Steuereinnahmen gekoppelt sind. Eine detaillierte Liste des Kantons, die der SP-Landrat Ruedi Brassel im März anforderte, zeigt auf, wo in den letzten 15 Jahren Steuerausfälle anfielen – Steuerausfälle von insgesamt 181 Millionen Franken, was etwa dem entspricht, was der Landkanton heute an Sparmassnahmen vorschlägt.
Die Steuerausfälle hat jedoch nicht allein der Kanton zu verantworten. Ein grosser Teil geht auf Änderungen der nationalen Steuerpolitik zurück; zum Beispiel auf die Unternehmenssteuerreform I und II.
So zahlen Unternehmen heute insgesamt etwa 67 Millionen weniger pro Jahr aufgrund von Erleichterungen, die 2007 und 2009 in Kraft traten. Aber auch Privatpersonen profitierten im Landkanton von Steuererleichterungen, beispielsweise durch Steuerabzüge bei Mietkosten und Sozialleistungen für Rentnerinnen und Rentner, die 2007 eingeführt wurden.
«Kanton kommt nicht um Steuererhöhungen herum»
Die Steuersätze im Kanton wurden in den letzten Jahren indes weder erhöht noch gesenkt. Nur Einzelmassnahmen wie Steuerabzüge wurden umgesetzt, die das Steuersubstrat für Privatpersonen verändern.
Nun steht der Kanton vor der Frage, ob die Einkommenssteuern erhöht werden sollen. Ein entsprechender Vorschlag für eine befristete Erhöhung brachten die Grünen aufs Tapet. Bammatter sagt: «Der Kanton wird nicht darum herumkommen, früher oder später die Steuern zu erhöhen.»
Wie im Landkanton stehen in Allschwil Sparmassnahmen an. Das stösst auf Kritik. (Bild: Hans-Jörg Walter)
Anton Lauber sagt dazu Njet. Ein strukturelles Defizit könne nicht mit Steuererhöhungen bereinigt werden, so das Credo Laubers, das er bereits in Allschwil vertrat und das er an der Medienkonferenz zum 80-Millionen-Deal der beiden Halbkantone einmal mehr betonte.
Was soll der Staat bezahlen?
Die Aussage Laubers stiess bei der Medienkonferenz auf Unverständnis bei seinen baselstädtischen Kollegen. In Fachkreisen ist jedoch klar: Steuererhöhungen sind kein Allheilmittel. Denn ein strukturelles Defizit bedeutet, dass das Budget mehr Ausgaben als Einnahmen aufweist. Deshalb müssten erst diese Budgetposten ins Lot gebracht werden, sagt der Wirtschaftsprofessor Christoph Schaltegger von der Universität Luzern.
«Einnahmenbasierte Konsolidierungen – also in der Regel Steuererhöhungen – sind in der Regel weniger erfolgreich als ausgabenbasierte Konsolidierungen wie beispielsweise Sparmassnahmen», sagt Schaltegger. Steuererhöhungen könnten ein strukturelles Defizit theoretisch bereinigen, die Gefahr sei jedoch, dass die Ansprüche von Interessengruppen damit steigen würden.
Der Streit ums Budget ist denn auch ein Streit um Deutungshoheit: Was soll der Staat bezahlen, was nicht? Und wo soll die Gemeinde sparen?
Heimatmuseum bleibt geschlossen
In Allschwil zanken sich Bürgerliche und Linke darum, wo gespart werden soll. Im aktuellen Budget schlägt der Gemeinderat vor, bei der Tagesbetreuung zu sparen. Die SP wehrt sich dagegen. Auch das Heimatmuseum bleibt in Allschwil bis auf Weiteres geschlossen. Für einige Bewohnerinnen und Bewohner der Gemeinde ist das inakzeptabel.
Im Dezember entscheidet der Einwohnerrat über das Budget und die vorgeschlagene Steuererhöhung. Bürgerliche wollen die Steuererhöhung streichen, die SP will die Steuern noch stärker erhöhen, um weitere Sparmassnahmen zu verhindern.
Der Streit ist programmiert – wie in Allschwil so im gesamten Kanton. Baselland leidet an den Steuerausfällen, die es in den letzten 15 Jahren zu bewältigen hatte. Und am Ende bleibt wohl wie in Allschwil nur der Griff an die Steuerschraube.
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Basel-Stadt will bis 2019 80 Millionen Franken an Baselland zahlen. Am 11. November wird die Vereinbarung im Grossen Rat behandelt. Wir widmen dem umstrittenen Deal unser Wochenthema.
Bereits erschienen:
– «Eva Herzog: Eine Finanzdirektorin kämpft dafür, dem Nachbarn 80 Millionen geben zu dürfen»
– «BDP will Referendum gegen 80-Millionen-Deal – notfalls im Alleingang»