Florence Brenzikofer: «Wir müssen zurück auf die Strasse»

Die Grünen geraten ins Straucheln: Nach den Baselbieter Wahlen haben sie am vergangenen Wochenende auch in Zürich massiv Stimmen verloren. Die Baselbieter Grünen-Präsidentin Florence Brenzikofer erklärt, wie sie den Abwärtstrend stoppen will – und wie es nach den internen Zerwürfnissen weitergeht.

(Bild: Nils Fisch)

Die Grünen geraten ins Straucheln: Nach den Baselbieter Wahlen haben sie am vergangenen Wochenende auch in Zürich massiv Stimmen verloren. Die Baselbieter Grünen-Präsidentin Florence Brenzikofer erklärt, wie sie den Abwärtstrend stoppen will – und wie es nach den internen Zerwürfnissen weitergeht.

Florence Brenzikofer ist nicht zu beneiden. Seit drei Jahren führt die Sekundarlehrerin die Grünen Baselland und muss nun dafür sorgen, dass ihre Partei die schwerste Krise in ihrer Geschichte übersteht. Im Februar brachen die Baselbieter Grünen an der Urne ein und verloren vier von zwölf Sitzen im Landrat. Kurz daraufhin eskalierte der seit Jahren schwelende Konflikt mit dem eigenen Landrat Jürg Wiedemann. 

Der Bildungspolitiker wurde unter dem Vorwurf, Parallelstrukturen aufgebaut und die Partei diskreditiert zu haben, rausgeworfen. Wiedemann, wie Brenzikofer Sekundarlehrer, revanchierte sich, indem er eine eigene Splittergruppe formte und ihr den Namen «Grüne und Unabhängige» gab. Daraufhin schloss sich die einst erfolgreiche Grüne Esther Maag unter lautem Getöse Wiedemann an. 

Für die 39-jährige Brenzikofer steht viel auf dem Spiel. Im Oktober will Maya Graf den Grünen Sitz im Nationalrat verteidigen. Unter normalen Umständen ein Leichtes für die renommierte Politikerin. Normal ist allerdings der Ausnahmezustand im Horrorjahr 2015 für die Baselbieter Grünen.

Frau Brenzikofer, in Zürich erlitten die Grünen eine schwere Niederlage – wie zuvor in Luzern und im Baselbiet. Folgt im Herbst die grosse Bauchlandung der Partei?

Das schlechte Abschneiden bei den kantonalen Wahlen und der damit verbundene Rechtsrutsch ist für uns ein deutlicher Weckruf. Wir müssen den Wählern unbedingt klar machen, dass es die Grünen mehr denn je braucht. Auch in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit. Wenn das bürgerliche Lager weiter so zulegt, droht eine Politik des sozialen Abbaus, des Isolationismus und es käme zu massiven Rückschritten in der Umweltpolitik. 

Düster ist auch die Lage vor Ihrer Haustür. Bei den Baselbieter Grünen zeigen sich Zerfallserscheinungen. Wiedemann, Maag, Mitglieder aus Allschwil und Birsfelden verlassen die Partei …

…da muss ich widersprechen. In Allschwil sind es zwei Mitglieder der «Starken Schule», die wechseln, das wurde von der «Schweiz am Sonntag» falsch wiedergegeben. In Birsfelden warten wir immer noch auf eine Antwort der Präsidentin, ob alles statutenkonform abgelaufen ist. Mitglieder der Grünen Birsfelden haben sich beklagt, sie seien nicht informiert worden, dass ihre Sektion zur neuen Partei übertritt.

Jedenfalls führt der Rauswurf von Jürg Wiedemann zu einer Abgangswelle.

Nein, das wird nur von Jürg Wiedemann gesagt, um uns zu schaden. Der Ausschluss hat auch eine positive Dynamik ausgelöst. Der Vorstand erhält viel Rückendeckung aus der Basis, die mit der schlechten Presse über uns nicht einverstanden ist und sich solidarisch zeigt. Wir können sogar Neueintritte verbuchen.

Wie viele Parteimitglieder gehen noch?

Die Grüne Partei ist eine starke Partei und bleibt es auch. Aber wir können uns nicht anhaltend mit uns selber beschäftigen. Im Herbst sind Wahlen, die müssen gut vorbereitet werden. Wir wollen, dass über unsere Themen gesprochen wird. Die Leute müssen wissen, dass es uns dringend braucht.

Welche Erfolgschancen geben Sie der neuen Splittergruppe «Grüne und Unabhängige»?

Es ist eine Einthemen-Partei, ich nenne sie die «Starke Schule»-Partei. Das erkennt man auch am Personal: Es machen fast nur Sekundarlehrer mit, Esther Maag einmal ausgenommen. Es ist absurd, die Baselbieter Sekundarschule ist kein Thema von nationaler Bedeutung.

Das Haltbarkeitsdatum dieser Gruppierung ist also aus Ihrer Sicht überschaubar?

Das denke ich, ja.

Und trotzdem wollen Sie mit den Abtrünnigen für die Wahlen zusammenspannen, um den Sitz von Maya Graf zu retten.

In Form einer Listenverbindung auf alle Fälle, dafür sind wir offen.

Ist so eine Allianz der eigenen Wählerschaft vermittelbar nach all den Querelen?

Diese Frage muss unser Vorstand beantworten. Aber bevor es zu einer Listenverbindung kommt, müssen erst Gespräche geführt werden.

Die Baselbieter Grünen sind bei der Landratswahl eingebrochen, von 12 Sitzen verlor die Partei 4. Haben Sie den Kontakt zur Basis verloren?

Nicht überall. Einige Ortssektionen haben sehr viel gemacht und wurden dafür belohnt. An anderen Orten waren wir eindeutig zu wenig präsent, haben nicht genügend auf uns aufmerksam gemacht.

«Wir haben es nicht geschafft, unsere Leute zu mobilisieren, sie an die Urne zu holen.»

Vor allem in der Agglomeration haben die Grünen deutlich verloren. Wie wollen Sie die Wähler dort zurückgewinnen?

Unsere Zahlen zeigen, dass wir die meisten Stimmen an Nichtwähler verloren haben. Wir haben es nicht geschafft, unsere Leute zu mobilisieren, sie an die Urne zu holen. Wir sind eine Bewegungspartei, wir müssen zurück auf die Strasse, es gibt kein anderes Rezept. Mit der Fairfood-Initiative können wir die Leute mit einem aktuellen und wichtigen grünen Anliegen ansprechen. Gerade in Zeiten der Frankenstärke ist es wichtig, dass wir die Produzenten regionaler Produkte stärken. Das Thema bewegt die Menschen.

Jetzt haben die Grünen die Ortssektion Sissach ins Leben gerufen. Ein Versuch, näher an die Basis zu rücken?

Das ist ein Teil der Solidaritätsbewegung. Die Sissacher haben realisiert, dass es nun eine starke Antwort braucht, um den Grünen Sitz vor Ort zu verankern und den Nationalratssitz von Maya Graf zu verteidigen. Das sehe ich sehr gerne, dass eine Bewegung von der Basis her kommt.

Will man mit der neuen Sektion den auf eigene Rechnung politisierenden Regierungsrat Isaac Reber näher an die Partei ziehen?

Das spielt auch eine Rolle. Es gelang uns zu wenig, ihn bei den Landratswahlen einzubinden. Wir konnten als Partei nicht von seinem starken Abschneiden bei den Regierungsratswahlen profitieren. Wir haben unsere Lektion daraus gelernt. Im Wahlkampf werden unsere Aushängeschilder auf der Strasse besser präsent sein. Wir brauchen Isaac Reber.

«Leider ist die Politik schwankend und schnell ist vergessen, was 2011 passierte.»

Heisst eine Lektion auch: zurück zu den Grünen Kernthemen?

Auf jeden Fall. Wir müssen uns fokussieren. Unsere Politik war aber nicht falsch in den letzten Jahren. Das neue Baselbieter Energiegesetz basiert auf einem Vorstoss von uns. Zudem ist unsere Initiative «Für sicheren und sauberen Strom» hängig. Diese verlangt, dass die Stromproduktion bis 2030 zur Hälfte aus erneuerbaren Energien besteht. Wir wollen die Energiewende und die Grüne Wirtschaft als Antwort auf die Frankenstärke positionieren.

Das grandiose Scheitern der GLP-Initiative für eine Energiesteuer deutet darauf hin, dass die Energiewende keine Mehrheit hinter sich hat.

Uns ist bewusst, dass es einen Trend zum Konservativen in der Schweiz gibt. Das heisst nicht, dass alle Ängste, etwa vor einem Arbeitsplatzverlust berechtigt sind. Das lokale Gewerbe beispielsweise profitiert von den erneuerbaren Energieträgern enorm. Es braucht eine gewisse Hartnäckigkeit. Auch, um die Zersiedelung zu stoppen oder den ÖV zu stärken. Wir brauchen den Ausbau der Bahnhöfe und die Doppelspur ins Laufental.

Diese Projekte sind politisch unumstritten.

Das ist richtig, aber nur wenn die Grünen weiterhin dafür sorgen, dass all dies auf der Traktandenliste bleibt.

Das Problem der Grünen ist, dass mittlerweile bis auf die SVP alle Parteien ein bisschen Grün sind, die SP und die GLP beinahe deckungsgleich.

Nach Fukushima verlangten plötzlich alle Parteien bis auf die SVP den Atomausstieg. Was ist davon geblieben nach den Wahlen? Der Ausstieg wurde auf 2050 verschoben! Zwei AKW müssen schleunigst vom Netz genommen werden – aber dafür kämpfen nur wir hartnäckig und glaubwürdig. Ob es gerade sexy ist oder nicht. Leider ist die Politik schwankend und schnell ist vergessen, was 2011 passiert ist.

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